Bischof: Es ist nicht besser geworden in Afghanistan

Bischof: Es ist nicht besser geworden in Afghanistan
In Afghanistan wurde einiges erreicht, doch zugleich sind die Anzeichen des Scheiterns unübersehbar - der sächsische Landesbischof Jochen Bohl thematisiert in seiner Neujahrspredigt den umstrittenen Bundeswehreinsatz am Hindukusch und knüpft damit an das an, was die damalige EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann vor genau einem Jahr an gleicher Stelle bekundete: "Nichts ist gut in Afghanistan." Hier die Predigt von Jochen Bohl laut dem vorab verbreiteten Text. Zugrunde liegt ihr ein Abschnitt aus dem Römerbrief (Röm 12,21): "Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem."
30.12.2010
Von Jochen Bohl

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus
Christus. Amen.

Liebe Gemeinde,

das ist ein wunderbares Prinzip, geeignet für jedes Menschenleben: sich nicht abzufinden mit der Welt, wie sie ist, sondern mit den eigenen Kräften und Begabungen dazu beitragen, dass sie besser wird. Ich habe das prägnante Wort des Apostels oft als Konfirmationsspruch zugesagt, in der Hoffnung, dass es den Jugendlichen zu einer Leitidee werden möchte, an der sie sich orientieren können auf ihren Lebenswegen. Das Böse mit Gutem überwinden ist ja nicht nur ein blasses Prinzip, ein gutgemeinter Spruch unter vielen, sondern Paulus drückt so seine persönliche Lebenserfahrung aus. Er musste selbst immer wieder Böses erleiden in seinem Leben, hat mehrmals unschuldig im Gefängnis gesessen, wurde zu Unrecht verdächtigt, grundlos angefeindet; und ist seinen Gegnern doch mit der Bereitschaft zur Versöhnung begegnet, hat Böses mit Gutem beantwortet. Für sich selbst hatte er rückblickend erkannt, wie er schuldig geworden war – die ersten christlichen Gemeinden hatte er in seinem "alten" Leben wütend und gewalttätig verfolgt.
Der Apostel wusste, wovon er redet. Er wusste, wie nah in dieser Welt Gutes und Böses beieinander liegen: Menschen sind ja fähig, das Gute zu tun; wir haben die Gaben, einander beizustehen und der Sehnsucht nach Liebe zu leben, die in jedem Menschen wach ist; wir können barmherzig sein und uneigennützig von unserem Eigenen abgeben an Schwache.
Aber auch das Böse ist unter uns gegenwärtig; Menschen überziehen sich mit Gehässigkeiten; sehen andere als Feinde an, denen sie Schaden zufügen wollen; neiden dem Mitmenschen das Seine. Fast könnte man meinen, die Geschichte sei eine unaufhörliche Abfolge von blutigen Fehden, oft genug aus dem einen Grund angezettelt: tatsächlich oder vermeintlich erlittenes Unrecht zu vergelten.
Nicht nur im Leben der Völker, sondern schon in unserem kleinen Alltagsleben der Nachbarschaften, in der Arbeitswelt, sogar in den Familien ist böses Tun gegenwärtig. Wie oft gelingt es nicht, friedlich miteinander zu leben…
Wir sind zum Guten begabt, und doch stets vom Bösen versucht. Menschen sind Opfer und Täter zugleich, das ist wahr.
Wie wichtig ist es da, dem Guten zu dienen…

Jeder von uns trägt einen Schatten in sich

Aber leider ist das oft gar nicht so einfach. Denn in dieser Welt sind Gut und Böse nicht säuberlich geschieden, sondern die Kampflinien können verwickelt und ineinander verschlungen sein. Und das fängt schon bei mir selbst an, in meinem Innersten. Wenn ich von Zeit zu Zeit auf mich selbst mit einem nüchternen Blick sehe, ohne Verklärung, entdecke ich nicht nur Gutes, sondern werde auch Gedanken, Wünsche, Absichten finden, die auf Anderes, auf Böses aus sind. Jeder und jede von uns trägt einen Schatten in sich, der Böses widerspiegelt. Was war mein Anteil daran, dass es gestern diesen kleinen, hässlichen Streit gab? -
Und wenn es schon im privaten Leben so verworren ist, wie sollte es da in den großen Fragen des Zusammenlebens anders sein?

Liebe Gemeinde,
es sind neun Jahre vergangen, seit deutsche Soldaten in Afghanistan stehen. Das ist eine sehr lange Zeit, an deren Anfang der Entschluss der internationalen Völkergemeinschaft stand, den Verbrechern entgegenzutreten, von denen die schaurige Bluttat des 11. September 2001 ersonnen und vorbereitet worden war. Das Mandat der Vereinten Nationen war die Grundlage, auf der vieles erreicht werden konnte. Es gelang, einige Regionen des Landes zu befrieden, die Kinder und auch die Mädchen gehen zur Schule, Brunnen wurden gebohrt, Ambulanzen und Krankenhäuser errichtet, die Lebenserwartung ist gestiegen – dankbar sehen wir auf alle, die daran beteiligt waren und sind, Soldaten wie zivile Helfer.
Unübersehbar sind aber auch die Anzeichen des Scheiterns. Die Zahl der Anschläge ist nach wie vor hoch und die Zahl der Opfer gestiegen, die Sicherheitslage ist schlechter als vor 9 Jahren. Die Akzeptanz der internationalen Truppen ist gesunken, auch der deutschen. Die Angehörigen der 45 gefallenen Bundeswehrsoldaten fragen, für welches Ziel sie gestorben sind.

Der Krieg: Leicht begonnen, schwer beendet

Es ist nicht besser geworden in Afghanistan, und niemand vermöchte zu sagen, wie es gut werden kann. Der Abzug wird in diesem Jahr beginnen, aber es ist ganz unklar, was erreicht wurde - und was davon bleiben wird. Wieder einmal bestätigt sich die uralte Wahrheit, dass es so viel schwerer ist, einen Krieg zu beenden als ihn zu beginnen.

"Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem."

Nein, das war nicht leicht dahin geschrieben von Paulus, sondern in vollem Bewusstsein, wie schwer es sein kann. Niemals und für niemanden ist es ein Leichtes gewesen, dem Bösen zu widerstehen und es durch Gutes zu überwinden.

Liebe Gemeinde,
unser Glaube lehrt uns: wenn es auch schwer ist, so ist es doch möglich. Denn diesen Kampf führen wir Christen an der Seite dessen, der ihn schon entschieden hat, Jesus Christus. Wir glauben, und sehen auf  ihn, den Anfänger und Vollender des Glaubens. Er hat gesagt, "Tut wohl denen, die euch hassen… bittet für die, die euch beleidigen" (Mt 5). Mit seinem Leben hat er gezeigt, wie das gelingen kann – indem wir unserem Nächsten dienen und der Liebe leben. Mit dem Gottessohn ist ein besonderer Geist in die Welt gekommen, der sich nicht gefangen nehmen lässt von dem Kreislauf aus böser Tat und Vergeltung. Sondern frei macht, auszubrechen aus den Zwängen, die immer wieder neues Unheil aus sich heraus bewirken. Gottes Geist hilft mir, mich im Streit in die Situation des anderen zu versetzen; die Perspektive dessen einzunehmen, der auf der anderen Seite steht. Nicht meine Sicht für die einzig mögliche zu halten. Es ist ein Kennzeichen des christlichen Glaubens, dass er dazu befreit, die Logik des Bösen zu unterbrechen. Diese Freiheit kommt aus der Erkenntnis, dass ich mit meinem Tun und Lassen vor Gott nicht bestehen kann; sondern auf seine Barmherzigkeit angewiesen bin. Darum folge ich der Verheißung Christi "Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Gottes Kinder heißen" (Mt 5).

Das ist eine klare Orientierung, die sich in den vielen alltäglichen Konflikten bewährt. Wir Christen setzen auf die Macht der Liebe Gottes, und widerstehen darum dem Drang nach Vergeltung und leben die Bereitschaft zur Vergebung. Das mag aussehen wie Schwäche – es ist aber die unvergleichliche Stärke, die aus dem Glauben an den barmherzigen und gütigen Gott kommt. Sie befreit zum Guten und überwindet
das Böse.

Im Geist der Versöhnung wiederaufgebaut

Liebe Gemeinde,
wie das gehen kann, zeigt nicht zuletzt dieses Gotteshaus. Es wurde zerstört am Ende des Nazikrieges. Die Ruine lag über Jahrzehnte. Darüber wurde sie ein Ort der Sehnsucht nach Frieden. Unter großer Beteiligung der ehemaligen Kriegsgegner wurde die Frauenkirche wiederaufgebaut im Geist der Versöhnung. Böses wurde mit Gutem überwunden. So wurde sie zu einem Ort, der die Hoffnung auf Frieden stärkt. In der ersten Dresdner Friedensnobelpreisträgerrede sagte hier vor wenigen Tagen
der ehemalige UN-Vermittler Martti Ahtisaari:

"Der Frieden benötigt den Beitrag eines jeden Einzelnen. Wir können bei der Auswahl unserer Partner für den Frieden nicht wählerisch sein – wir müssen mit allen Parteien sprechen, die die Unterstützung des Volkes genießen, seien es ... die Taliban in Afghanistan."

Durch Gewalt kann es keinen Frieden geben. Er muss gesucht werden im Gespräch. Gebe Gott, dass in diesem Jahr endlich neue Wege gefunden werden, damit es besser wird für das gequälte Land am Hindukusch.
Amen.

Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.


Jochen Bohl (60) ist seit 2004 Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens und wurde vor einigen Wochen zum stellvertretenden Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) gewählt. Im kommenden Juni ist Bohl Gastgeber des 33. Deutschen Evangelischen Kirchentags in Dresden. Den Wortlaut der Neujahrspredigt als pdf-Dokument zum Ausdrucken finden Sie hier.