TV-Tipp des Tages: "Der kalte Himmel" (ARD)

TV-Tipp des Tages: "Der kalte Himmel" (ARD)
Die Geschichte spielt in den 60er Jahren und zeigt den schwierigen Kampf einer Mutter um ihr autistisches Kind. In Zeiten des Umburchs muss sie sich gegen festgefahrene Vorstellungen behaupten.
30.12.2010
Von Tilmann P. Gangloff

"Der kalte Himmel", 3. Januar, 20.15 Uhr im Ersten

Die späten Sechziger gelten als Zeit des Aufbruchs, aber das stimmte natürlich nur für die Großstädte; und nicht mal für alle. Mit Hilfe kühler Bilder lässt Regisseur Johannes Fabrick in dem zweiteiligen Film "Der kalte Himmel" eine Atmosphäre entstehen, die das Lebensgefühl jener Jahre in der bayerischen Hallertau auf bedrückende Weise rekonstruiert. Ein kleiner Junge ist es, der die ganze Entstirnigkeit mit seiner Andersartigkeit an den Tag bringt: Felix (gespielt von den Zwillingen Erich und Marc Hermann) widerspricht völlig der Norm.

Er ist ein unangepasster Träumer, ein Außenseiter, dessen beschauliches Dasein aus der Bahn geworfen wird, als der gefürchtete "Ernst des Lebens" beginnt: Die amtsärztliche Untersuchung vor der Einschulung endet mit großem Geschrei, der Doktor verweist ihn auf die Hilfsschule. Allein dank der Beharrlichkeit seiner Mutter Marie (Christine Neubauer) bekommt Felix doch noch eine Chance auf der Volksschule. Aber er wird immer wieder auffällig. Ein arroganter Münchener Arzt (Dietrich Hollinderbäumer) diagnostiziert frühpubertäre Schizophrenie. Allein der junge Berliner Psychiater Niklas (Tim Bergmann) ahnt, dass sich hinter Felix’ Fassade ein autistisches Genie verbirgt.

Gerade das Szenenbild (Thilo Mengler) dieser teamWorx-Produktion ist die Garantie dafür, dass der Zweiteiler atmosphärisch authentisch wirkt. Eine geschickte Farbdramaturgie sorgt für zusätzliche Emotionalisierung: In Bayern ist das Leben trist und entbehrungsreich, die Farben sparsam, die Bilder weitgehend ohne Wärme (Kamera: Stefan Unterberger). Das ändert sich, als Marie in Teil zwei (morgen Abend um 20.15 Uhr) mit dem Jungen nach Berlin reist und dort mit Hilfe ihrer jungen Freundin Alex (Natascha Paulick) eine ganz andere Welt kennen lernt.

Diverse Details verstärken den Kontrast: Während der Dorfpfarrer ziemlich schockiert reagiert, als sich der neue Cantorist Alex Brunner als Mann entpuppt, hat in der Großstadt längst die neue Zeit begonnen. Die entsprechende Musikauswahl betont den Unterschied noch. Das Drehbuch (Andrea Stoll) destilliert die ganze ländliche Rückständigkeit in einer der vielen bedrückenden Szenen, als Maries Schwiegermutter (Monika Baumgartner) gemeinsam mit dem Pfarrer an Felix einen Exorzismus versucht.

Auch die Schauspieler sind sehr stimmig besetzt, sieht man davon ab, dass der Film für Neubauer mindestens zehn Jahre zu spät kommt: Mit Ende vierzig ist sie entschieden zu alt für die Rolle einer Mutter von vergleichsweise kleinen Kindern. Der Altersunterschied zu Marcus Mittermeier (41), der ihren Mann spielt, ist ohnehin allzu offenkundig; derlei wäre vor gut vierzig Jahren nicht nur in der bayerischen Provinz ein Skandal gewesen.


Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und verschiedene Tageszeitungen mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).