"Aber jetzt erst recht", 29. Dezember, 20.15 Uhr im Ersten
In der schlichten Welt des Fernsehfilms verkörpern alle, die mit Geld jonglieren, das abgrundtief Böse. Daher ist das zögerliche Verhalten von Kathi Pfeiffer nur allzu gut verständlich: Kann sie dem geschniegelten Betriebswirt, den sie aus der Isar gefischt hat, vertrauen? Natürlich kann sie, schließlich ist Clemens Nutz selbst ein Opfer. Außerdem schaut Hansa Czypionka so überzeugend treuherzig drein, dass man alsbald weiß: Der Mann kann in der Tat kein Wässerchen mehr trüben, denn er hat sich gewandelt; auch wenn er sich bis vor kurzem noch munter dran beteiligt hat, Menschen um ihr sauer verdientes Geld zu bringen.
Aber auch Kathi (Jutta Speidel) ist nur scheinbar ein stilles Wasser: Als Leiterin einer therapeutischen Einrichtung hat sie Privatversicherten Behandlungen in Rechnung gestellt, von denen arme Patienten profitiert haben. Weil sie sich auf diese Weise erpressbar gemacht hat, kann sie der neue Chef des Reha-Zentrums kurzerhand vor die Tür setzen; und ihre Mitarbeiterinnen gleich mit. Als sie lebensmüde sinnend in die Isar schaut, hüpft nebenan Clemens Nutz ins Wasser, denn er ist von seinem schurkischen Partner als Sündenbock auserkoren worden; und das ist der Auftakt zu einer Romanze, der zwischendurch zwar die Handlung ausgeht (Buch: Gabriela Sperl, Nikolai Müllerschön), die aber wegen des ungleichen Duos Speidel und Czypionka von Anfang bis Ende viel Vergnügen bereitet.
Während man noch darauf wartet, dass die Geschichte zur Sache kommt, ist man schon mittendrin: Der von Müllerschön vergleichsweise flott inszenierte Film handelt vor allem davon, wie Kathi und Clemens den unüberwindlichen Graben zwischen sich zuschütten. Natürlich wäre der Manager genau der richtige, um der verwitweten Physiotherapeutin zu ihrem moralischen Recht zu verhelfen; aber dafür muss sie erst mal über ihren Schatten springen. Hilfestellung leistet der nassforsche Enkel (Lukas Nathrath), dem "Gromis" neue Bekanntschaft zunächst auch recht suspekt ist; bis sich ungeahnte Anknüpfungspunkte zwischen den Generationen ergeben. Neben den beiden Hauptdarstellern sind vor allem die munteren, bisweilen erfrischend boshaften Dialoge und diverse unerwartete situationskomische Einlagen gute Gründe, dem Film seinem nichtsagendem Titel zum Trotz eine Chance zu geben.
Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und verschiedene Tageszeitungen mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).