"Racheengel - Ein eiskalter Plan", 27. Dezember, 20.15 Uhr im Zweiten
Der bitterkalte Ostseewinter passt zu diesem atmosphärisch kühlen Thriller, bei dem der Titelzusatz fast schon zu viel verrät: Es dauert eine Weile, bis einem dämmert, welch’ perfides Komplott rund um die Hauptfigur ersonnen wurde. Geschickt versieht das Drehbuch (Kathrin Richter, Jürgen Schlagendorf, nach einer Idee von Hanno Hackfort und Michael Helfrich) die Handlung mit einem doppelten Boden. Die Vorgeschichte wird zwar immer wieder angedeutet, doch die verschiedenen Mosaiksteinchen ergeben erst nach und nach ein komplettes Bild. Dann aber ist es für die sympathische Lübecker Kriminalkommissarin Tina Campenhausen (Gesine Cukrowski) schon zu spät: weil sie längst im Netz zappelt.
Zu Beginn deutet jedoch nichts auf die Abgründe hin, die sich später offenbaren werden. In einem Luxushotel in Travemünde wird die Leiche eines Regierungsdirektors aus Hamburg gefunden. Dem Politiker wurde sexueller Missbrauch Minderjähriger nachgesagt, damit war seine Karriere so gut wie am Ende, auch wenn das Verfahren eingestellt worden ist. Auf den ersten Blick gibt es keinen Grund, daran zu zweifeln, dass er sich das Leben genommen hat. Einige Details machen die Ermittlerin jedoch stutzig; unter anderem eine Kette mit einem Seepferdchen, die eines der Zimmermädchen trägt.
Außerdem verschweigt die Polizistin, dass sie dem Mann in einem früheren Leben schon mal begegnet ist. Er trug einen anderen Namen und hatte eine andere Arbeit; aber ein Verbrecher war er damals schon. Zunächst aber muss sich Tina mit ihrer jüngeren Schwester (Katharina Wackernagel) auseinandersetzen. Jenny taucht aus heiterem Himmel in Lübeck auf, nachdem sich die beiden Frauen viele Jahre nicht gesehen haben, und sorgt innerhalb von Tinas Familie für allerlei Unruhe.
Hier die gern als kühl kontrollierende Blonde besetzte Gesine Cukrowski, dort die dunkle und geheimnisvolle Katharina Wackernagel, die prompt Tinas Kollegen Chris (Matthias Koeberlin) den Kopf verdreht: Schon allein die Kombination ist sehenswert, zumal sich Jenny mehr und mehr in den Vordergrund schiebt. Die große Schwester, die heute noch schwer an einer Schuld aus gemeinsamen Kindertagen zu tragen hat, entdeckt eine ganze Reihe von Indizien, die darauf hindeuten, dass Jenny in das Ableben des Politikers verwickelt war. Die Polizistin verwischt alle Spuren, nicht ahnend, dass sie damit indirekt den Tod ihres Kollegen verursacht und sich außerdem ihr eigenes Grab schaufelt.
Tim Trageser setzt in seinem ersten Thriller vor allem auf hintergründige Spannung. Er verzichtet konsequent auf die üblichen Genre-Elemente, so dass sich die Schlinge um den Hals der Hauptfigur zunächst ganz unmerklich zuzieht. Die beiden Hauptdarstellerinnen spielen wunderbar mit, die Männer in der zweiten Reihe (neben Koeberlin Götz Schubert als Tinas Mann und Michael Mendl als ihr Chef) sind erstklassige Ergänzungen, und der frostige Winter liefert den perfekten Rahmen für die finstere Intrige.
Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und verschiedene Tageszeitungen mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).