Wenn Unternehmen zu Zensoren werden

Wenn Unternehmen zu Zensoren werden
Apple legt bei seiner iPhone-Plattform viel Wert auf Qualitätskontrolle – dazu gehört auch die Kontrolle von Inhalten. Der Schritt zur Zensur ist da nicht weit. Apple ist jedoch nicht das einzige Unternehmen, das über Inhalte entscheidet. Canon, Amazon, Mastercard, Visa und Paypal greifen auch mitunter zur Zensurschere. Je mehr Menschen sich im Netz bewegen und die Dienstleistungen großer Unternehmen in Anspruch nehmen, desto wichtiger wird, wie diese Unternehmen mit der Meinungsfreiheit umgehen.
17.12.2010
Von Christiane Schulzki-Haddouti

Jüngstes Beispiel für eine Apple-Zensur ist "Manhattan Declaration", eine christliche App für das iPhone. In dieser Erklärung hatten Christen unterschiedlicher Glaubensrichtungen dazu aufgerufen, sich für die Unverletzlichkeit ungeborenen Lebens, der Ehe von Mann und Frau sowie der freien Religionsausübung einzusetzen. Nach Protesten von Homosexuellengruppen hatte Apple die Anwendung gelöscht, obwohl sie bereits von rund 500.000 Nutzern unterzeichnet worden war.

Die Anwendung hatte nämlich eine Umfrage enthalten, die nach der Unterstützung gleichgeschlechtlicher Beziehungen oder dem Recht auf Abtreibung fragte. Als richtige Antwort wurde ein "Nein" bewertet. Apple begründete die Löschung damit, dass die App die firmeneigenen Richtlinien für App-Entwickler verletzt habe, da sie von zahlreichen Gruppen als anstößig angesehen wurde. Mittlerweile wurde die App überarbeitet und erneut zur Kontrolle und Freigabe eingereicht. Die neue Anwendung enthält die Umfrage nicht mehr.

Kürzlich kündigte Apple an, keine Radio-Apps mehr von einzelnen Radiostationen zuzulassen. Auch hier wurde rasch der Ruf laut, dass es sich hier um die Zensur eines ungeliebten Mediums handele, das sich in Konkurrenz zum Download-Geschäft von iTunes befände. Nicht wenige vermuteten darin einen Angriff aus dem kalifornischen Cupertino auf die Meinungs- und Pressefreiheit hierzulande.

Verständnis für Apple

Der Journalist Christoph Lemmer zeigte für Apple jedoch Verständnis, da die Einschränkung damit zusammenhängt, dass sich die Radio-Apps stark ähneln – und sich meist nur nach dem jeweiligen Sender-Logo unterscheiden. Lemmer: "Es mag ja noch angehen, dass die Lokalradios in NRW und in Bayern alle ähnliche Musik spielen, weil jeder sein exklusives Sendegebiet hat, aber die Sache sieht ganz anders aus, wenn all diese Sender im App-Store oder im Internet gegeneinander antreten und dann eben nicht mehr die geographischen Koordinaten ihres Sendemastes in die Waagschale werfen können." Gleichwohl nun entscheidet ein Internet-Unternehmen darüber, inwieweit Medien etablierte Verbreitungskanäle im Netz nutzen können.

Von Zensur im traditionellen Sinne kann im Fall von Apple keine Rede sein, da Zensur im juristischen Sinne nur seitens des Staates ausgeübt werden kann. Der App-Store von Apple, über den Nutzer Anwendungen und andere Inhalte beziehen können, ist das Angebot eines Unternehmens, das wie ein Verleger darüber entscheidet, was veröffentlicht wird und was nicht. Es ist nicht zu einem Universaldienst zu Gunsten der Allgemeinheit verpflichtet. Der AppStore ist keine offene Plattform, bei der jeder Nutzer über die Inhalte mitbestimmen könnte.

Problematisch ist jedoch, dass Kunden anders als am Zeitungskiosk keine große Auswahl haben. Sie können nicht einfach zu einem anderen Kiosk gehen, da es für ihr Gerät eben nur den einen Online-Kiosk gibt. Zwar können sie sich auch außerhalb des Kiosks Anwendungen besorgen und über einen "Jailbreak" die Einstellung des iPhone so ändern, dass das Gerät auch externe Anwendungen akzeptiert. Doch damit verliert der Kunde auch das Recht auf Gewährleistung, wohl weil er sich damit auch zahlreiche Sicherheitsrisiken einhandelt.

Unternehmen und Meinungsfreiheit

Je mehr Menschen sich im Netz bewegen und die Dienstleistungen großer Unternehmen in Anspruch nehmen, desto wichtiger wird es, wie diese Unternehmen mit der Meinungsfreiheit umgehen. Die soziale Netzwerkplattform Xing beispielsweise sperrte dem freien Journalist Ulf Froitzheim zweimal seinen Account, nachdem er das Unternehmen in seinem Profil kritisiert hatte. Für Froitzheim ist klar, dass "wir neben den unumgänglichen gesetzlichen Schranken nicht noch zusätzliche brauchen, die nach Gusto privater Unternehmen aufgestellt werden." Die Gesellschaft müsse darauf achten, dass "vor lauter Einschränkungen nicht die Kommunikation als Ganzes verkrüppelt".

Diese Kritik richtet sich nicht nur gegen Xing und Apple, sondern gegen alle Unternehmen, die die Meinungsfreiheit nach ihrem Gutdünken bewerten und einschränken. Jüngst waren die Bezahldienstleister Mastercard, Visa und Paypal sowie der Cloud-Diensteanbieter Amazon in Kritik geraten, da sie die Veröffentlichung von Wikileaks-Dokumenten als Verstoß gegen ihre Nutzungsbedingungen einstuften und die Dienstleistung darauf hin einstellten. Facebook ließ eine Unterstützungsseite für Wikileaks sperren.

Auch Softwareunternehmen und Gerätehersteller spielen hier eine Rolle. So etwa der Kopierer- und Druckerhersteller Canon, der jüngst eine Software für Dokumentenmanagement vorstellte, die die Vervielfältigung von Dokumenten auf Druckern, Scannern und Kopierern verhindert, wenn in dem zu kopierenden Dokument bestimmte Wörter auftauchen. Auf diese Weise können Unternehmen verhindern, dass vertrauliche Unterlagen kopiert werden. Aber auch Staaten könnten mit derselben Technik verhindern, dass Bürger sich gegenseitig über Missstände informieren.

Unternehmen beherrschen Infrastrutktur

Die Infrastruktur des Internets wird von privaten Unternehmen beherrscht, die damit auch über die Meinungsfreiheit bestimmen können, stellte die Journalistin und Politikwissenschaftlerin Rebecca MacKinnon kürzlich fest. Die Meinungs- und Pressefreiheit ist jedoch ein Grundrecht, das gegen andere Rechte abgewogen werden muss – dies sollte äußerst sorgfältig und nicht anhand simpler Nutzungsbedingungen geschehen.


Christiane Schulzki-Haddouti ist freie Journalistin und spezialisiert auf Themen aus der Medien- und IT-Branche. Sie bloggt bei KoopTech.