"Tatort: Schleichendes Gift", 16. Dezember, 20.15 Uhr im WDR
Ein ganz schön dickes Brett, dass sich Autor Thomas Kirchner da vorgenommen hat: Die Helden seines Krimis, die Berliner Hauptkommissare Ritter und Stark (Dominic Raacke, Boris Aljinovic), suchen nicht nur einen Mörder, sie müssen sich auch durchs Dickicht der Lobbyistenszene kämpfen. Natürlich ist der Todesfall nur der übliche Vorwand, um auf einen Missstand hinzuweisen, doch Kirchner verpackt seine Botschaft geschickt.
Abgesehen davon steht diesmal ein Thema im Mittelpunkt, an das sich bislang kaum jemand rangetraut hat: In Berlin haben eine Vielzahl von Menschen, überwiegend PR-Agenten oder Anwälte, nichts anderes zu tun, als die Interessen bestimmter Gruppierungen zu vertreten. Die Pharma-Industrie ist nur eine davon, aber ihr gilt Kirchners Augenmerk. Dabei steht zunächst nicht mal fest, dass es sich bei dem Tod eines Referenten aus dem Gesundheitsministerium überhaupt um Mord handelt. Der Mann ist pikanterweise an Nikotinvergiftung gestorben, außerdem gibt es einen Abschiedsbrief. Seine schwerkranke Witwe (Corinna Kirchhoff) glaubt jedoch nicht an einen Suizid. Außerdem hat der Referent vor seinem Ableben noch einen Fahrradkurier bestellt, der kurz drauf angefahren wurde; die Posttasche ist verschwunden. Alsbald sehen sich die Kommissare mit einem Gegner konfrontiert, der weitaus mächtiger ist, als sie zunächst ahnen.
Experten würden vermutlich kritisieren, dass Kirchners Drehbuch eine höchst komplexe Materie auf einen allzu schlichten Nenner bringt. Und Pharma-Vertreter werden pikiert darauf hinweisen, dass Mord nicht zu ihren bevorzugten Methoden zählt. Tatsache ist aber auch, dass unweigerlich Korruption ins Spiel kommt, wenn es um so viel Geld geht: Das Geschäft mit Krankheiten ist angeblich 250 Milliarden Euro schwer. Der Umstand, dass der tote Referent eine Liste all seiner bestechlichen Kollegen erstellt hat, macht die Sache für Ritter und Stark nicht einfacher, denn die Aufzählung ist erschreckend lang.
Nicht nur dank der interessant besetzten Nebenrollen (Anja Kling als Assistentin des Toten, Jürgen Tarrach als Journalist, der den Kommissaren Nachhilfe in Lobbyismus gibt), sondern vor allem wegen der eleganten Bildgestaltung von Kameramann Philipp Sichler ist dieser von Uwe Janson inszenierte „Tatort“ durchaus sehenswert; auch wenn sich die Spannung im Rahmen hält. Nebenbei entführt Kirchner zwar auch noch in die Welt der Fahrradkuriere, und Ritter darf am Rande eine Liebschaft haben, aber der Krimi lebt natürlich vom Blick hinter die glitzernden Fassaden.
Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und verschiedene Tageszeitungen mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).