UN-GE-RECHT! Frauen und Kinder zuerst!

UN-GE-RECHT! Frauen und Kinder zuerst!
In der Bahn bekommen die Rüpel die letzten Plätze und in der Bäckerei an der A3 dürfen nur Frauen auf die Toilette. Das Leben ist manchmal ungerecht, findet Ursula Ott in ihrer Kolumne.

Der Schnee da draußen fördert archaische Instinkte zutage. Zumindest für alle, die pendeln, die mit dem Auto oder der Bahn unterwegs sind, obwohl sie es auf HR3 doch alle halbe Stunde wiederholen: "Bleibt zuhause, wenn es geht." Ja, das geht halt nicht immer bei der modernen Arbeitnehmerin. Und so kämpft sie, als Bahnfahrerin, mit dem Grundsatz "Survival of the fittest".

Das kennt sie schon, jeder zweite Zug fällt aus, also gibt es einen brutalen Run auf die wenigen Plätze. Es gewinnt, logo, der größere, dickere, rücksichtslosere Affe. Hatte er zu Urzeiten einen scharfen Speer, hat er heute einen scharfkantigen Laptop, gern aufgeklappt. Manche Männer gehen übrigens mit aufgeklapptem Laptop aufs ICE-Klo, ehrlich. Aber noch mehr drängeln sich mit dem aufgeklappten Laptop durch die engen Flure, und dann lässt man sie natürlich vorbei, man will ja keine blauen Flecken kriegen. Und dann erbeuten sie die letzten Plätze, uga uga. Ungerecht? Aber was ist damit?

Überlebenskampf auf der Autobahn

Auch auf der Autobahn tobt im Winter ein seltsamer Überlebenskampf. Wir sind letzte Woche ausnahmsweise mit dem Auto von Köln nach Frankfurt gefahren. In Köln war noch Regen, ab Montabaur kam der Schnee, in Bad Camberg standen Lastwagen quer. Geschlossene Schneedecke, und es schneite immer weiter. Nichts ging mehr, gar nichts, wir standen eine Stunde, wir standen zwei, und dann gaben wir auf. Mein Lebensgefährte saß am Steuer, ich war heilfroh, ich bin keine Heldin im winterlichen Straßenverkehr. Irgendwie haben wir es nach Bad Camberg geschafft, auf einer verschneiten Bundesstraße, stellten das Auto ab, gingen ins erste beste Bäckerei-Café, total durchgefroren.

Zwei Dinge waren dringend: ein warmer Kaffee. Und eine Toilette. "Die Frau kann auf unsere Personaltoilette", sagte die Bäckersfrau, "Männer grundsätzlich nicht." Und sie zeigte auf einen Tisch mit vier Männern, die offenbar ebenfalls von der A3 gestrandet waren. Sie sahen nicht aus, als ob sie ein Bäckereicafé im Hintertaunus verwüstet zurück lassen würden. Es waren Banker oder Versicherungsmakler oder was man halt so ist links und rechts der A3. Auf jeden Fall durften sie nicht aufs Klo, und deshalb durfte mein Lebensgefährte auch nicht. Sippenhaft. Ungerecht? Total archaisch.

Volle Blase ist doof

"Frauen und Kinder zuerst", das Motto aus der christlichen Seefahrt, mag ja mal seine Berechtigung gehabt haben auf der Titanic. Oder wenn ein Atomangriff aus dem Iran droht und es nur wenige Plätze im Bunker – in welchem Bunker eigentlich? – geben sollte. Selbst bei "Avatar" und ähnlichen Mythen, in denen nur wenige der Gattung Menschheit überleben, scheint es halbwegs sinnig, lieber Frauen und Kinder zu retten als allzu viele Männer. Um sozusagen das genetische Material zu sichern. Aber in Bad Camberg beim Bäcker? Brauchen wir Frauen, glaub ich, keine positive Diskriminierung. Das ist nicht nur ungerecht. Es ist mir als Frau auch peinlich. Da fährt der Kerl mich sicher durch den Schnee, und dann darf er nicht mal pinkeln gehen? Winter ist Winter, kalt ist kalt, und volle Blase ist doof für alle. Leute, es wird Zeit, dass es Frühjahr wird. 


Über die Autorin:

Ursula Ott, 45, ist stellvertretende Chefredakteurin von chrismon und Chefredakteurin von evangelisch.de. Sie hat auch eine Homepage: www.ursulaott.de.