"Ich betreibe ganz massive Industriespionage"

"Ich betreibe ganz massive Industriespionage"
Mit dem romantischen Spionagethriller "The Tourist" legt Florian Henckel von Donnersmarck sein Hollywood-Debüt vor, in dem Angelina Jolie und Johnny Depp die Hauptrollen übernommen haben.
10.12.2010
Von Martin Schwickert

Mit seinem Abschlussfilm an der Münchner HFF, dem Stasi-Drama "Das Leben der Anderen", lockte Florian Henckel von Donnersmarck, Spross einer schlesischen Adelsfamilie, 1,7 Millionen Zuschauer in die deutschen Kinos, räumte zahlreiche deutsche wie europäische Filmpreise ab und wurde schließlich sogar mit dem Oscar für den besten nicht-englischsprachigen Film ausgezeichnet.

Herr Henckel von Donnersmarck, nach dem Oscar für "Das Leben der Anderen" sind Sie in Hollywood mit Angeboten überschüttet worden. Wie viele Drehbücher haben Sie gelesen?

Florian Henckel von Donnersmarck: So etwa hundert. Am Anfang habe ich jede Woche ein halbes Dutzend gelesen, dann wieder eine Weile lang gar nichts. Wenn man darüber nachdenkt, wie viele Kinofilme einen in den letzten Jahren wirklich begeistert haben, dann sind das nur wenige. Da kann man sich vorstellen, wie klein der Prozentteil bei unverfilmten Filmen ist. Es ist sehr schwer ein Drehbuch zu finden, das etwas hergibt.

Und warum haben Sie sich für dieses Projekt entschieden?

Henckel von Donnersmarck: Ich habe in dem Skript die Möglichkeit gesehen, es zu einem vierhändigen Klavierstück für Angelina Jolie und einen anderen charismatischen Co-Star umzuschreiben. Als dann Johnny Depp zusagte, musste alles ganz schnell gehen, weil er bereits im Mai wieder als Pirat vor der Kamera stehen sollte. Wir mussten Ende Februar mit dem Dreh loslegen und ich hatte nur wenig Zeit das Drehbuch umzuschreiben. Aber der Rausch der schnellen Fertigstellung war auch eine reizvolle Herausforderung.

Das heißt, dass Sie mit Angelina Jolie drehen wollten, stand von Anfang an fest?

Henckel von Donnersmarck: Jeder von den großen Hollywood-Stars hat etwa zwanzig Projekte, mit denen sie sich in unterschiedlichen Phasen beschäftigen. "The Tourist" war eines von Angelina Jolies Projekten. Sie mochte das Skript nicht, fand die Grundidee aber interessant und fragte mich, ob ich das Drehbuch umschreiben könne und gegebenenfalls die Regie übernehmen wolle.

Angelinas Faszination

Was macht für Sie die Faszination an einem Star wie Angelina Jolie aus?

Henckel von Donnersmarck: Angelina ist schön, schillernd, stark und weiblich zugleich. Die Frau hat einfach alles und das wird einem jeden Tag, an dem man mit ihr zusammen dreht, klarer. Sie ist einfach etwas ganz besonderes.

Wie unterscheidet sich ein Hollywood-Dreh von Ihren Erfahrungen in Deutschland?

Henckel von Donnersmarck: Alles ist fast schon absurd luxuriös. Natürlich wird ein Großteil des Budgets darauf verwendet einen Glanz auf die Leinwand zu zaubern, den man mit einem europäischen Budget nicht herstellen könnte. Die Mannschaften sind sehr viel größer. Meine Szenenbildnerin bei "Das Leben der Anderen" hatte drei Leute, die mit ihr gearbeitet haben. In Hollywood ist das leicht das Zehnfache. Jedes Kostüm wird gleich in mehrfacher Ausfertigung hergestellt. Aber sehr viel Geld wird auch darauf verwendet, um den Dreh für alle zu einem wahnsinnig luxuriösen Erlebnis zu machen. Unser gesamtes Filmteam bis zum Beleuchterassistenten hat in Venedig in dem Nobelhotel "Danieli" gelebt. Ich habe beim Studio nachgefragt, ob das wirklich sein muss und wir nicht in irgendetwas Kleineres ziehen sollten. Diese Frage wurde als sehr europäisch empfunden.

Was wird von einem deutschen Regisseur in Hollywood erwartet?

Henckel von Donnersmarck: Deutsch oder Nicht-Deutsch spielt da gar keine Rolle. Hollywood ist ein extrem internationaler Ort. Da wird nur gefragt: Was kannst du? Und nicht: Wer bist du? Aus welchem Land man kommt, gebildet oder ungebildet, jung oder alt – das ist ihnen vollkommen egal, solange sie glauben, dass man dieses große Schiff erfolgreich in den Hafen steuern kann, die Schauspieler einem vertrauen und man in der Lage ist, die Geschichte so erzählen, dass viele Menschen sie sich auch anschauen wollen.

Dies ist erst Ihr zweiter Film. Wie groß war für Sie der Erfolgsdruck?

Henckel von Donnersmarck: Es gibt guten und schlechten Druck. Und den Druck, der einen nervös macht, muss man von sich schieben. Wenn man mit Johnny Depp und Angelina Jolie auf dem Markusplatz dreht, stehen da 70.000 Zuschauer drum herum und schreien sich die Kehle aus dem Hals. Trotzdem muss man für diese ganz intime Zweierszene die entsprechende Ruhe herstellen. Und genauso muss man auch mit den Stimmen im eigenen Kopf umgehen, die einem versuchen Angst zu machen.

Sie haben schon lange vor der Oscarverleihung gesagt, dass Sie nach Hollywood wollen. Woher kommt Ihre Zielstrebigkeit?

Henckel von Donnersmarck: Ich wollte nicht das Gefühl haben in der zweiten Liga gut zu sein, ohne zu wissen, ob ich mich auch in der ersten Liga bestehen kann. Ich möchte lernen, was das amerikanische System kann, aber mit dem Hintergedanken diese Erfahrungen zu nutzen, wenn ich wieder in Deutschland Filme mache.

Totaler Überwachungsstaat

Und was haben Sie in Ihrem ersten Schuljahr in Hollywood gelernt?

Henckel von Donnersmarck: Ich habe mir die Leute zusammen gesucht, die wiederum mit Regisseuren zusammengearbeitet haben, von denen ich etwas lernen kann. Mein Lichtbestimmer hat mit David Fincher seine Farbwelten entwickelt. Mein Kameramann hat mit Peter Weir und Anthony Minghella gearbeitet. Meine Szenenbildnerin hat für Sidney Pollacks letzten Film die Kulissen gebaut. Die Arbeit meiner Kostümbildnerin hatte ich in "Chicago" bewundert. Schon während der Filmschulzeit hatte ich mir eine Liste von Leuten zusammen gestellt, mit denen ich arbeiten wollte, wenn ich es einmal nach Hollywood schaffen sollte. Ich betreibe hier also ganz massive Industriespionage.

Apropos Sidney Pollack. Was ist aus dem amerikanischen Remake von "Das Leben der Anderen" geworden?

Henckel von Donnersmarck: Sidney Pollack und Anthony Minghella hatten gemeinsam die Rechte gekauft und auch schon eine sehr gute Idee. Sie wollten die Geschichte in einem Amerika der nahen Zukunft ansiedeln, das sich nach einem neuen großen Terroranschlag in einen totalen Überwachungsstaat verwandelt hat. Aber dann sind Minghella und Pollack kurz hintereinander gestorben und mittlerweile sind die Rechte wieder an mich zurückgefallen.

Wie wird das deutsche Kino in Hollywood wahrgenommen?

Henckel von Donnersmarck: Sehr gut. Die Türen hat uns damals Tom Tykwer mit "Lola rennt" geöffnet. Man kann die Bedeutung dieses Films nicht hoch genug einschätzen. Das deutsche Kino war damals im Keller. Da kam aus dem Nichts "Lola rennt" und die Leute merkten, dass auch ein deutscher Film schnell, witzig, gut gespielt und einfach nur genial sein kann. Ohne "Lola rennt" wäre es auch sehr schwer gewesen für "Das Leben der Anderen". Aber auch "Der Untergang" wurde in den USA sehr interessiert aufgenommen. Irgendwo zwischen Eichinger und Tykwer wurden mir große Chancen eröffnet.

Beeindruckende Persönlichkeit

Bei der Oscar-Verleihung haben Sie sich bei Arnold Schwarzenegger bedankt. Wie kommen Sie zu diesem Vorbild?

Henckel von Donnersmarck: Schwarzenegger hat mich in meiner Kindheit schon sehr inspiriert, weil der Mann einfach alles machte, was er sich vorgenommen hatte. Die Leute sagten damals: "So ein Typ wie du will Filmstar werden?" Schwarzenegger sagte "Ja" und tat es einfach. Er ist einer, der allen zum Trotz alles schafft. Er ist eine sehr beeindruckende Persönlichkeit. Ich bin gespannt, was er jetzt nach seiner Gouverneurszeit macht. Ihm stehen alle Türen offen. Nur amerikanischer Präsident kann er nicht werden und das schmerzt ihn bestimmt sehr.

Kommt es Ihnen nicht doch manchmal ein wenig surreal vor, wenn Sie gerade einmal vier Jahre nach Beendigung der Filmhochschule in Hollywood mit Leuten wie Johnny Depp und Angelina Jolie drehen?

Henckel von Donnersmarck: Ich bin vorher in meinem Kopf schon so viel mit diesen Leuten umgegangen, dass es mir lange Zeit fast unnatürlich vorkam, nichts mit ihnen zu tun zu haben. Insofern fühle ich mich da, wo ich jetzt bin, sehr wohl.