Wikileaks-Gründer Assange festgenommen

Wikileaks-Gründer Assange festgenommen
Der Gründer der Internetplattform Wikileaks, Julian Assange, ist von der britischen Polizei festgenommen worden. Der 39 Jahre alte Australier sei verhaftet worden, als er zu einem vereinbarten Treffen auf eine Londoner Polizeistation gekommen sei, teilte Scotland Yard am Dienstag mit. Er werde im Laufe des Tages einem Richter in London vorgeführt. Dieser entscheidet dann über eine mögliche Auslieferung Assanges an Schweden.

Assange wird von den schwedischen Behörden wegen des Vorwurfs sexueller Vergehen gesucht. Am Freitag war ein EU-weiter Haftbefehl gegen ihn herausgegangen. Nach Angaben seines Londoner Anwalts Mark Stephens soll Assange in Schweden zu den Vorwürfen zweier Frauen befragt werden. Eine Anklage gegen ihn liege nicht vor. Assange selbst vermutet hinter dem Haftbefehl eine Kampagne der US-Regierung.

Auf der Plattform Wikileaks sind tahlreiche geheime oder vertrauliche US-Dokumente veröffentlicht worden - in den vergangenen Tagen waren es Schriftstücke von US-Diplomaten aus aller Welt.

Fehler im Dokument

Die britische Polizei hatte bereits Ende November einen Haftbefehl für Assange aus Schweden erhalten. Damals hatten sie ihn aber nicht festgenommen, weil das Dokument formale Fehler enthielt. Assange hielt sich Berichten zufolge in Südengland auf. Sein Anwalt hatte aber stets betont, sein Mandant habe seine Adresse bei der Polizei angegeben.

Julian Assange nannte sich einmal Herz und Seele von Wikileaks. Nachdem die britische Polizei den Australier am Dienstag festgenommen und vorerst aus dem Verkehr gezogen hat, stellt sich die Frage: Kann die Enthüllungsplattform ohne ihn weitermachen?

Ist er so wichtig, wie er selbst behauptet? Seine Mitstreiter verkündeten sogleich per Twitter, auch ohne Assange weitere Depeschen zu veröffentlichen - und machten so deutlich, dass Wikileaks keine Ein-Mann-Organisation ist.

Unabkömmlich?

Ob ihr Chef auf seinen Posten als Oberaufklärer zurückkehrt, ist unklar. Er sieht sich schweren Vorwürfen ausgesetzt - allerdings nicht wegen der Veröffentlichung geheimer Akten. Die schwedische Justiz verfolgt ihn vielmehr wegen des Verdachts der Vergewaltigung zweier Frauen. Der Australier bestreitet alle Anschuldigungen. Sollte das Gericht Assange trotzdem verurteilen, dürfte seine Rückkehr an die Spitze von Wikileaks ausgeschlossen sein. Auch so ist er erst mal aus dem Verkehr gezogen. Die spannende Frage lautet: Wie lange?

Assange selbst hält sich offenbar für unabkömmlich. Er bezeichnete sich als «Herz und Seele» der Organisation, als Gründer, Sprecher und Programmierer - neben anderen Dingen. «Wenn Du ein Problem mit mir hast, verpiss Dich», bürstete er einen skandinavischen Aktivisten ab, als dieser ihn in einem Chat kritisierte. Andererseits bezeichnete er sich auch einmal als "Blitzableiter", der Attacken gegen die Organisation auf sich ziehe.

Unterstützer abgesprungen

So oder so, Wikileaks war und ist ein Projekt mit vielen, wenn auch zumeist unbekannten Aktivi sten. Einige hat Assange mit seiner selbstherrlichen Art aber vergrault - neben dem früheren Sprecher Daniel Domscheit-Berg sind im September nach Informationen des US- Magazins "Wired" mehrere Unterstützer abgesprungen. Unabhängig von Assanges Inhaftierung muss Wikileaks mit diesem "Brain Drain" zurechtkommen. Hinzu kommt nun die Frage, ob die Organisation ohne ihren charismatischen, aber auch diktatorischen Chef bestehen kann - oder vielleicht sogar besser funktioniert.

Dass es weitergeht, hat die Organisation am Dienstag per Twitter verkündet. "Die heutige Aktion gegen unseren Chefredakteur Julian Assange wird unsere Arbeit nicht beeinträchtigen: Wir werden heute Abend mehr Depeschen veröffentlichen als üblich", hieß es. Und der Australier selbst hatte wenige Tage vor seiner Verhaftung gedroht: "Wenn uns etwas zustößt, werden die entscheidenden Teile (der US-Diplomaten-Akten) automatisch veröffentlicht."

Finanziell gut ausgestattet

Auch die technische Infrastruktur der Organisation ist von der Festnahme nicht beeinträchtigt. Finanziell steht Wikileaks sogar ausgesprochen gut da. Denn die spektakulären Veröffentlichungen der vergangenen Monate haben den Machern Spenden in die Kassen gespült, die den Betrieb für mehr als ein Jahr ermöglichen sollten. Allein bei der Wau-Holland-Stiftung seien seit Oktober 2009 rund 800.000 Euro eingegangen, sagte der Vorsitzende Winfried Motzkus. Wikileaks bezifferte seinen Finanzbedarf vor einigen Monaten auf mindestens 200.000 Euro pro Jahr, besser 600.000 Euro.

Die Turbulenzen um Wikileaks könnte allerdings ein Konkurrent nutzen: Schon Mitte Dezember will Domscheit-Berg seine Vorstellungen einer Whistleblowing- Plattform der Öffentlichkeit präsentieren.
Verantwortung und Macht sollten bei dem neuen Projekt "möglichst weit aufgeteilt" werden, sagte der frühere Weggefährte mit Blick auf Assanges Verhalten. Die Ideen des Enthüllers ziehen auch jenseits von Wikileaks Kreise.

dpa