Castor-Transport mobilisiert Anti-Atom-Protest im Osten

Castor-Transport mobilisiert Anti-Atom-Protest im Osten
In Ostdeutschland gab es bisher keine große Anti-Atom-Bewegung. Das könnte sich ändern. In einer Woche sollen Castoren mit westdeutschem Atommüll von Frankreich nach Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern rollen. Am Wochenende werden 4000 Atomkraftgegner im Nordosten erwartet.
07.12.2010
Von Martina Rathke

Auch der Sozialismus setzte auf Atomkraft: Im äußersten Nordosten der DDR, zwischen den Inseln Rügen und Usedom, entstand seit Ende der 1960er Jahre das größte Atomkraftwerk der DDR. Mit seinen vier Reaktorblöcken zu je 440 Megawatt Leistung versorgte das Kernkraftwerk "Bruno Leuschner" in Lubmin bei Greifswald die Nordbezirke mit Strom - bis 1990. Dann wurden die Reaktoren wegen Sicherheitsbedenken abgeschaltet, ebenso im Atomkraftwerk Rheinsberg (Brandenburg). Ein 3,2 Milliarden Euro teures, vom Bund finanziertes Stilllegungsprogramm begann. Die strahlende Hinterlassenschaft, immerhin mehr als 5000 Brennelemente, lagern seit 2006 verpackt in 65 Castoren im bundeseigenen Zwischenlager in Lubmin, das eigens für die DDR-Kraftwerke gebaut wurde.

Nun soll neuer Atommüll dazukommen. Voraussichtlich am 14. Dezember startet im französischen Cadarache ein Zug mit hoch radioaktiver Fracht. Die in vier Castoren verstauten Brennelemente sind bundesdeutscher Forschungsmüll und stammen aus dem Forschungszentrum Karlsruhe und dem Atomfrachter "Otto Hahn". Dass dieser Atommüll im einst ausschließlich für ostdeutschen Abfall geplanten Zwischenlager deponiert werden soll, erzürnt die Gemüter und lässt eine vorher praktisch nicht existierende Anti-Atom-Bewegung im Nordosten entstehen.

Quartiere in Kirchengemeinden

"Das Protestpotenzial ist deutlich gewachsen", konstatiert Grünen-Aktivistin Ulrike Berger. Neben dem Bruch früherer Absprachen sieht sie als weiteren Grund die geplante Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken.

Unterstützung kommt aus der Politik. Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) äußerte jüngst im Landtag Sympathien für friedliche Proteste gegen den Castor-Transport: "Mich ärgert das, dass die Bundesregierung Atomschrott aus dem Westen in Lubmin einlagern will, und dass wir diese Transporte auch noch mit unserer Landespolizei absichern müssen." Atomgegner fühlen sich bestätigt. "Solche Aussagen freuen uns natürlich sehr", sagt Felix Leipold vom Anti-Atom-Netzwerk.

Greifswalder und auch Kirchengemeinden stellen Quartiere für einen Teil der rund 4000 erwarteten Atomkraftgegner bereit, die unter anderem aus dem Wendland anreisen wollen. Am Samstag soll es eine erste Kundgebung in Greifswald geben. Und selbst Innenminister Lorenz Caffier (CDU) sagte, er sei "nicht glücklich" darüber, dass das Land die Transporte hinnehmen müsse.

Ursprünglich rot-grüne Pläne

Die Castor-Transporte unterliegen dem Atomgesetz, für die Genehmigung ist allein der Bund verantwortlich. Erste Schritte für die Zwischenlagerung bei Greifswald waren 2004 unter der rot-grünen Bundesregierung eingeleitet worden.

Die Zwischenlagerung der Abfälle in Lubmin ist bis 2039 befristet. Angesichts des Endlosstreits um ein atomares Endlager für hoch radioaktive Abfälle gibt es jedoch Befürchtungen, dass der Atommüll über den Genehmigungszeitraum hinaus in Lubmin lagern wird. Selbst die Energiewerke Nord als Betreiber des Zwischenlagers schließen angesichts der Endlager-Debatte eine längere Lagerung in Lubmin inzwischen nicht mehr aus.

Die angekündigten Proteste haben die Polizei aufrüsten lassen. In Lubmin wurden inzwischen Absperrgitter aufgestellt und Stacheldraht ausgerollt. Die Atomkraftgegner haben angekündigt, ihre Proteste auf die letzten 22 Kilometer Bahnstrecke zwischen Greifswald und Lubmin konzentrieren zu wollen. Neben Sitzblockaden planen sie Mahnwachen und "kreative Aktionen".

Atommüll-Transport gestoppt

Am Montag hatte Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) den umstrittenen Atommüll-Transport aus dem Zwischenlager Ahaus nach Russland vorerst gestoppt. Der Zielort, die Wiederaufbereitungsanlage Majak im Ural, sei nicht in Betrieb, begründete Röttgen am Montag in Bonn seine Entscheidung. Die 951 Brennelemente, die ursprünglich aus einem DDR-Forschungsreaktor stammen, werden nun im westfälischen Ahaus bleiben. Die Umweltorganisation Greenpeace sprach von einer überfälligen Entscheidung.

Röttgen sagte vor dem Abflug zum Klimagipfel nach Cancún, er sei nach sorgfältiger Prüfung "zu der Überzeugung gekommen, dass gegenwärtig nicht angenommen werden kann, dass die Voraussetzungen für eine schadlose Verwertung vorliegen".

dpa