"Im Flugzeugbau kann ein winziger Fehler enormen Schaden anrichten", sagte die Richterin mit ernster Stimme, als sie das Urteil im Concorde-Prozess verlas. Ein Metallteil, kaum größer als ein Lineal, hatte vor gut zehn Jahren am 25. Juli 2000 zu einem der folgenreichsten Unfälle der Luftfahrt geführt. 113 Menschen starben. Unter den Opfern waren 97 Deutsche, die von New York aus zu einer Kreuzfahrt starten wollten. Das Unglück läutete das Ende der Concorde ein.Zugleich war der Mythos des Überschallflugzeugs zerstört, das die Strecke Paris-New York in dreieinhalb Stunden schaffte.
Die französischen Richter schlossen zahlreiche Thesen aus und folgten am Montag schließlich der Darstellung der Anklage und dem schon lange vorliegenden Gutachten der Flugunfallermittler: Demnach schlitzte eine Titan-Lamelle auf der Startbahn einen der Reifen wie ein Messer auf, Gummiteile durchschlugen den Treibstofftank, das auslaufende Kerosin fing Feuer. Nicht einmal zwei Minuten nach dem Start stürzte die Concorde in einem Pariser Vorort auf ein Hotel. Alle Menschen an Bord sowie vier Menschen im Hotel kamen ums Leben.
Opferanwalt: Urteil ist ein Bauernopfer
War die Concorde nicht sicher genug gebaut, um ein Schrottteil auf der Startbahn zu verkraften? Oder lag die Schuld bei der US- Fluggesellschaft Continental Airlines? Eine ihrer Maschinen hatte wenige Minuten zuvor eine fehlerhaft befestigte Lamelle verloren.
Die Richter entschieden sich für Letzteres: Continental Airlines wurde zu 200.000 Euro Strafe verurteilt und muss außerdem eine Million Euro Schadenersatz an Air France zahlen - unter anderem für den erlittenen Imageschaden. Der für die Titan-Lamelle verantwortliche Continental-Mechaniker, John Taylor, erhielt 15 Monate Bewährung wegen fahrlässiger Tötung.
Der frühere Chef des Concorde-Programms, Henri Perrier, wurde hingegen freigesprochen. Ihm sei lediglich vorzuwerfen, dass er das Brandrisiko unterschätzt habe, sagte die Richterin. Allerdings müsse sich sein damaliger Arbeitgeber, heute das Luft- und Raumfahrtunternehmen EADS Frankreich, zu 30 Prozent an noch ausstehenden Entschädigungszahlungen für die Hinterbliebenen der Opfer beteiligen.
Weder der frei gesprochene Perrier noch der verurteilte Taylor waren bei der Urteilsverkündung anwesend.
Opfer-Anwalt Christof Wellens wertete das Urteil als unbefriedigend. Die Verurteilung des Monteurs sei "ein Bauernopfer", sagte Wellens am Montag in Mönchengladbach. Es sei seltsam, dass die französische Justiz so lange gebraucht habe, um zu einem Urteil zu kommen, das auf einem neun Jahre alten Untersuchungsbericht basiere.
Continental will das Urteil anfechten
Für die deutschen Hinterbliebenen hat das Urteil nur noch symbolische Bedeutung. Etwa 700 Angehörige der Opfer des Flugs AF 4590 hatten sich innerhalb einer Rekordzeit von nur einem Jahr mit Air France und ihrer Versicherung auf hohe Entschädigungen geeinigt. Insgesamt soll ein dreistelliger Millionenbetrag geflossen sein.
Die US-Fluglinie Continental Airlines hatte sich von dem französischen Star-Anwalt Olivier Metzner vertreten lassen, der umgehend ankündigte, das Urteil anzufechten. "Es ist eine nationalistische Entscheidung, die vor allem französische Interessen schonen soll", sagte er. Dies sei eindeutig Protektionismus. Er hält weiter an der von Experten widerlegten These fest, dass das Flugzeug schon brannte, bevor es die Lamelle erwischte.
"Es gab ein großes politisches Interesse, die Concorde-Flugzeuge ganz schnell wieder in die Luft zu bringen", sagte der damals beteiligte Berliner Anwalt Heiko van Schyndel am Montag der dpa. Als Nebenkläger habe sich kein Deutscher an dem Verfahren beteiligen wollen. "Das ist zehn Jahre her, warum sollen wir die alten Wunden wieder aufreißen?", fragte van Schyndel.
Das Unglück beendete den Einsatz des Überschallflugzeugs. Die französischen und britischen "Donnervögel", die in nur dreieinhalb Stunden von Europa nach New York flogen, wurden 2003 aus dem Betrieb genommen.