Die spirituelle Dimension des Kosmos

Die spirituelle Dimension des Kosmos
Mithilfe namhafter Naturwissenschaftler zeigt die Dokumentation "Das kreative Universum": Zufall und kalte Kausalität sind zu wenig - hinter dem Kosmos muss irgendwie noch mehr stecken.
06.12.2010
Von Ulrich Pontes

Die destruktive Kraft des Menschen: Etwas überraschend steigt "Das kreative Universum" mit Bildern von den Anschlägen des 11. September 2001 ein. An diesem Tag sei die Spannung zwischen westlich-säkularer Welt und Religion explodiert, heißt es unter Berufung auf den Philosophen Jürgen Habermas. Ein Paukenschlag, um die Fragestellung des Films zu motivieren: Wäre nicht, in Anbetracht der zentralen Rolle moderner Naturwissenschaft für die westliche Kultur, eine Annäherung zwischen Wissenschaft und Religion hilfreich, um die Front zwischen dem Westen und der Religion zu befrieden? Stehen sich Wissenschaft und Spiritualität denn wirklich so unvereinbar gegenüber, wie oft angenommen und von Richard Dawkins und anderen Galionsfiguren des neuen Atheismus unermüdlich behauptet?

Zu Wort kommen Vertreter unterschiedlicher Weltbilder

Natürlich nicht - das ist die These des Dokumentarfilms von Rüdiger Sünner, der am 6. Dezember in der Berliner Urania offiziell Premiere feiert und dann in ausgewählten Kinos zu sehen sowie auf DVD zu kaufen sein wird. Was die beiden so unterschiedlichen Sphären menschlicher Erkenntnis verbinden könnte, versucht Sünner in den verbleibenden rund 80 Minuten zu ergründen. Dabei vermeidet er erfreulicherweise die beim Thema Glaube und Wissenschaft übliche Polarisierung: Atheisten und Kreationisten, überhaupt alle Vertreter unversöhnlicher Extrempositionen bleiben außen vor. Sünner hält sich durchweg an moderate, besonnen wirkende Forscher, deren Weltbild aber noch irgendwie über den klassischen Zuständigkeitsbereich der Naturwissenschaften hinausreicht.

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Vom Urknall über die Entstehung des Lebens bis zu Sinn- und ethischen Fragen der Menschheit zeichnet Sünner, unterlegt von oft meditativ ruhigen Bildern und Grafiken, die wesentlichen Stationen der kosmologischen und biologischen Evolution nach. Dann dürfen jeweils Interviewpartner sinnieren, wie sie das aus übergeordneter Perspektive interpretieren.

Zu Wort kommt dabei eine schillernde Schar von Forschern - durchweg Männer, über Mitte 50 und weiß, aber Vertreter unterschiedlicher Weltbilder: Neben Christen hat Sünner auch Anthroposophen, Sympathisanten des Buddhismus und Vertreter einer naturzentrierten Spiritualität befragt. Darunter sind durchaus namhafte Forscher wie der Träger des alternativen Nobelpreises Hans-Peter Dürr, der langjährige Direktor der Vatikanischen Sternwarte George Coyne oder der Neurobiologe Joachim Bauer, Autor des Buches "Das kooperative Gen".

Spannungsfeld von Glauben und Wissenschaft

Dass der Film unterschiedliche Ansätze zur Verbindung von Wissenschaft und Spiritualität vereint, ist zugleich Stärke und Schwäche. Stärke, denn die These, dass Naturwissenschaft keinesfalls zum dogmatischen Naturalismus führen muss, dass vielmehr ein streng naturwissenschaftlicher Blick allein den vielfältigen Dimensionen des Lebens nicht gerecht wird, bekommt so breite Unterstützung. Und natürlich ist es verdienstvoll, unterschiedliche Positionen ins Gespräch zu bringen und das Verbindende zu suchen.

Allerdings scheint Sünner, der selber wohl der Anthroposophie nahe steht, um des gemeinsamen Nenners willen die spezifischeren Glaubensüberzeugungen der Forscher bewusst auszublenden. Jedenfalls erwähnt er ihre Religionszugehörigkeit im Film nicht. Und schreibt im Presseheft, es müsse kein fertiger Gottesbegriff herausspringen und erst recht keine Bestätigung traditioneller Glaubensdogmen: "Spiritualität kann gerade entstehen, wenn es bei nicht fixierbaren Ahnungen von etwas Größerem bleibt, die uns jedoch innerlich weit und gleichzeitig bescheiden machen.“

Aus christlicher Sicht schade ist, dass dadurch wesentliche Fragen aus dem Spannungsfeld von (christlichem) Glauben und Wissenschaft außen vor bleiben, etwa nach Gebet, Gottes Handeln und Ewigkeit. Verhängnisvoll ist aber, dass im Zuge der weltanschaulichen Unentschiedenheit auch kategorial verschiedene Aussagen über einen Kamm geschert werden: Naturwissenschaft und philosophische Reflexion, persönliche Motivationen und Glaubensüberzeugungen, Mythen und esoterische Pseudowissenschaft stehen gleichberechtigt und für Laien oft kaum unterscheidbar nebeneinander.

So macht der Film etwa die Aussage: "Der Grund der Welt besteht letztlich nur aus Beziehungen." Das ist aus Sicht der Teilchenphysik zwar nicht falsch, dürfte in dieser Formulierung aber zwangsläufig zu Über- und Fehlinterpretationen führen. Später stellt der Film unbestreitbare Wissenslücken über die Entstehung des Lebens neben anthroposophisch motiviertes Raunen darüber, wie Wasser - "von allen Elementen vielleicht das geheimnisvollste" - in seinen Strömungsmustern schon die Urformen allen Lebens enthalte.

Spannende Einblicke in ein oft vernachlässigtes Thema

Unterm Strich drohen Forscher wie Vatikan-Astronom Coyne oder der Physik-Professor und anglikanische Priester John Polkinghorne, die trotz ihres Glaubens fest auf dem Boden der etablierten Naturwissenschaft stehen, vom Zuschauer in eine Schublade gesteckt zu werden mit denjenigen, die sich um eines ganzheitlichen Ansatzes willen aus dem methodischen Konsens der Naturwissenschaften verabschiedet haben. Oder anders gesagt: Manche esoterisch anmutenden Äußerungen im Film könnten auch die übrigen O-Ton-Geber in Misskredit bringen.

Fazit: "Das kreative Universum" bietet spannende Einblicke in ein oft vernachlässigtes Thema. Viel Stoff zum Reden und Nachdenken - genießbar aber nur mit einer gehörigen Portion kritischer Distanz.


Ulrich Pontes ist freier Journalist in Mainz und interessiert sich besonders für Themen im Grenzbereich von Wissenschaft und Weltbild.