Stuttgart 21: Kostendebatte nach Schlichterspruch

Stuttgart 21: Kostendebatte nach Schlichterspruch
Einen Tag nach dem Schlichterspruch von Vermittler Geißler steht fest, der Streit um "Stuttgart 21" ist nicht zu Ende. Wegen der geforderten Nachbesserungen drohen noch mehr Kosten, und damit verbunden stellt sich die Frage, wer sie tragen soll. Verkehrsminister Ramsauer will die Konsequenzen für den Bund prüfen.

Schlichter Heiner Geißler hatte sich am Dienstag für einen Weiterbau des Projekts ausgesprochen, aber deutliche Verbesserungen gefordert. Ein Abbruch der Bauarbeiten wäre nach seiner Ansicht zu teuer. Ein landesweiter Volksentscheid sei rechtlich nicht möglich.

Bahnvorstand Volker Kefer muss voraussichtlich zu den zu erwartenden Mehrkosten durch die Verbesserungsvorschläge Stellung beziehen. Sollten diese sehr hoch ausfallen, droht das Milliardenprojekt womöglich doch noch zu kippen. Bahnchef Rüdiger Grube hatte am Dienstag gesagt, die Bahn könne ihre Kostenobergrenze von 4,526 Milliarden Euro auch nach den geforderten Verbesserungen des Schlichters einhalten.

Finanzielle Lasten für den Bund prüfen

Wie Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) der "Leipziger Volkszeitung" (Mittwoch) mit Blick auf mögliche Mehrkosten sagte, woll die Bundesregierung "den Schlichterspruch ernst nehmen und zunächst mögliche Konsequenzen für den Bund prüfen".

Mappus äußerte sich am Dienstagabend im ZDF-"heute journal" und in den ARD-"Tagesthemen" zuversichtlich, dass es zu keinen großen Mehrkosten kommen wird. "Aber, je nachdem wie es läuft, werden sich die Projekt-Träger zusammensetzen und eine Lösung suchen", sagte er in der ARD. Auch hier sei Transparenz für die Bürger angesagt.

Im ZDF sagte Mappus: "Ich kann im Moment noch nicht erkennen, wo 500 Millionen Mehrkosten notwendig sein sollten." Es könne auch möglich sein, dass gar keine Mehrkosten entstehen. Er betonte zudem, dass es keinen Baustopp geben werde. "Der würde nämlich noch sehr viel mehr Geld kosten."

Grüne für Volksentscheid

Der Schlichterspruch von Heiner Geißler zum umstrittenen Bahnprojekt Stuttgart 21 wird nach Einschätzung der Grünen die Situation in der Landeshauptstadt nicht befrieden. "Ich glaube nicht, dass der Protest aufhört", sagte der Grünen-Verkehrspolitiker Winfried Hermann am Mittwoch im ZDF-"Morgenmagazin". Geißler habe sich doch recht deutlich für den Bau des Projekts ausgesprochen und damit "den Gegnern und dem Protest eigentlich eine rote Karte gezeigt".

Hermann, der auch Vorsitzender des Bundestags-Verkehrsausschusses ist, ergänzte: "Ich glaube nicht wirklich, dass die Gemüter beruhigt werden, weil am Ende heißt es, es geht weiter." Zudem argumentierten die Menschen, dass so viel Geld für einen neuen Bahnhof ausgegeben werde, der nicht besser sei als der alte. Dann sollte lieber der alte Bahnhof modernisiert werden.

Geißlers Verbesserungsvorschläge seien auch nicht billig, sagte Hermann. Sie kosteten 500 Millionen bis 1 Milliarde Euro mehr. "Und dann wird ein Projekt, das sich ohnehin schon kaum rechnet, weil es viel zu teuer ist, noch unwirtschaftlicher." Die Vorschläge machten zudem ein neues Planfeststellungsverfahren erforderlich. Der Grünen-Politiker sprach sich erneut für einen Volksentscheid oder eine Volksbefragung über Stuttgart 21 aus.

Bau geht weiter, Protest auch

Die Bahn kündigte an, die Bauarbeiten wieder aufzunehmen. Zuvor würden die Ergebnisse der Schlichtung jedoch sorgfältig analysiert, sagte Bahnvorstand Volker Kefer. Er versprach, künftig bei großen Vorhaben stärker den Austausch mit den Bürgern zu suchen: "Wir glauben, dass ein gesellschaftlicher Grundkonsens für Großprojekte nötig ist."

Tübingens Bürgermeister Boris Palmer (Grüne), der auf der Seite der Projekt-Gegner an den Schlichtungsgesprächen teilnahm, erwartet dagegen, dass zahlreiche teure Nachbesserungen notwendig sind. "Man kann doch nicht weiterbauen, wenn man noch gar nicht weiß, was gebaut werden soll", sagte er im ZDF. Deshalb sei ein Baustopp logisch.

Grünen-Fraktionschef Winfried Kretschmann kündigte in der ARD an: "Wir werden weiter protestieren, denn die Schlichtung hat ja gezeigt, dass unser Konzept Kopfbahnhof tatsächlich machbar und realisierbar ist."

Die Stuttgart21-Gegner haben bereits zu weiteren Protesten aufgerufen. Die "Parkschützer" wollen am kommenden Samstag (4. Dezember) wieder Zehntausende Demonstranten zu einer Großdemonstration vor dem Hauptbahnhof versammeln. Schon kurz nach dem Schlichterspruch hatte sich eine Spontandemo mit rund 100 Menschen am Nordflügel des Hauptbahnhofs gebildet.

"Bürger stärker beteiligen"

Die Aggression der Projektgegner werde nun mit hoher Wahrscheinlichkeit zunehme, sagte der Tübinger Politikwissenschaftler Hans-Georg Wehling der Nachrichtenagentur dpa. Er bezeichnete die sofortigen Proteste der Stuttgart21-Gegner als problematisch und bedenklich. "Auch wenn die Atmosphäre im Rathaus während der Schlichtungsrunde immer sehr sachlich und professionell war, so wissen wir nicht, welche Auswirkungen das Ende der Schlichtungsrunde nun auf das künftige Verhalten der Projektgegner haben wird."

Der CSU-Landesgruppen-Chef im Bundestag, Hans-Peter Friedrich, sieht großen Handlungsbedarf bei der Einbeziehung der Bürger. "Wir brauchen mehr Beteiligung der Bürger und weniger Querschüsse der Berufsprotestierer", sagte Friedrich der "Passauer Neuen Presse" (Mittwoch). Wer die Bürger umfassend und frühzeitig an dem Verfahren beteilige, brauche keinen Volksentscheid.

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) begrüßte den Schlichterspruch und rief alle Beteiligten auf, das Ergebnis zu akzeptieren. Auch sie sprach sich in der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Mittwoch) dafür aus, die Bürger in Zukunft bei großen Infrastruktur-Projekten weitaus stärker zu beteiligen. FDP-Generalsekretär Christian Lindner schlug in der "Rheinischen Post " (Mittwoch) vor, über Großprojekte künftig bereits in der Planung per Bürgerentscheid abstimmen zu lassen.

Bahn und Regierung nehmen zu Stresstest Stellung

Nach dem Schlichterspruch zu Stuttgart21 wollen Bahn und Landesregierung am Mittwoch bekanntgeben, wie das umstrittene Projekt den sogenannten Stresstest bestehen soll. Bei dieser Computersimulation zur Leistungsfähigkeit des geplanten Stuttgarter Tiefbahnhofs muss eine 30-prozentige Leistungssteigerung in der Spitzenzeit erreicht werden. Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus und Verkehrsministerin Tanja Gönner (beide CDU) wollen sich dazu am Vormittag äußern.

dpa