So ein bisschen drängte sich der Vergleich mit dem weisen alten Yedi-Meister Yoda auf, als Heiner Geißler mit verschmitzter Miene hinter dem Mikrofon Platz nahm. In die gespannte Stille im Saal lieferte er sein Urteil: Stuttgart 21 sollte weiter gebaut werden. Aber es sind noch wesentliche Nachbesserungen an den Bauarbeiten nötig, wie schon in den Schlichtungsgesprächen angeklungen war.
Um die Wirkung seines Spruches war sich Heiner Geißler sehr wohl bewusst, wie er einleitend sagte: "Es war klar, dass mit dem Schlichterspruch keine rechtliche Wirkung verbunden war, wohl aber eine politische und psychologische." Und die psychologische Wirkung war deutlich: Die Gegner von Stuttgart 21 nahmen seine Ausführungen mit länger werdenden Gesichtern hin. Nach dem Schlichterspruch skandierte eine Gruppe Projektgegner "Lügenpack" ins Rathaus.
"Es kommt für mich nicht in Frage, am Ende alles offen zu lassen", skizzierte Geißler seine Mission. Und dann sagte er in deutlichen Worten, wie Stuttgart 21 aus seiner Sicht weiterlaufen solle. Die Projektgegner hätten zwar gute Argumente und ein tragbares Gegenkonzept vorgelegt. "Dennoch halte ich die Fortführung des Projektes Stuttgart 21 für richtig." Auch ein Baustopp sei nicht absehbar.
Deutliche Verbesserungen - und keine weiteren Bäume fällen
Für die konkrete Planung und Finanzierung eines neuen Kopfbahnhofs sei es schon zu spät, erläuterte Geißler, die Verwirklichung sei nicht gesichert. "Für S21 dagegen gibt es eine Baugenehmigung, und das ist für die Deutsche Bahn gleichbedeutend mit einem Baurecht." Geißler argumentierte vor allem mit den Kosten des Ausstiegs aus dem Projekt, die im Schlichtungsprozess von drei Wirtschaftsprüfungsgesellschaften geprüft worden waren. Dabei kamen Summen zwischen einer und anderthalb Milliarden Euro heraus - "das ist viel Geld dafür, dass man am Ende nichts hat."
Aber auch wenn Heiner Geißler keine Möglichkeit zu einem Kompromiss zwischen Tiefbahnhof und Kopfbahnhof sah, müssen sich Bahn und Projektgegner trotzdem weiterhin an einen Tisch setzen. "Entschärfung des Konflikts kann nur noch darin gesucht werden, wichtige und berechtigte Kritikpunkte der Projektgegner aufzugreifen", betonte der Schlichter. "Stuttgart 21+" nannte Geißler die verbesserte Version der ursprünglichen Planung.
Unter anderem müssten die Grundstücke in der Stuttgarter Innenstadt, die durch die Verlegung des Bahnhofs nach unten frei werden, "der Spekulation entzogen " und in eine Stiftung überführt werden. Eine "Frischluftschneise" durch Stuttgart in Form einer Parkanlage müsse erhalten bleiben ebenso wie die Bäume im Schlosspark. Wenn Bäume weichen müssten, so Geißler, müssen sie umgepflanzt statt gefällt werden. Weitere Maßnahmen umfassten zwei zusätzliche Gleise, einen kreuzungsfreien Ausbau, "entscheidende Verbesserungen" bei Verkehrssicherheit, Barrierefreiheit und Brandschutz im Bahnhof und den Tunneln und einen Stresstest des Verkehrsknotens Stuttgart 21 in einer Simulation.
Vorschlag zur weiteren Schlichtung "unter Vorsitz der Bischöfe"
Dabei müsse die Bahn auch den Leistungszuwachs von 30 Prozent nachweisen - "mit guter Betriebsqualität". Der Stresstest müsse von einer unabhängigen Stelle geprüft werden. Welche Baumaßnahmen davon realisiert werden, hängt von den Ergebnissen der Simulation ab. "Diese von mir vorgetragenen Vorschläge werden von beiden Seiten für notwendig gehalten", betonte Geißler, ein Ergebnis der sehr faktenorientierten Schlichtung, die der Vermittler noch einmal ausdrücklich lobte.
Heiner Geißler wusste, dass sein Schlichterspruch nicht unbedingt bei allen auf Zustimmung stoßen würde: "Es ist damit zu rechnen, dass der Protest trotz Stuttgart 21+ fortgesetzt wird." Das Recht auf friedliche Demonstration sei ein "fast heiliges Recht", sagte Geißler bei der anschließenden Pressekonferenz, das Demonstrationsrecht wolle er mit dem Schlichterspruch niemandem absprechen. Er empfahl den Konfliktparteien aber, das Vorbild der Schlichtung weiterzuführen.
Für künftige Fragen, von der Umsiedelung der Bäume im Schlosspark bis zur Umsetzung der Ergebnisse und Erfordernisse aus der Simulation, empfahl Geißler eine "situationsbedingte Schlichtung in ähnlicher Situation" wie die gerade zu Ende gegangene Faktenschlichtung unter seiner Leitung. Dafür schlug Geißler vor, "möglicherweise unter Vorsitz der Bischöfe" miteinander zu reden.
Mappus: "Keine Gewinner, keine Verlierer"
Die Reaktionen der Beteiligten auf der Pressekonferenz nach dem Schlichterspruch fielen erwartungsgemäß aus. Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) sagte, es gebe "keine Gewinner und keine Verlierer". Die von Geißler aufgebrachten Punkte müssten "transparent und vollständig" abgearbeitet werden. Bahnvorstand Volker Kefer sagte: "Wir werden sicherlich nicht morgen früh wieder die Bagger rollen lassen." Die Bahn wolle die Ergebnisse der Schlichtung erstmal analysieren.
Für die Projektgegner forderte die BUND-Landeschefin Brigitte Dahlbender einen Bau- und Vergabestopp bis mindestens zum Stresstest in der Simulation. Stuttgart 21 sei "weiterhin in Frage gestellt", der Schlichterspruch sei "kein Weg, den wir im Grundsatz akzeptieren können." Sie kündigte weiteren friedlichen Protest an, da das Konzept des Kopfbahnhofs nach wie vor das bessere sei.
Und am Ende seines Schlichterspruches gab Geißler den Parteien noch eine Spitze mit auf den Weg: Für den kommenden Landtagswahlkampf empfahl er seinen Politikerkollegen, auf dem Niveau der jetzt geführten Schlichtung zu diskutieren: Dann hätten sie bessere Wahlchancen.
Hanno Terbuyken ist Redakteur bei evangelisch.de, zuständig für das Ressort Umwelt + Wissen, und schreibt das Blog "Angezockt".