Graumann für ein "neues, frisches Bild vom Judentum"

Graumann für ein "neues, frisches Bild vom Judentum"
Kontinuität und Wandel: Auf den neuen Präsidenten des Zentralrats der Juden warten schwierige Herausforderungen. Sowohl intern als auch hinsichtlich der Rolle des Zentralrats in der Öffentlichkeit.
29.11.2010
Von Rainer Clos

Die Wahl von Dieter Graumann zum jüdischen Zentralrats-Präsidenten markiert einen Einschnitt. Zumindest aber steht der 60-Jährige für einen Generationswechsel. Denn Graumann ist der erste Präsident des vor 60 Jahren gegründeten Zentralrats, der nach dem Holocaust geboren wurde. Auf ihn und die neue Führungsspitze warten große Herausforderungen - sowohl im Blick auf innerjüdische Aufgaben als auch hinsichtlich der Rolle des Zentralrats in der Öffentlichkeit

"Neues, frisches Bild vom Judentum".

Es komme auf eine kluge Kombination von Kontinuität und Wandel an, sagte Graumann am 9. November in seiner Rede in der Frankfurter Paulskirche, die durchaus als Regierungserklärung gelesen werden kann. Darin korrigiert der Frankfurter Volkswirt auch den Eindruck, dass er im Unterschied zu seiner Vorgängerin Charlotte Knobloch (78) die Emotionen vernachlässige. "Wir waren zwar nicht selbst in der Schoah. Aber die Schoah ist doch immer uns", sagt Graumann über die Kinder der Holocaust-Opfer.

Dass die Erinnerung an die Vernichtung des europäischen Judentums eine zentrale Aufgabe des Zentralrats bleiben wird, daran lässt er keinen Zweifel. Und dennoch dürfe der Holocaust nicht zu einer "neuen jüdischen Ersatzidentität" werden. Unmittelbar nach seiner Wahl stellte er infrage, ob der Zentralrat immer nur "Dauermahner" und "Moralwächter" sein wolle. Der neue Spitzenrepräsentant warb für ein "neues, frisches Bild vom Judentum". Seine Religion stehe nicht für Katastrophen und Verfolgung, es stehe für Werte, Leidenschaft und Tradition.

Künftig soll unter Graumann auch in gesellschaftlichen Fragen wie etwa Integration oder Ethik die jüdische Stimme vernehmbar sein. Der jüdische Publizist Günther B. Ginzel rät, die Flut von Stellungnahmen einzudämmen, sich auf wichtige Punkte zu konzentrieren. "Graumann kann das", sagt Ginzel.

25 Jahre Jüdische Gemeinde Frankfurt

Als Sohn von Holocaust-Überlebenden wurde Graumann 1950 in Israel geboren. Aus gesundheitlichen Gründen kehrten die Eltern nach Deutschland zurück und änderten den Vornamen ihres Sohnes von David in Dieter. Nach dem Abitur studierte er Volkswirtschaft und Rechtswissenschaft. Mehrere Jahre war Graumann bei der Bundesbank tätig, ehe er die väterliche Immobilienverwaltung übernahm. Gefördert von Ignatz Bubis (1927-1999) engagiert er sich seit 25 Jahren in der Jüdischen Gemeinde Frankfurt.

Bereits in der Vergangenheit bewies Graumann Verhandlungsgeschick, als es um die Neuregelung der Zuwanderung von Juden aus der ehemaligen Sowjetunion sowie die Anpassung des Staatsvertrages ging. Darin verpflichtet sich der Bund, den Zentralrat für dessen Aufgaben zur Erhaltung und Pflege des deutsch-jüdischen Kulturerbes, beim Aufbau der jüdischen Gemeinschaft sowie für integrationspolitische und soziale Zwecke jährlich mit fünf Millionen Euro zu unterstützen. Graumann sorgte dafür, dass es dabei auch zum Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Strömungen im Judentum kam. Hart in der Sache, aber nicht unnachgiebig wird sein Auftreten beschrieben.

"Pluralität ist die neue Normalität"

Nach dem Zerfall des Kommunismus ist die jüdische Bevölkerung in Deutschland auf rund 105.000 Gemeindemitglieder gewachsen. Durch die Zuwanderung von Juden aus der ehemaligen Sowjetunion seit 1990, die immerhin 80 Prozent der jüdischen Bevölkerung ausmachen, ist das jüdische Leben in Deutschland pluraler, mitunter auch spannungsvoller geworden, wie sich an Konflikten in manchen Gemeinden zeigt. "Pluralität ist die neue Normalität", sagt Graumann.

Doch trotz des Zuzugs wird die Zahl der Mitglieder der jüdischen Gemeinden durch die demografische Entwicklung künftig kleiner. Viele Gemeinden sind überaltert, die Sterberate ist um ein Vielfaches höher als die Geburtenrate. Jüdische Gemeinden, in denen Gemeindezentren und Synagogen in den zurückliegenden Jahren entstanden, müssen sich auch angesichts knapper Finanzen auf schwierigere Zeiten einstellen.

epd