Besuch im Jugendtreff am Bügel in Frankfurt-Niedereschbach, eine Einrichtung des Evangelischen Vereins für Jugendsozialarbeit in Frankfurt am Main. Ein paar Jungen spielen Tischtennis, andere brüten über ihren Hausaufgaben, im Mädchenbereich wird gerade die Küche renoviert. Rund 60 Jugendliche kommen im Schnitt täglich in den Jugendtreff, auch um Musik zu machen, Sport zu treiben – oder einfach gemütlich zusammen zu sitzen.
Die meisten haben einen Migrationshintergrund. Einige besuchen eine Realschule, ein Gymnasium oder eine Berufsschule. Was diese Jugendlichen zum Thema Integration und "multikulti" zu sagen haben, klingt vernünftig und durchdacht, sie kennen und reflektieren ihre Situation gut. Daniel (16), dessen Eltern aus Eritrea stammen, sagt zum Beispiel – mit einer gewissen Selbstironie – "Das einzige, was mich wundert, ist: dass hier im Jugendtreff so wenig Leute mit deutschem Migrationshintergrund sind."
"Wir sind alle Eschbacher"
Vielleicht ist das der Grund für die Harmonie, die unter diesen Jugendlichen herrscht: Die Familien von Daniels Freunden stammen aus Afghanistan, der Türkei oder Marokko. Sie sind in derselben Situation, verstehen einander und können sich nur auf deutsch verständigen. "Wir sind alle Eschbacher", sagt Daniel und grinst. Der Realschüler weigert sich einfach, die Integrationsdebatte so zu führen, wie sie in Politik und Öffentlichkeit geführt wird: "In den Medien wird viel gegen den Islam gehetzt. Sarrazins Buch hat das ein bisschen verschärft. Ich weiß auch nicht, wo der das aufgeschnappt hat".
Die von Christina Schröder erwähnten deutschenfeindlichen muslimischen Jugendlichen kennt Daniel nicht, offenbar ist seine Welt in Frankfurt-Niedereschbach friedlicher als manche Stadtviertel von Berlin. "Wir leben doch hier", sagt Daniel. "Man kann doch nicht, wenn man Gast in einem Haus ist, den Gastgeber beleidigen." Sein Freund Nawid (16) ergänzt: "Es gibt überall Gute und Schlechte, ob bei Deutschen oder Ausländern." Seine Eltern kommen aus Afghanistan.
Die Mädchen leben "multikulti"
Genauso wie Nawid sehen es Riem (17, Eritrea), Mina (19, Afghanistan) und Yasmin (17, ihr Vater ist Türke). Die drei jungen Frauen sitzen auf einem Sofa im Jugendtreff und entspannen sich von den Hausaufgaben. Fragen über Integration, Abgrenzung und Vorurteile beantworten sie gern, denn sie wünschen sich eine positivere Darstellung. Für sie ist "multikulti" nicht gescheitert, wie Angela Merkel es ausgedrückt hat. "Die Medien sollten zeigen, dass es auch gemeinsam geht", fordert Mina.
Politiker müssen ihrer Meinung nach aufpassen, was sie sagen: "Ja, es wird gemobbt, aber nicht nur gegen Deutsche. Ich finde nicht in Ordnung, was die Ministerin gesagt hat. Sie soll genauer gucken. Das sind richtige Vorurteile. Sie gibt uns jetzt das Gefühl, dass wir Ausländer falsch aufgenommen werden."
Die drei Freundinnen leben gern hier. "Deutschland hat uns auch viel ermöglicht", sagt Mina, und Riem ergänzt: "Auch unseren Eltern! Sie bedanken sich sehr dafür. Sie wären sonst entweder gestorben oder arm". Die jeweils eigene Kultur lasse sich mit dem Leben in Frankfurt doch gut verbinden, meinen die drei: Heute haben sie zusammen bei Minas Mutter afghanisch gegessen. An Bayram waren sie bei Yasmin eingeladen, Weihnachten feiern sie bei einer weiteren katholischen Freundin oder bei Riem, denn ihre Familie ist christlich-orthodox. "Gemeinsam feiern macht Spaß", sagt Mina. "Das ist richtig schön. Wir sind wie eine Familie."
Der Glaube wird respektiert
Ob jemand Moslem oder Christ ist, spielt für die Jugendlichen im Jugendhaus am Bügel keine große Rolle. Nawid geht in die Moschee – aber nur, wenn er gerade nicht allzu viel lernen muss. Pekils (12) aus Kamerun und Daniel aus Eritrea besuchen ab und zu mit ihren Eltern einen eritreisch-orthodoxen Gottesdienst. "Die Eritreer waren die ersten Christen", erklärt Daniel stolz. Dieser Hintergrund ist für seine Identität wichtig – genauso wie es für Nawid von Bedeutung ist, dass seine Familie in die Moschee geht.
Die Jugendlichen haben offensichtlich keine Probleme mit gegenseitiger Akzeptanz. Für ihre Freundschaften zählt, dass man füreinander da ist, einander hilft und respektiert, sagen die Jungen. Bei den Mädchen ist "Vertrauen" das große Wort für Freundschaft. Auch Ehrlichkeit und Zusammenhalt sind ihnen wichtig. Fast scheint es so, als würden sie sich weigern, Differenzen und Konflikte zwischen den Kulturen überhaupt wahrzunehmen.
"Noch nie einen Nazi gesehen"
Ihre Welt im Jugendtreff, in der Schule und zuhause ist harmonisch und soll so bleiben. Sie wollen beweisen, dass "multikulti" funktioniert – jedenfalls in Frankfurt-Niedereschbach. Pekils sagt: "In der Schule sind alle nett zueinander", Mina betont immer wieder, wie schön es ist, gemeinsam zu leben, Riem hat "persönlich noch nie einen Nazi gesehen".
Nawid schon. Mehrmals wurde er beschimpft mit Sprüchen wie "Geh weg, du Kanacke" – aber das sei ihm egal. Er hört nicht hin. Sein Freund Daniel würde es genauso machen: den, der Stress macht, ignorieren, einfach weitergehen. Einzig Pekils hat einmal eine schlechte Erfahrung gemacht, über die er nicht reden möchte. "Ich kann das verkraften", versichert er. "Es ist unwichtig, denn ich habe genug Freunde".
Anne Kampf ist Redakteurin bei evangelisch.de und zuständig für die Ressorts Politik und Gesellschaft.