Aids: "Ich will ein Botschafter der Hoffnung sein"

Aids: "Ich will ein Botschafter der Hoffnung sein"
Positive Vorbilder hat er in den 15 Jahren seiner Aids-Erkrankung vergeblich gesucht. In diesem Sommer brach Burkhard Hildebrandt zu einer ungewöhnlichen Reise nach Nordafrika auf. Mit seinen Aktionen will er anderen HIV-Infizierten Mut machen und dazu beitragen, dass Aids nicht totgeschwiegen wird.
25.11.2010
Von Cornelia Kurth

Ein großer blonder Mann mit so kräftigen Händen, als könnte er Bäume ausreißen, das ist Burkhard Hildebrandt (45) aus Aerzen, ein ehemaliger Tischlermeister, der das Holzhandwerk über alles liebte und viele Jahre lang seinen eigenen Betrieb führte. Dass er irgendwie krank sein könnte, ist ihm überhaupt nicht anzusehen. Und doch ist er vor gerade mal zwei Jahren dem Tod nur knapp von der Schippe gesprungen. Er lag im Koma und brauchte Monate, um wieder zu Kräften zu kommen, das alles als Folge seiner Aids-Erkrankung, die er seit 15 Jahren mit sich herumträgt. "Ich will ein Botschafter der Hoffnung sein", sagt er jetzt. "Ich will, dass andere HIV-Infizierte es etwas leichter haben können."

"Du bist verrückt! Das kannst Du nicht tun!" so reagierten seine Freunde und Verwandten, als er in diesem Sommer zu einer wirklich ungewöhnlichen Reise nach Nordafrika aufbrach, in die Sahara, ganz allein. Dafür setzte er sich nicht in seinen Landrover, sondern in ein winziges gelbes Autolein, einen Fiat 500, Baujahr 1969, den er sich einst zum Rumbasteln gekauft hatte und der aussieht wie das Gefährt eines Hobbits, erst recht, wenn der Riese Burkhard Hildebrandt daneben steht. "Ich wollte auffallen, ja! Dass man mich wahrnimmt, über mich schreibt. Es gibt nichts Schlimmeres, als sich zu verstecken, wenn man Aids hat."

Positive Vorbilder sucht man vergebens

Genau darin besteht seine Botschaft und seine Aufgabe: Als HIV-Erkrankter nicht einfach unsichtbar zu werden, sondern anderen Mut zu machen. Als er von seiner Infektion erfuhr, war das nicht nur für ihn, sondern auch für seine Familie ein Schock. Zur Lebensgefährlichkeit der Krankheit kam ihr Stigma hinzu, die Gewissheit, von jetzt an ein Gezeichneter zu sein. Was wäre, wenn die Leute im Dorf davon erführen? Damals dachten viele noch, man könne sich durch einen Händedruck anstecken, durch die Benutzung desselben Glases, durch den Atem, der einem entgegenkommt, anstecken an einer Krankheit, die doch andererseits nur Menschen bekamen, die etwas "Böses" getan hatten, Drogen genommen, mit Männern oder mit Prostituierten geschlafen.

"Unser Problem war - und so ist es ja auch noch heute - dass es nirgends ein positives Vorbild für Menschen mit dem HI-Virus gibt", sagt er. "Man findet einfach niemanden, an dem man sich orientieren kann und der aufsteht: Seht her, ich habe Aids und ich bin trotzdem stark." Wenn jemand Krebs habe, sähe es da anders aus. Prominente erzählen von ihrer Krankheit, überall könne man positive Geschichten lesen über tapferes Leben und Sterben und es sei auch kein großes Problem, mit anderen über alles zu reden. "Unsere Familie aber war innerlich wie gelähmt!"

"Ich bin trotzdem noch was wert"

Diese Reise nach Afrika entstand aus einem tagelangen Wachtraum, den er im Krankenhausbett träumte, nachdem er aus dem Koma erwacht war. Die Ärzte hatten ihm vorhergesagt, dass er wohl keine zwei Jahre mehr zu leben hätte, wenn er sich nicht mit aller Kraft für das Leben entscheide. "Ich sah mich in der Sahara, unter dem hohen Himmel, in der unendlichen, absolut ruhigen Landschaft, ohne Menschen um mich herum. Ich lag ihm Sand und streckte die Arme aus und fühlte: Es geht um mich, nur um mich allein!"

Afrika - das Land der Träume und zugleich das Land, wo er sich die tödliche Infektion geholt hatte. Als 24-jähriger Tischler war er nach Namibia gereist, hatte dort Arbeit gefunden, war Vorarbeiter auf verschiedenen Baustellen geworden und hatte beschlossen, auszuwandern. Auch seine damalige Frau (und später Mutter seiner beiden Kinder) ließ sich auf dieses neue Leben ein. "Alle wollen immer wissen, wie ich mich angesteckt habe, ob ich untreu gewesen sei, ungeschützten Geschlechtsverkehr hatte", sagt er. "Ich glaube, es geschah durch eine Verletzung auf der Baustelle. Aber im Grunde ist es doch egal."

Erst, als er nach fast fünf Jahren doch nach Deutschland zurückkehrte und er immer häufiger krank, schwer krank wurde, stellte sich die HIV-Infektion heraus. "Die ersten zehn Jahre mit Aids waren ein einziges Versteckspiel. Ich nahm es hin, dass ich einmal im Jahr im Krankenhaus lag und arbeitete umso verrückter, wenn ich wieder rauskam. Ich baute ein zweites Haus, kaufte mir ein großes Auto, nahm viel zu viele Aufträge an, alles, um mir irgendwie zu beweisen: Ich bin trotzdem noch was wert."

Im Dorf erzählte er, er habe Blutkrebs, auch seine Eltern, seine Frau hielten es so. Sie alle waren gefangen darin, mit niemandem offen über die Situation sprechen zu können. "Wäre da damals ein Prominenter gewesen, der sich geoutet hätte, meine Eltern hätten mir viel besser helfen können. Oder sie hätten sich als Angehörige Hilfe gesucht. So aber schien es, als hätte ich eine Art Krankheit des Teufels. Als sei ein übergroßes Unglück über uns alle gekommen, durch meine Schuld. Die misstrauischen Blicke und Gedanken der anderen - das hätten wir alle nicht ertragen."

Mit Reiki kam die Wende

Vor fünf Jahren, als er sich mal wieder kraftlos aus dem Krankenhaus schleppte, schloss er sich in Hameln einer Reikigruppe an, in der Hoffnung, dass diese alte Heilmethode ihm helfen könne - und tatsächlich begann damit eine Wende in seinem Leben. In der Gruppe ging es darum, frei von den eigenen Problemen zu reden. Zum ersten Mal erzählte er fremden Menschen, dass er Aids habe und nicht mehr wisse, wie er weiterleben soll. "Das Wunder geschah: Niemand wich vor mir zurück! Im Gegenteil, ich wurde umarmt! Getröstet. Bestärkt. Alles lief ganz selbstverständlich. Das hätte ich niemals zu glauben gewagt."

Er gab seinen Beruf als Tischlermeister auf und begann eine Ausbildung zum Reiki-Meister. Er verliebte sich neu und trennte sich von seiner Frau. Er redete mit seinen Freunden über sein Leben und nahm in Kauf, dass manche Beziehungen zerbrachen, dafür aber neue Beziehungen entstanden, Freundschaften, in denen es das Geheimnis von Beginn an nicht mehr gab. In Aerzen eröffnete er eine Praxis für Reiki und Lebensberatung. Und schließlich, als die Reise nach Afrika beschlossen war, wendete er sich an die Zeitung, um zu verkünden, dass er sich nun als eine Art Botschafter auf den Weg machen werde. Im Internet eröffnete er seine Homepage "Reise der Hoffnung", wo er von unterwegs aus Reiseberichte einstellte.

Aidsthema in Nordafrika tabuisiert

Das kleine gelbe Auto leistete ihm treue Dienste. Nicht nur, dass der Fiat 500 erstaunlich gut durchhielt, selbst auf Schotterpisten und im Wüstensand von Marokko, er erregte auch überall größte Aufmerksamkeit. Keine Station in Spanien oder Nordafrika, wo die Leute ihn nicht fotografierten, Grenzer nicht begeistert sein Auto begutachteten. Überall kam er ins Gespräch, reichte den Menschen die Hand, darunter auch Politikern und Managern, die seine ausgestreckte Hand, so erzählt er, auch dann noch annahmen, wenn sie von seiner Aids-Erkrankung erfuhren. "Ich stand sicher da und unverbogen. Das ändert einfach alles!"

Und er besuchte die Aids-Selbsthilfeorganisationen vor Ort. "Natürlich konnte ich nicht wirklich helfen", sagt er. "Ich konnte nur auftauchen als einer, der ebenfalls HIV-infiziert ist und dazu steht." In vielen Gesprächen auch mit Patienten in den Krankenhäusern erfuhr er ganz konkret, wie sehr das Aidsthema in Nordafrika tabuisiert wird. Die Selbsthilfeorganisationen hätten nur wenig Klienten, weil niemand wage, sie zu kontaktieren, aus berechtigter Furcht, damit in Familie und sozialen Umgebung ein Ausgestoßener zu werden. Selbst die Kondome könnten nur mit komischen Tricks unter die Leute gebracht werden, weil ihre Verwendung für ungezügelten Sex stehen würde.

Markierungen für ein verändertes Leben

Weit über 13.000 Kilometer fuhr Burkhard Hildebrandt über Land. Seine Erfahrungen mit sich selbst, seinem Fiat 500 und den Menschen, denen er begegnete, schrieb er auf und es entstand ein Buch mit dem Titel „Einmal Sahara und zurück mit 23 PS", das im Dezember in Hameln vorgestellt werden wird. Fernsehsender brachten kleine Reportagen über diese Reise, eine Autozeitschrift veröffentlichte seinen Bericht und bereits im nächsten Jahr will er einer Einladung in die Ukraine folgen, um dort ebenfalls mit Betroffenen zu sprechen. Das alles sind Markierungen für ein verändertes Leben.

In Zukunft wird Burkhard Hildebrandt Bildvorträge halten, ein Reisebericht, der zugleich Aufklärungsarbeit sein und diese "Botschaft der Hoffnung" für alle von Aids betroffenen Menschen bringen soll. "Vielleicht werde ich für einige Leute dieses Vorbild sein, das ich selbst so sehr vermisste", sagt er. "Vielleicht werden andere es mir nachtun. Vielleicht tragen meine Aktionen dazu bei, dass Aids nicht totgeschwiegen wird, sondern wenigstens als Krankheit gilt, die nicht anders zu bewerten ist, als andere schwere Krankheiten auch."


Cornelia Kurth ist freie Journalistin in Südniedersachsen.