Der Papst hat Kondome erlaubt? Weit gefehlt

Der Papst hat Kondome erlaubt? Weit gefehlt
Nach mehr als vier Jahrzehnten Propaganda gegen die künstliche Empfängnisverhütung rückt der Vatikan erstmals vom strikten Kondomverbot für katholische Christen ab. Doch ein Durchbruch ist das noch nicht. Papst Benedikt XVI. spricht lediglich von begründeten Einzelfällen bei der Aids-Vorsorge, "etwa wenn ein Prostituierter ein Kondom benutzt". Deshalb sind Schlagzeilen wie "Papst erlaubt Kondome" verfrüht.
22.11.2010
Von Bernd Buchner

Die offizielle katholische Sexualmoral geht weiterhin davon aus, dass jeder Geschlechtsakt zwischen Mann und Frau – Homosexuelle können nach vatikanischer Lesart zwar nichts für ihre "Neigung", haben aber keusch zu leben – auf Fortpflanzung hin ausgerichtet sein soll. So steht es in der berühmten Enzyklika "Humanae Vitae" von 1968, mit der Papst Paul VI. auf die Ausbreitung der Pille reagierte. Alle künstlichen Verhütungsmethoden sind demnach verpönt, dogmentreuen Katholiken bleibt nur, in den fruchtbaren Tagen der Frau enthaltsam zu bleiben.

Das Zweite Vatikanische Konzil, bei dem Joseph Ratzinger als junger Theologe mitwirkte hatte dagegen noch die Gewissensentscheidung der Eheleute bei der Familienplanung herausgehoben. Nun rückt der Nachfolger von "Pillenpapst" Paul vom kategorischen Kondomverbot ab – deren Verwendung zum Schutz vor Aids könne sogar "ein erster Schritt zu einer Moralisierung sein". Benedikt XVI. habe diesen Gedanken bereits häufiger anklingen lassen, erläutert der Hamburger Weihbischof Hans-Jochen Jaschke, wenn auch nicht so deutlich. Jaschke spricht von einer "Klärung und Befreiung".

Nur männliche Prostituierte gemeint?

Was ist der Hintergrund dieses Kurswechsels? Es ist wohl die Erkenntnis, dass Kondome zwar Fortpflanzung verhindern, aber eben auch die Weitergabe tödlicher Krankheiten erschweren. Eine solche Ambivalenz ist mit religiöser Dogmatik nur schwer vereinbar - deshalb brauchen praktische Konsequenzen so lange. Die katholische Moraltheologie, so der Freiburger Professor Dietmar Mieth, habe den Unterschied schon längst erkannt. Nun vollzieht ihn auch Benedikt XVI. nach, der brillante Theologe auf dem Papstthron. Zumindest in einem ersten Schritt.

Zwar lässt aufhorchen, dass das Kirchenoberhaupt in der Originalfassung des Interviewbuches lediglich von männlichen Prostituierten spricht. Homosexueller Geschlechtsverkehr kann schließlich von vornherein nicht auf Nachwuchs ausgerichtet sein – damit wäre das Verhütungsdogma gewahrt. Das Vatikanorgan "Osservatore Romano" riss dem Papst diese Scheuklappe allerdings prompt herunter und sprach von weiblichen Prostituierten. Auch das ist ein Vorgang, den es in der päpstlichen Medienwelt noch nicht gegeben hat.

Verbote sind nie total

Wenn Benedikt XVI. nun das strikte Kondomverbot relativiert, verdeutlicht das zugleich, dass die katholische Kirche selbst in scheinbar dogmatisch festgezurrten Dingen immer etwas Spielraum lässt. Verbote sind nie total; Ausnahmen sind allerdings stets eng begrenzt. Kaum jemand weiß etwa, dass Protestanten unter gewissen Bedingungen zum katholischen Abendmahl gehen können. Die Kirche steckt zwar in einem in zwei Jahrtausenden gewachsenen Regelkorsett, ist aber da und dort viel flexibler, als man meint.

Wird es aber ausgerechnet der deutsche Papst, der in seinem Pontifikat bisher eher durch Zugeständnisse zur konservativen Seite hin aufgefallen ist, vollbringen, die weithin als antiquiert aufgefasste römische Sexualmoral zu modernisieren? Der Kurswechsel Benedikts XVI. ist ein kleiner Schritt auf dem richtigen Weg. Es wird ein langer Weg. An deren Ende wird man Bischöfen wie Jaschke vielleicht wieder mehr Gehör schenken, wenn sie über die Sache selbst reden, nicht über die zugehörigen Dogmen. Wenn sie etwa daran erinnern, dass Sexualität nicht zu einer "technischen Sache" verkommen darf, sondern immer mit Liebe und Partnerschaft verbunden sein sollte. 


Bernd Buchner ist Redakteur bei evangelisch.de und zuständig für das Ressort Kirche + Religion.