Die Völkerrechtskonvention gegen Streumunition war im August in Kraft getreten. Der bisher von 108 Staaten, darunter Deutschland, unterzeichnete Vertrag sieht innerhalb von acht Jahren die Beendigung des Gebrauchs und der Produktion von Streubomben, die Räumung der Blindgänger innerhalb von zehn Jahren sowie Hilfe für die Opfer vor. Die weltweit wichtigsten Hersteller beziehungsweise Anwender von Streumunition sind bisher der Konvention nicht beigetreten. Dazu gehören die USA, Russland, China, Israel, Indien und Pakistan. Neben Laos sind Vietnam, der Irak, Kambodscha, der Libanon und Serbien die am stärksten von Streubomben verseuchten Länder.
Trügerische asiatische Bilderbuchidylle
Die Landschaft in Laos, dem Gastgeberland der Konferenz, ist spektakulär. Schwarz-graue, mehr als 1.200 Meter hohe Felswände ragen senkrecht in den blauen Himmel empor. Das Tal zwischen den Bergwänden erstrahlt in einem satten Grün. Reisefelder wechseln sich ab mit Wäldern, Plantagen und Bambushecken. In den Dörfern tummeln sich zwischen den Holzhäusern Hühner, Enten, Schweine, Ziegen, Kühe, Hunde und spielende Kinder. Die Bauern auf den Feldern tragen zum Schutz vor der Sonne konische Bambushüte und Anoraks wegen des kühlen Winds, der um diese Jahreszeit vom nur etwa 90 Kilometer entfernten Golf von Tonkin in Vietnam durch die 500 Meter über dem Meeresspiegel liegenden Täler von Zentrallaos bläst.
Die asiatische Bilderbuchidylle im ländlichen Khamkeut ist trügerisch. Der Distrikt ist einer der ärmsten in der Provinz Bolikhamxay, die wiederum zu den ärmsten von Laos zählt. Was das die Idylle aber noch mehr zerstört ist das explosive Erbe des Vietnamkriegs, das in den Feldern und Wäldern verborgen ist: Bombies. Diese tennisballgroßen, mit Sprengstoff und vielen Hundert kleinen Kügelchen gefüllte Minibomben wurden in sogenannten Mutterbomben von den gefürchteten B-52-Bomber der Amerikaner abgeworfen. Noch in der Luft öffneten sich die Streubomben und ließen ihre tödliche Fracht auf Menschen und Dörfer regnen. Je nach Typ konnte eine solche Streubombe bis zu 670 solcher Bombies enthalten.
Rückzugsgebiet des Vietcong
Durch das Tal schlängelt sich die heute gut ausgebaute Straße 8 A. Während des Kriegs war sie ein Teil des legendären Ho Chi Minh Pfads, über den die Nordvietnamesen ihre Truppen mit Nachschub versorgten. Die Truppen der kommunistischen Pathet Lao als auch der Vietcong hatten in den Höhlen der malerischen Berge Lazarette eingerichtet. Andere Höhlen dienten als Truppenstützpunkte des Vietcong, weshalb die Dörfer in Khamkeut besonders brutal bombardiert wurden.
Wie etwa Ban Kouanchanh. "An einem einzigen Tag starben 36 Menschen, die in der Schule Zuflucht gesucht hatten", erinnert sich Bürgermeister Boun Phon Thamawong. Nach dem Krieg wurde Ban Kouanchanh an anderer Stelle neu aufgebaut. "Der alte Standort war über und über mit Streumunition verseucht. Es war zu gefährlich, dort wieder zu wohnen", sagt Thamawong.
Deutsche Spezialisten räumen auf
Auf dem Gelände des zerstörten Ban Kouanchanh und in anderen Dörfern im Distrikt Khmakeut räumt die deutsche Organisation "SODI!" seit einigen Monaten mit dem gefährlichen Kriegserbe auf. Jürgen Hinderlich weist auf eine Fläche mit Wiesen und Reisfeldern und sagt: "Das sind gut 20 Hektar, und darauf wurden mehr als 33.000 Bombies abgeworfen."
Der Spezialist für Kampfmittelräumung weiß bis auf das Komma genau, wie viele Bomben in der Region abgeworfen worden waren. "Die Amerikaner haben vor einiger Zeit Laos ihre Bombendatenbank zur Verfügung gestellt", sagt der 50-jährige aus dem Oderbruch. Diese Daten, kombiniert mit Google-Earth-Karten und modernen GPS-Systemen, geben die genauen Lagen der Abwurfstellen an.
Während des Vietnamkriegs gingen über Laos 2,1 Millionen Bomben nieder. Das waren mehr Bomben, als während des Zweiten Weltkriegs von Amerikanern und England über Europa abgeworfen wurden. Hinderlich nennt einen anderen Vergleich: "Das entsprach einer Tonne Bomben pro Kopf der damals gut zwei Millionen Laoten." Als Faustregel gilt unter Bombenexperten eine Blindgängerquote von 30 Prozent, die auch mehr als 30 Jahre nach Kriegsende in Laos eine große Gefahr für Leib und Leben sind. Schätzungsweise 80 Millionen nicht explodierter Bombies blieben nach dem Krieg in Laos.
"Reis muss geerntet werden"
Somphon steht in ihrem Reisfeld, das noch nicht von Streubomben geräumt ist. Sie weiß, dass ihre Arbeit gefährlich ist. "Was soll ich machen? Der Reis muss geerntet werden." Die Bombies liegen im Schnitt 25 Zentimeter unter der Erde. Besonders gefährlich ist daher die Arbeit der Bauern, wenn sie ihre Felder umpflügen und für die neue Reissaat vorbereiten. "Ich habe dann immer große Angst", gibt Somphon zu.
Etwa 100 Meter von Somphon entfernt räumt Hinderlich an diesem Nachmittag mit seinem Team Bomben. Auf abgesteckten Bahnen suchen sie mit Detektoren das Gelände ab. Piepst es, wird die Stelle mit einem gelben Fähnchen markiert, dann mit einem Spaten Schicht für Schicht die braune Erde abgetragen, bis gefunden wird, was den Detektor hat reagieren lassen. Das können Bombensplitter sein, Patronenhülsen, Bajonettklingen oder eben Blindgänger, wie die sechs Bombies vom Typ BLU 26 an diesem Nachmittag von Hinderlich gesprengt werden. Gut 105 Hektar hat SODI! in diesem Jahr geräumt, 140 sollen es 2011 werden.
Sinn für Gefahren einschärfen
Kinder werden trotz Aufklärung durch Eltern, Großeltern, Lehrer und Hilfsorganisationen am häufigsten Opfer der Bombies. Aber auch Erwachsene werden immer wieder verstümmelt oder verlieren gar ihr Leben. Ob als Bauern auf dem Reisfeld oder als Sammler, von Kriegsschrott, den sie an Recyclingfirmen verkaufen. "Wir können den Menschen den Sinn für die Gefahr schärfen und ihnen risikominimierende Arbeitstechniken beibringen. Aber sie können ja nicht ihre Arbeit einstellen", sagt Phounsawath Thavisouk, der im Dienst von Sodi! in Dörfern und Schulen als sogenannter Minenrisikoaufklärer arbeitet.
SODI! versteht seinen Einsatz als humanitäre Hilfe, in die Bombenräumung und Entwicklungsprojekte wie der Bau von Schulen integriert sind. "In Absprache mit den Menschen und den Bürgermeistern der Dörfer räumen wir nur Nutzflächen", erklärt Siegfried Block, ein ehemaliger DDR-Diplomat, der in Laos die vom Auswärtigen Amt und vom Entwicklungshilfeministerium finanzierte und auf fünf Jahre angelegte Mission von SODI! leitet. "Auf den geräumten Flächen kann dann wieder gefahrlos Landwirtschaft betrieben werden. Das schafft Einkommen und verbessert so die Lebenssituation."
Im Dorf Nadeua sind die Bombies schon geräumt. Im Januar beginnt SODI! auf Wunsch der Dorfbewohner mit dem Bau eines Wasserversorgungssystems. Die charmante, aber auch resolute Kham Keo sagt: "In der Trockenzeit versiegen die Brunnen. Wir können nichts anbauen. Wasser für das Nötigste müssen wir dann zu Fuß aus einem vier Kilometer entfernten Bach holen." Als stellvertretende Bürgermeisterin ist die 30-jährige Mutter von zwei Kindern auch zuständig für die Verteilung der geräumten Nutzflächen unter den Dorfbewohnern. Arme Familien sollen dabei an erster Stelle stehen.
Beispiel für die zerstörerische Kraft
Boun Sayavong ist ein Opfer der Streubomben. Beim Graben nach Grillen, die unter den Laoten als Leckerbissen gelten, hat dem damals sechsjährigen ein Bombie die rechte Hand abgerissen und das rechte Auge zerstört. In der kommenden Woche wird der heute 22-Jährige mit SODI! zusammen in Vientiane an der ersten Konferenz der Vertragsstaaten der Konvention gegen Streubomben teilnehmen. Er will auf der Konferenz als lebendes Beispiel für die zerstörerische Kraft dafür werben, dass alle Länder der Welt den Vertrag zur Ächtung der Streubomben unterzeichnen.
Die Menschen in Khamkeut glauben an Buddha, aber auch an Geister. Ein verkrüppelter Mensch gilt ihnen im wahrsten Wortsinne als ein "von allen guten Geistern" verlassener, den man möglichst meiden muss. Umso glücklicher ist Boun eine Frau gefunden zu haben, die ihn trotz seiner Behinderung geheiratet hat. Ende Dezember wird Boun Vater. So wird sein Plädoyer in Vientiane für eine Ächtung von Streubomben und Kriegen auch Plädoyer für eine friedliche Zukunft für sein Kind in Khamkeut.
Michael Lenz arbeitet als freier Journalist in Südostasien und schreibt regelmäßig für evangelisch.de.