TV-Tipp: "Polizeiruf 110: Fremde im Spiegel" (ARD)

TV-Tipp: "Polizeiruf 110: Fremde im Spiegel" (ARD)
Der letzte Fall von Hauptkommissarin Johanna Herz würde jedem an die Nieren gehen: Eine Polizeischülerin ist verschwunden. Blutspuren in einem Hotelzimmer legen eine Gewalttat nahe.
05.11.2010
Von Tilmann P. Gangloff

"Polizeiruf 110: Fremde im Spiegel", 7. November, 20.15 Uhr im Ersten

Wenn eine Figur zu Ende erzählt ist, sollte man aufhören. Das wird zwar in den meisten Fällen nicht beherzigt, so lange die Quoten stimmen, aber da am Sonntagabend im "Ersten" derzeit ohnehin eine rege Fluktuation herrscht, wird auch Johanna Herz in den Vorruhestand geschickt. Darstellerin Imogen Kogge gibt sich selbstbewusst und versichert, fast zehn Jahre seien genug, sie brauche neue Aufgaben und habe keine Lust, "ein Modell ewig zu fahren, nur weil es gut läuft." Angesichts des deutlich jüngeren und vor allem prominenteren Personals, dass die ARD sonntags neu ins Quotenrennen schickt, wirkt die Ermittlerin aus Potsdam ohnehin viel zu brav und bieder.

Immerhin bekommt die Hauptkommissarin einen echten Abgang und verschwindet nicht sang- und klanglos: Sie hat ein Motivationsproblem, wird immer nachdenklicher und nimmt sich am Ende einen Auszeit. Der letzte Fall würde allerdings jedem an die Nieren gehen: Eine Polizeischülerin ist verschwunden. Blutspuren in einem Hotelzimmer legen eine Gewalttat nahe. Hauptverdächtiger ist ausgerechnet ein Ausbilder (Jochen Horst), den Herz vor Jahrzehnten beinahe mal geheiratet hätte: Er hatte eine Affäre mit der schwangeren Frau.

Herz und Holzweg

Da die junge Dame von Katharina Schüttler verkörpert wird, bleibt es beim vergeblichen Versuch, die Zuschauer gemeinsam mit Herz auf den Holzweg zu locken. Eine prominente Schauspielern gleich zu Beginn von der Besetzungsliste zu streichen, das hat sich allein Alfred Hitchcock getraut. Prompt taucht die Polizeischülerin später wieder auf, und das auch noch quasi in Doppelrolle, denn Christine Teichow leidet unter dem so genannten Borderline-Syndrom: Sie ist eine Grenzgängerin zwischen Wahn und Wirklichkeit; ihre Gefühle wechseln zwischen Liebe und Hass. Daher stellt sie eine große Gefahr dar: für sich, aber auch für andere; vor allem jedoch für ihren Ausbilder.

Annette Hess hat sich als Autorin große Meriten erschrieben; von ihr stammen unter anderem die Drehbücher zum Zweiteiler „Die Frau vom Checkpoint Charlie“ sowie zur ARD-Serie „Weissensee“. In dieser Geschichte steht allerdings weniger die Handlung, sondern vor allem die Gestaltung der Figuren im Vordergrund. Um so bedauerlicher ist es, dass Christine Teichows Grenzwechsel nicht viel stärker in den Mittelpunkt gerückt wurden, zumal Katharina Schüttler eine sehr treffende Besetzung für diese Rolle ist. Statt dessen muss Imogen Kogge immer wieder sinnend in die Ferne blicken, um das Motivationsdilemma der Ermittlerin zu verdeutlichen. Das durchsichtige Finale der Geschichte schließlich ist ebenso wenig überraschend wie die Rückkehr der vermeintlichen Toten.

Die guten Nachricht zum Schluss

Trotzdem endet Kogges Abschiedsfolge mit einer guten Nachricht: Der dicke Polizeihauptmeister Horst Krause (verkörpert von Horst Krause), nicht bloß Inventar der Potsdamer „Polizeiruf“-Krimis, sondern auch heimlicher Star der Filme, bleibt der Reihe erhalten und wird ab dem nächsten Jahr auch Herz-Nachfolgerin Maria Simon zur Seite stehen.


Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und verschiedene Tageszeitungen mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).