Der Castor-Widerstand hat viele Gesichter

Der Castor-Widerstand hat viele Gesichter
Der Castor-Protest im Wendland geht quer durch alle Schichten. Der 12. Transport bewegt die Menschen besonders, da sie eine Vorentscheidung für ein Endlager in Gorleben befürchten. Vom Manager bis zur Bäuerin wollen sie Schwarz-Gelb die Rote Karte zeigen.
04.11.2010
Von Georg Ismar

Am silbernen Mercedes im Firmenhof von Remo Röntgen klebt ein unscheinbarer Aufkleber: "Republik Freies Wendland". Der international agierende Textilunternehmer mit 140 Angestellten sieht nicht wie der typische Widerstandskämpfer aus, hält aber auch nicht hinter dem Berg mit seiner Meinung. "Ich und meine Geschwister, wir haben alle schon den Knüppel bei Castor-Transporten gespürt", erzählt er im lichtdurchfluteten Saal des schicken Sitzes von Nya Nordiska in Dannenberg. "Und nachts im Gleisbett gefroren."

Der 44-jährige Manager zeigt, wie vielschichtig der Protest gegen den Castor-Transport und ein mögliches Endlager in Gorleben ist. Die Bürger haben hier ein starkes Kreuz und hoffen, dass sich viele Menschen auch von außerhalb - ähnlich wie beim Bahnprojekt Stuttgart 21 - mit ihnen solidarisch zeigen. Zwischen dem 6. und 8. November wird der 12. Castor-Transport im Wendland erwartet. Das Problem: Hier geht es nicht um einen Bahnhof, sondern um hoch radioaktiven Atommüll, und den will bei aller Solidarität kaum jemand in seiner Nähe haben.

Wunschlösung: Europäisches Endlager in unbewohnter Lage

Röntgens Mutter Diete Hansl betont: "Ich werde auch demonstrieren gehen, aber nicht in der Schusslinie." Ihre Tür will die adrette Frau für Demonstranten öffnen. Nach 30 Jahren sei das Misstrauen in der Region sehr groß, ob Gorleben als Endlager geeignet sein könnte. Ihr Sohn findet eine europäische Lösung für ein Endlager sinnvoll, am besten in einer unbewohnten Region. Beide eint die Sorge, dass die Bundesregierung angesichts der 33 Jahre dauernden Diskussion und mangels Alternativen Gorleben durchdrücken will - auch die Atomindustrie macht Druck, weil sie 1,5 Milliarden Euro investiert hat und ungern weitere Milliarden für eine neue Suche ausgeben will.

1976 kam Röntgens Familie aus Düsseldorf ins Wendland, das damals im Zonenrandgebiet zur DDR lag. Die weiten Elbauen, rote Ziegelsteinhäuser, Bauernhöfe, eine Gegend voll schöner Natur. Wäre da nicht dieser Salzstock, der kurze Zeit nach dem Zuzug der Röntgens von der Politik für gut befunden wurde, hoch radioaktiven Atommüll aufzunehmen. "Es war ein Teil der Gorleben-Entscheidung, dass man den Müll dort platziert, wo kaum Menschen leben", sagt der Mann mit der markanten schwarzen Brille.

In Röntgens Familienunternehmen werden preisgekrönte Stoffdesigns entworfen, im Regal steht der Designpreis der Bundesrepublik in Silber. Wenn der Castor nun zum 12. Mal nach Gorleben rollt, wird Röntgen wieder eine der größten Protestfahnen des Landkreises an der Fassade aufhängen, mit schwarzem Kreuz auf gelbem Untergrund. Und Stoff verschenken, damit möglichst viele Anti-Castor-Fahnen aufgehängt werden können. Und wirtschaftliche Einbußen in Kauf nehmen, weil viele Mitarbeiter wegen der Sperren nicht zur Arbeit kommen können. Er selbst kann dann auch kaum arbeiten, weil "man nicht mit London telefonieren kann, wenn ständig über dem Dach die Hubschrauber knattern".

Es gibt nur zwei mögliche Routen für den Castor

Die Bahngleise in Dannenberg sind bereits mit Stacheldraht abgesperrt, überall ist Polizei. Mindestens 16.500 Polizisten sollen die elf Castor-Behälter mit hoch radioaktivem Atommüll abschirmen, die in der Umladestation auf Tieflader verladen werden. Von hier werden sie 20 Kilometer auf schmalen Straßen zum Zwischenlager rollen, einem Wellblechpalast, der im Volksmund auch Kartoffelscheune heißt. Ganz in der Nähe könnte im Salzstock in hunderten Metern Tiefe der gesamte hoch radioaktive Atommüll Deutschlands für immer weggeschlossen werden. Durch die beschlossene Laufzeitverlängerung um im Schnitt 12 Jahre wird sich die Menge um 4.400 auf 21.600 Tonnen erhöhen.

[linkbox:nid=25289;title=Die Chronologie des Atomlagers Gorleben]

Dass der Castor die Strecke Dannenberg-Gorleben nicht einfach so passieren kann, dafür will auch Gisela Webs aus Quickborn sorgen. Sie gehört zur bäuerlichen Notgemeinschaft, vor ihrem Hof sitzen auf einer Holzbank zwei verstrahlte Strohpuppen, die schwarz-gelben Augen symbolisieren das Zeichen für Radioaktivität.

Die Castoren könnten auf dem Straßenweg nach Gorleben durch Quickborn rollen - es gibt nur zwei mögliche Routen. Aber das Nadelöhr Quickborn ist gefürchtet. Mit Traktoren werden die Webs und viele weitere Bauern versuchen, die heiße Fracht aufzuhalten. "Wendland bei Nacht: Alles strahlt", ist auf einem Banner vor der alten Scheune aus rotem Backstein zu lesen. Auf schwarzem Untergrund sind leuchtend grüne Kühe zu sehen.

Der oberste Grundsatz ist Gewaltfreiheit

Jedes Mal vor dem Castor-Transport wird die Gegend von Polizisten abfotografiert, erzählt Webs. Als sie mal abends im Wald mit ihrem Mann zur Zeit eines Transports gelbe Protestkreuze anbringen wollte, war ihnen gleich eine ganze Hundertschaft Polizisten auf den Fersen.

Und dann erzählt sie noch die Geschichte von den Polizisten in Zivil, die sich als Demonstranten ausgaben und um Einlass baten, um sich in der "Castor-Küche" der Webs aufzuwärmen. Die Gäste fielen durch sauberes Schuhwerk auf. Aber der Castor findet meist im Winter statt, wenn das Wetter besonders scheußlich ist. So soll die Zahl der Demonstranten klein gehalten werden. Draußen regnete es heftig, und auf den Feldern war es matschig: Die Großmutter entlarvte die Polizisten und setzte sie an die Luft, berichtet die 48-Jährige.

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Die Mutter von vier Kindern erzürnt noch immer, dass Polizisten ihren 10-jährigen Sohn bei einer Kontrolle fragten, warum er denn so dick angezogen sei. Ihm müsse doch warm sein, er sei doch eh schon verstrahlt. "Alles hat seine Grenzen, auch wenn Auseinandersetzungen während des Castors heftig sind", betont Webs. Das gelte auch für ihre Kinder. "Wenn ich einen erwische, der sagt "Scheiß Bullen", dann gibt's was auf die Socken." Der oberste Grundsatz für den Protest ist laut Gisela Webs Gewaltfreiheit.

Nach Angaben der bäuerlichen Notgemeinschaft sind vom 7. November bis zum 16. November alle öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel und Spontanversammlungen an den Transportstrecken untersagt worden. Webs sagt, die Alten würden sich ohnehin in ihren Häusern verbarrikadieren, weil das für sie wie Krieg sei.

Kirchengemeinde Gartow stemmt sich gegen die Erkundung

Für Remo Röntgen sind die Bauern die wahren Helden des Widerstands, "weil sie ihre Existenz aufs Spiel setzen". Gisela Webs kämpft auch an anderer Front: Für höhere Milchpreise fuhr sie mit dem Traktor bis nach Brüssel.

Sie hofft, dass der Widerstand gegen den Atommüll irgendwann erfolgreich sein wird und die Bauern eine sorgenfreiere Zukunft haben. "Der Widerstand ist in den letzten Jahren breiter in der Region geworden", sagt sie. Zu DDR-Zeiten mussten sich die Webs noch oft sagen lassen "Geht doch rüber". "Mittlerweile weiß aber fast jeder, dass Gorleben nicht sicher genug ist".

Von Remo Röntgens Textilfirma in Dannenberg wird der Castor über Quickborn, wo die Webs den Aufstand proben, zum streng abgeschirmten Zwischenlager an der Lüchower Straße fahren. Auf einer Waldlichtung, einem Treffpunkt für Mahnwachen, wartet Pastor Eckard Kruse. 300 Meter entfernt ist der umstrittene Salzstock, der von grünen Gitterzäunen und berittener Polizei abgeschirmt wird.

In der Nähe hat Kruses Gemeinde Grundstücke, die die Regierung dringend braucht, um den gesamten Salzstock auf seine Tauglichkeit für ein Atommüll-Endlager prüfen zu können. Denn den Grundstückbesitzern gehört auch das Recht am darunter liegenden Salz. Da Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) auf eine Erkundung nach altem Bergrecht setzt, ist die Öffentlichkeit ausgeschlossen. Im Notfall kann die störrische Kirchengemeinde, die nicht verkaufen will, auch enteignet werden. "Die, die bisher verkauft haben, sind reich geworden", berichtet Kruse.

Doch Materielles interessiert die Kirchengemeinde Gartow in diesem Fall nicht. Sie hat Klage beim Verwaltungsgericht Lüneburg gegen die Erkundung eingereicht und mit anderen Klägern einen vorläufigen Erkundungsstopp erwirkt.

Kruse: "Das ganze wirkt wie eine Vergiftung hier"

Kruse ist der Endlager-Beauftragte der evangelischen Landeskirche. Ein sehr bedächtiger Mann, der seine Worte gut wägt. Früher gab es noch Predigtverbote zum Thema Endlager, die Zeiten sind vorbei. Er betont, die Klage sei nicht politisch motiviert, sondern dem schöpferischen Religionsauftrag geschuldet - die Landschaften verstrahlender Atommüll sei damit unvereinbar.

Beim Castor-Transport wird er zu den 60 Seelsorgern gehören, die zwischen Demonstranten und Polizei vermitteln werden. "Die Stimmung ist klar: Wir befinden uns an einem Wendepunkt", sagt er. Aber er betont auch, nicht alle seien gegen das Endlager - schließlich winken auch lukrative Einnahmen als Ausgleich. "Der Riss geht quer durch Familien." So sei der Atommüll nicht nur gesundheitlich ein Problem, sondern auch für das Zusammenleben, weil das Thema ungemein polarisiere. "Das Ganze wirkt wie eine Vergiftung hier."

Aber viele Bürger sagten, wenn jetzt nichts passiere, werde Gorleben zum Endlager und der Atommüll für immer hierbleiben. Daher gebe es nicht nur eine Renaissance des Anti-Atom-Protestes, "sondern das ist was Neues", sagt Kruse. Von Regierungsseite sei ihm indirekt bestätigt worden, dass in Gorleben keine ergebnisoffene Erkundung das Ziel sei. Vielmehr könnte hier trotz massiver Bedenken, ob das Salz den Atommüll sicher verschließen kann, das Endlager schon bald bezugsfertig ausgebaut werden. Deshalb könnte es in diesem Jahr etwas härter zugehen, das erfülle ihn durchaus mit Sorge, sagt Kruse: "Ich habe solch eine Entschiedenheit noch nie erlebt".

dpa