Ähnlich unaufgeregt und besonnen hat sich das von der Christian Science Publishing Society in Boston herausgegebene, gleichwohl nicht religiös gebundene Blatt, dem digitalen Medienumbruch gestellt und sich einem ausbalancierten Mix von Print- und Digitalprodukten verschrieben. Durchaus mit Erfolg, wie sich heute, 18 Monate nach der strategischen Wende, sagen lässt.
2009 war für den "Christian Science Monitor" das Jahr der Neuausrichtung. Früher als viele andere der 1.400 US-Tageszeitungen reagiert die Führung von Redaktion und Verlag auf die Anzeichen einer fundamentalen Krise, die sich von Monat zu Monat verschärfte. Die Wirtschafts- und Finanzkrise beschert der Branche auf Grund von drastischen Einbrüchen bei Auflagen und Werbeumsätzen die größten Erschütterungen seit Bestehen. Die amerikanischen Zeitungen stecken in einer Doppelzange.
Werbeerlöse schrumpfen
Innerhalb eines Jahres schrumpfen die Werbeerlöse um rund neun Milliarden Euro – eine Summe, die dem Gesamtumsatz aller deutschen Zeitungen entspricht. "Die US-Zeitungsbranche", heißt es in einem Report des wissenschaftlichen Dienstes des Kongresses in Washington vom Juli 2009, "erlebt eine Leidensstrecke, die ihre schlimmste Finanzkrise seit der Großen Depression werden könnte." Werbung wird zwar weiter weiterhin geschaltet. Doch landet sie nicht auf den Webportalen der Zeitung, sondern wandert mehr und mehr zu branchenfremden Anbietern ab, allen voran Google.
2009 registrierte man auch in der Bostoner Zentrale des "Monitor" rote Zahlen. Auf 48.000 Exemplare war die Auflage des Blattes gesunken. Anlass genug, das Steuer herumzureißen. Als erste landesweit verbreitete Tageszeitung der USA stellte der "Monitor" seine tägliche Printausgabe im April ein und das Printprodukt auf eine nur noch wöchentliche Ausgabe in Magazinformat um. Seitdem präsentiert die Redaktion ihre täglichen Angebote ausschließlich auf der Webseite der Zeitung sowie in Form eines E-Papers, das als E-Mail-Ausgabe vertrieben wird.
Talfahrt gebremst
Gut 500 Tage später ist die Talfahrt gebremst, wie Yemma beim World Editiors Forum von WAN-IFRA jetzt in Hamburg berichtete. Auf bald 80.000 Exemplare steuert die 48 Seiten umfassende gedruckte "weekly" mittlerweile zu, die pro Jahr 89 US-Dollar kostet. Sie wird überwiegend in den USA und in Kanada gelesen, erreicht aber auch Interessenten per Post in aller Welt. Sieben Millionen Besucher ("unique visitors") zählt die Website des "Monitor" in einem durchschnittlichen Monat – eine Verdreifachung innerhalb eines Jahres. 50.000 Abonnenten hat der kostenlose Newsletter via E-Mail. Die Produktpalette ergänzt ein entgeltpflichtiger täglicher Newsservice in PDF-Format. 3.500 Abonnenten zahlen dafür 69 US-Dollar jährlich.
2009 ist das Jahr des "vanishing of newspapers", des Niedergang der Zeitungen. Die Apokalypse made in USA hat weltweit Angst vor einem wahren Zeitungssterben ausgelöst. In "Restrukturierungsprozessen" fanden die Eigentümer der US-Presse eine erste betriebswirtschaftliche Antwort auf die Krise. Ihrem drastischen Sparkurs fielen geradezu flächendeckend redaktionelle Ressourcen zum Opfer. Tausende Journalisten verloren ihren Job. Spielräume für aufwendige Recherchen und intelligente Online-Entwicklungen gingen gegen Null. 2010, im Jahr der Einführung von Apples iPad, wurde die Jagd auf digitale Geschäftsmodelle eröffnet. Über "Content", mobile Abspielkanäle und Monetarisierung wird in der US-Branche derzeit sehr viel gesprochen, über Journalismus kaum.
Aktionismus in den Chefetagen
Von dem verbreiteten Aktionismus in den Chefetagen der US-Zeitungshäuser hat man sich beim "Monitor" nicht anstecken lassen. Natürlich verfolgen die rund 80 Redakteure gebannt, ob die neue Strategie auf Dauer dem Blatt eine stabile wirtschaftliche Basis eröffnet, die sie frei macht von Geldflüssen Dritter. Die Streichung des täglichen Printprodukts hat zwar den Aufwand für Papier, Druck und Vertrieb gesenkt, aber auch weniger Werbeinnahmen zur Folge. Ob die digitalen Erlöse irgendwann die Verluste bei Print ausgleichen ist ja ohnehin die Gretchenfrage aller Zeitungen, die an Paid Content als Erlösquelle der Zukunft glauben. Was den "Christian Science Monitor" im Change-Prozess aus vielen vergleichbar gelagerten Zeitungen heraushebt ist die konsequente Orientierung an seiner klassischen journalistischen Aufgabe. "Für uns", unterstreicht Yemma, "ist es unstreitig, dass wir auch im Umstellungsprozess an unseren redaktionellen Wertvorstellungen festhalten." Der "Monitor" stehe auch im digitalen Zeitalter für "einzigartige Inhalte". Andernfalls, ist Yemma überzeugt, könnten die Leser nicht gehalten werden. "Und dann verdienen wir zum Schluss auch nicht genügend Geld."
Ist der "Monitor" im Umbruch eine Antwort auf die Kardinalfrage, wie auch künftig anspruchsvoller Journalismus finanzierbar bleiben kann? Ein Indiz liefert die Auslandsberichterstattung – ein Markenzeichen der Zeitung seit Gründung. Die "Monitor"-Spitze ließ ungeachtet aller internen Kostendämpfungsprozesse das Korrespondentennetz des Blattes mit Büros auf allen Kontinenten unangetastet. Etwa die Hälfte aller Artikel im Blatt greift Themen aus aller Welt auf. Daran wolle man auch nicht rütteln, versichert Yemma. Eine rühmliche Ausnahme in einer Zeitungslandschaft, die chronisch auf die eigene Nation ausgerichtet ist.
Ralf Siepmann ist freier Journalist und arbeitet in Bonn