Erdbeben, Regen, Cholera: Haitis Leiden ohne Ende

Erdbeben, Regen, Cholera: Haitis Leiden ohne Ende
Nach dem Erdbeben die Cholera: Haiti droht die nächste Katastrophe. Die gefährliche Krankheit brach rund 80 Kilometer nördlich des Erdbebengebiets aus. Helfer berichten von dramatischen Szenen und großem Leid.
24.10.2010
Von Franz Smets

Die neue Katastrophe trifft Haiti aus heiterem Himmel. Zu Beginn des Jahres haben die Haitianer eines der fürchterlichsten Erdbeben überlebt. Sie hoffen darauf, dass bald die Regenzeit zu Ende geht, die bisher beinahe täglich die Obdachlosenlager mit den 1,5 Millionen Bewohnern überschwemmte. Doch jetzt werden die Haitianer von der Cholera bedroht, einer Krankheit, die seit über hundert Jahren in dem Karibik-Land mehr aufgetreten war.

Nach dem Erdbeben im Januar waren bereits zahlreiche Katastrophenszenarien für Haiti entworfen worden. Hungersnöte, durch Mücken übertragene Dengue-Erkrankungen, sintflutartige Überschwemmungen und vor allem die Zerstörung der Lager durch Hurrikane. Nichts dergleichen ist eingetreten. Aber jetzt infizierten sich Einwohner am Fluss Artibonite in einem Gebiet rund 80 Kilometer nördlich der Erdbebenzone mit Cholera.

Auch in der Hauptstadt Port-au-Prince wurden die ersten Cholerafälle festgestellt. "Die Krankenhäuser sind mit der Situation vollkommen überfordert", schildert die Leiterin des Diakonie Katastrophenhilfe-Büros in Port-au-Prince, Astrid Nissen, die Lage. Die Diakonie Katastrophenhilfe hat deshalb damit begonnen, Medikamente und Chlortabletten zur Wasserreinigung in die betroffenen Gebiete zu bringen. "Wir müssen unbedingt verhindern, dass die Situation außer Kontrolle gerät.

Massenpanik und mehr als 200 Tote

Am Fluss Artibonite waren sich die Menschen offenbar recht schnell darüber im Klaren, was geschehen war und woher die Gefahr drohte, die inzwischen fast 200 Menschen dahinraffte. Ein Team der Hilfsorganisation Operation Blessing war schon am Freitag früh im Gebiet Artibonite unterwegs.

[listbox:title=Was ist Cholera?[Cholera ist eine bakterielle Erkrankung des Dünndarms und verursacht lebensgefährliche Durchfälle. Patienten können mehr als 20 Liter Wasser am Tag verlieren. Im Extremfall führt Cholera binnen weniger Stunden zum Tod durch Austrocknung, Nierenversagen und Kreislaufkollaps. Die meisten Menschen infizieren sich über Trinkwasser, das mit Fäkalien verschmutzt ist, oder über verunreinigte Lebensmittel. Sauberes Wasser mit Elektrolyten und Salzen, intravenöse Flüssigkeitsversorgung und Antibiotika können Cholera erfolgreich bekämpfen. Wasserdesinfektion durch Sonnenstrahlung hilft in wenig entwickelten Gegenden, der Cholera erfolgreich vorzubeugen (das SODIS-Verfahren).]]

Ihr Direktor David Darg in Haiti berichtete: "Am Krankenhaus von Saint-Marc erlebten wir den reinen Horror. Ich musste mich durch eine riesige schreiende Menschenmenge quälen, die versuchte, ihre sterbenden Angehörigen in das Gebäude zu bringen. Im regennassen Hof lagen bereits zahlreiche Patienten. Kinder weinten in Agonie, andere, mit weit aufgerissenen Augen, bewegten sich nicht mehr, als Ärzte verzweifelt versuchten, sie zu behandeln. Das Hospital war überwältigt und plötzlich gefangen vom schnellsten Killer, den es gibt: Der Cholera."

Die Helfer von Operation Blessing machten sich auf den Weg zu dem Ort, von wo die meisten Kranken nach Saint-Marc kamen. "Die Straßen waren voll von Menschen, die um Wasser bettelten", hieß es in dem Bericht. "Einmal wurden wir zum Anhalten gezwungen. Die Menschen hatten ein kleines Kind, das kurz davor war, zu sterben. Wir konnten mit einer Infusion helfen. Ihre Mutter, die ein anderes Baby im Arm trug, sagte dass ihr Mann am Vortag gestorben sei."

Normalen Durchfall nicht mit Cholera verwechseln

Später erreichten die Helfer Babou La Port, von wo die meisten Infizierten in Saint-Marc stammten. Dort begannen sie mit der Arbeit, trennten Gesunde von Kranken und installierten Geräte zum Reinigen von Wasser.

Durchfall-Erkrankungen sind in Haiti alltäglich. Die Infizierten legten sich in den vergangenen Tagen hin, wie sonst auch in der Erwartung, dass es ihnen schnell bessergehen werde. "Ein Haitianer mag sich hingelegt haben, um, wie sonst auch, schnell zu genesen", schrieb David in dem Bericht weiter, "aber er war innerhalb von Stunden tot."

Die haitianische Innenpolitik wurde auch schon aktiv in der Region. Ende November sind Präsidentenwahlen und so sind Werbefahrzeuge der Kandidaten lärmend im Lande unterwegs. Von den mit Plakaten beklebten Trucks warfen die Wahlkämpfer kleine Plastiksäckchen mit Wasser in die dürstende Menge.

dpa