Glaube und Wissenschaft passen durchaus zusammen

Glaube und Wissenschaft passen durchaus zusammen
Schöpfung oder Evolution, Gott kontra Wissenschaft? Vielen Menschen erscheinen christlicher Glaube und ein naturwissenschaftliches Weltbild unvereinbar. Was sagen gläubige Forscher?
20.10.2010
Von Ulrich Pontes

An der einen Wand ein Poster mit dem mittlerweile vollständig entzifferten Mäusegenom, an der anderen ein riesiges Puzzle von Michelangelos berühmter "Erschaffung Adams". In Barbara Drossels Büro treffen auf den ersten Blick die Wissenschaft von den Grundlagen des Lebens und der christliche Glaube aufeinander. Und das ist kein Zufall: die 47-Jährige ist Professorin für Theoretische Physik an der TU Darmstadt, forscht unter anderem an der mathematischen Modellierung der biologischen Evolution - und sie ist gläubige Christin, was sie auch auf ihrer Website unter "Hobbies" ganz unbefangen öffentlich macht.

Glaube und Naturwissenschaft - ist das nicht ein Widerspruch oder zumindest ein riskanter Spagat? Die freundliche, drahtige Professorin schüttelt den Kopf und nippt an einem riesigen Thermosbecher mit Tee. "Ich finde eher, dass es sich gut ergänzt." Glaube und Wissenschaft gäben aus unterschiedlichen Blickwinkeln Aufschluss über die Welt. Der vermeintliche Widerspruch werde auch durch viele Wissenschaftler in Geschichte und Gegenwart aufgehoben, die Glauben und Forschen in ihrer Person vereinen. Das würde sogar ein Atheist wie der berühmte Evolutionsforscher Stephen J. Gould zugeben. "Er hat einmal sinngemäß gesagt: Wenn es stimmen würde, dass Glaube und Wissenschaft nicht vereinbar sind, dann müsste die Hälfte meiner Kollegen schizophren oder dumm sein. Aber, so Gould weiter: Ich nehme sie als ganz normale, vernünftige Menschen wahr."

Glaube und Wissenschaft sind sich ergänzende Perspektiven, so sieht es auch Elke Eisenschmidt. Die promovierte Mathematikerin hat im Herbst 2009 für Aufmerksamkeit gesorgt, als sie mit nur 28 Jahren in den Rat der EKD gewählt wurde. "Naturwissenschaft kann bestimmte Fragen beantworten, andere - wie die nach dem Sinn des Lebens - liegen außerhalb ihrer Sphäre. Trotzdem bedürfen diese Fragen in meinem Leben einer Antwort."

Dogmen schlucken ergibt keinen Glauben

Aber auch wenn sie von verschiedenen Sphären spricht - völlig trennen lassen sich Christsein und Forschungsarbeit für die junge Mathematikerin aus Magdeburg (l.) nicht: "Der Glaube ist schon eine sehr ganzheitliche Sache." Er mache ihre Person aus, auch ihr Naturwissenschaftlersein. Dies könne sich etwa in ethischen Positionen niederschlagen, bedeute aber keinesfalls Denkverbote: "Gott hätte uns unseren Verstand nicht gegeben, wenn wir ihn nicht benutzen sollten."

Aufgewachsen in einer glaubensfernen DDR-Familie, hatte Eisenschmidt als Jugendliche mit manchen schwierigen Fragen zu ringen, bevor sie sich für die Taufe entschied. "Ich wollte einfach sicher sein", sagt sie. Dogmen einfach zu schlucken, die der Vernunft zuwiderlaufen, ergebe schließlich keinen belastbaren Glauben.

Wichtig ist Eisenschmidt die Ebenen nicht zu vermischen. "Man darf naturwissenschaftliche Fragen nicht vom Glauben her beantworten wollen oder umgekehrt." Das zentrale und einzigartige Ereignis des Neuen Testaments, Jesu Auferstehung von den Toten, sei eine Glaubensangelegenheit: "Wenn man nicht an Christi Auferstehung glaubt, hat man - finde ich - den Kern des Christentums verpasst." Sie könne nachvollziehen, wenn Menschen Probleme hätten, daran zu glauben. Aber: "Wenn Gott die Welt geschaffen hat, ist er auch fähig, eine Auferstehung geschehen zu lassen."

Schöpfungsgeschichte: Grundfragen menschlicher Existenz

Für regelmäßige Abläufe in der Natur sei dagegen die Wissenschaft zuständig - auch für die Entwicklung des Lebens. "Ich bin Anhängerin der Evolutionstheorie", sagt Eisenschmidt. Aber Evolutionsforschung kümmere sich immer nur um das Wie. "Die Schöpfungsgeschichten der Bibel sind mir dagegen wichtig, weil sie Grundfragen der menschlichen Existenz aufgreifen, etwa: Was macht der Mensch überhaupt in der Welt?"

Die ersten Seiten der Bibel ernst nehmen, ohne sie mit einem naturwissenschaftlichen Aufsatz zu verwechseln. Dieses Anliegen verfolgt auch Barbara Drossel. Damit sitzt sie allerdings oft zwischen allen Stühlen, wie sie erzählt. Nicht nur, weil viele Wissenschaftlerkollegen "ungeprüft das naturalistische Weltbild übernommen" hätten, den Glauben, dass es über das wissenschaftlich Beschreibbare hinaus nichts geben könne. 

Die andere Extremposition tue sich in Gemeinden oder auf kirchlichen Tagungen auf. Dorthin wird die Professorin, die selbst eine freikirchliche Gemeinde besucht, immer wieder zu Vorträgen über Glaube und Wissenschaft eingeladen - und trifft dann oft auf Christen, die die Schöpfungsberichte wortwörtlich verstehen.

"Anfangs habe ich mich da fast nicht getraut, zu sagen, dass Menschen und Affen gemeinsame Vorfahren haben", erzählt Drossel (Bild rechts). Aber genau an diesem Knackpunkt sieht sie ihre Verantwortung als Christin und Expertin. Ein Schlüsselerlebnis waren Diskussionen mit einem früheren Chef, der - als Nichtchrist - überzeugt war, ein Christ müsse daran glauben, dass die Erde nur rund 6.000 Jahre alt sei. Auf diese von den sogenannten Kurzzeit-Kreationisten vertretene Zahl kommt man, wenn man alle biblischen Stammbäume bis zurück zu Adam und die Schöpfung in sieben Tagen wörtlich nimmt. Ein Zerrbild vom Glauben mit fataler Außenwirkung, befand Barbara Drossel damals. Sie begann für sich zu klären, wie sich Evolution und Schöpfung, physikalische Gesetze und ein ansprechbarer, liebender Gott gedanklich in Einklang bringen lassen.

Experten für Glaube und Wissenschaft

Heute lässt Barbara Drossel durch ihre Vorträge auch andere an ihren Überlegungen teilhaben. "Viele Zuhörer sind so froh, wenn man ihnen sagt, dass sie weder ihren Glauben ablegen noch wissenschaftliche Kompromisse machen müssen", erzählt sie und beklagt, dass dem großen Interesse an diesen Fragen nur wenige gleichermaßen kompetente und gläubige Fachleute gegenüberstünden, die offen zu diesen Themen Stellung bezögen. Zumindest in Deutschland.

[listbox:title=Mehr im Netz[Vortrag von Barbara Drossel: Glaube und Denken (2003)##Homepage der International Society for Science and Religion##Orientierungshilfen der EKD zu Glaube und Wissenschaft##Homepage der Karl-Heim-Gesellschaft]]

"In England gibt es wirklich überzeugende Autoren wie John Polkinghorne, Keith Ward oder Denis Alexander", schwärmt Barbara Drossel. Auf Deutsch gebe es nur wenige uneingeschränkt empfehlenswerte Bücher zum Thema, etwa von dem Biologen und kirchlichen Weltanschauungsbeauftragten Hansjörg Hemminger oder von Francis Collins, dem Leiter des Humangenomprojekts. Einige Gleichgesinnte träfen sich bei den jährlichen Tagungen der Karl-Heim-Gesellschaft . Dort engagiert sich auch Barbara Drossel seit einigen Jahren und wirkt unter anderem an der Übersetzung der "Faraday Papers" mit, in denen Experten grundlegende Fragestellungen im Spannungsfeld Glaube - Wissenschaft knapp und verständlich abhandeln.

Auch Elke Eisenschmidt kennt die Karl-Heim-Gesellschaft, zudem verweist sie auf Ansprechpartner bei den Landeskirchen. Viele interessierten sich für Glaube und Wissenschaft, wie etwa das entsprechende Forum auf dem Ökumenischen Kirchentag gezeigt habe. Dass sie selber als Jugendliche Antworten auf ihre Fragen fand, verdankt sie allerdings weder Literatur noch kirchlichen Funktionsstellen, sondern der Gemeinde "um die Ecke", wo sie sich mit ihren Fragen hinwandte. "Bei der Pfarrerin war ich genau an der richtigen Adresse - ihr Mann war Mathematiker." Ein nicht gläubiger Wissenschaftler müsste das wohl Zufall nennen.


Ulrich Pontes ist freier Journalist in Mainz und interessiert sich besonders für Themen im Grenzbereich von Wissenschaft und Weltbild.