Kinder und Kaninchen lieben Löwenzahn. Aber kaum einer würde wohl erwarten, dass die Pusteblume ein wichtiger Rohstoff des 21. Jahrhunderts werden könnte. Autoreifen, Schnuller, Kondome: All das kann man bald aus dem Milchsaft des unscheinbaren Taraxacum-Pflänzchens herstellen, hoffen Forscher der Universität Münster. Namhafte Industriekonzerne stehen bei ihnen schon auf der Matte.
Langwieriger Entwicklungsprozess
Über die Grundlagenforschung sind die Biochemiker lange hinaus. Die Wissenschaftler haben das Enzym entdeckt, das für die schnelle Gerinnung der milchigen Flüssigkeit sorgt, die austritt, sobald man die Pflanze aufschneidet. Dieser Effekt erschwert bisher die Kautschukgewinnung. Mit Hilfe der Gentechnik schalteten die Forscher das Gerinnungsenzym aus und lassen den Latex nun frei fließen.
Der Markt ist riesig: Etwa 40.000 Alltagsgegenstände sind aus Kautschuk. Das reicht von der Autofußmatte über den OP-Handschuh bis zum gelben Quietscheentchen. Bis man den ersten Reifen aus Löwenzahn kaufen kann, dürften aber noch Jahre vergehen. "Das sind Prozesse, die nicht von heute auf morgen gehen", sagt Prof. Dirk Prüfer vom Institut für Biologie und Biotechnologie der Pflanzen. Mit der Ausschaltung des Gerinnungsenzyms sei erst ein Schritt getan. Denn gentechnisch veränderten Löwenzahn auf freiem Feld anzubauen, ist verboten. Daher soll die Blume mit dem nicht-gerinnenden Milchsaft nun auf konventionellem Weg gezüchtet werden. Bis die Sorte in großem Stil anbaufähig ist, dauere es wohl noch fünf Jahre, schätzt Prüfer.
Kletternde Weltmarktpreise
Für die Industrie ist der Löwenzahn-Kautschuk sehr interessant, denn bisher stammt der Rohstoff größtenteils vom Gummibaum aus Südostasien. Der ist aber nicht nur von Pilzbefall bedroht, auch lassen wachsende Märkte in China oder Schwellenländern wie Indien die Nachfrage steigen. Damit klettern auch die Weltmarktpreise. Es gibt zwar synthetischen Kautschuk. Doch der ist als Erdölprodukt abhängig von den Weltmärkten. "Die Preise schwanken sehr stark", sagt Norbert Daldrup aus der Forschungsabteilung des Reifenherstellers Continental in Hannover. "Es wäre schon hilfreich, eine zweite Quelle zu haben."
Dass Löwenzahn den Gummibaum aber gleich komplett ersetzt und den Weltbedarf von immerhin zehn Millionen Tonnen deckt, glauben die Forscher nicht. "Wenn wir den europäischen Markt und da bestimmte Bereiche, die das auch nachfragen, mit 10 bis 20 Prozent vielleicht mal decken, dann ist das schon ein großes Ziel für die nächsten zehn Jahre", sagt Christian Schulze Gonover vom mitbeteiligten Fraunhofer Institut in Aachen. Die mühsame Arbeit findet Anerkennung: Das 2006 begonnene Forschungsprojekt wurde am Montag beim bundesweiten Wettbewerb "Land der Ideen" als Zukunftsidee ausgezeichnet.
60 Jahre alte Idee
Neu ist diese Zukunftsidee vom Löwenzahn als Gummilieferant übrigens nicht. Schon in den 1930er Jahren haben russische Forscher die Kautschukgewinnung aus der Pflanze untersucht. Forscher aus Nazi- Deutschland knüpften daran an. Rund um das Konzentrationslager Auschwitz in Polen etwa gab es Löwenzahnfelder, die von KZ-Häftlingen geerntet werden mussten. Mit diesen dunklen Seiten der Forschungsgeschichte gehen Prüfer und sein Team offen um: "Wir machen da keinen Hehl draus." Abgeschreckt hat es die Wissenschaftler aber nicht. "Es ist natürlich nicht die Schuld der Pflanze", sagt Prüfer.
Sollte das anspruchslose und daher gut anbaubare Unkraut hierzulande bald auf großen Flächen wachsen, sieht es Prüfer trotz natürlicher Feinde nicht in Gefahr. Sollen die Karnickel ruhig kommen: "Ein Feld mit 250.000 Löwenzähnen, da müsste schon eine Armee von Kaninchen einfallen, um das niederzumachen."