Schatten des Erfolgs: Mikrokredite in Verruf

Schatten des Erfolgs: Mikrokredite in Verruf
Mit einer Handvoll Dollar der Armut entrinnen: Mikrokredite gelten als Erfolgsmodell der Entwicklungshilfe. Doch das Bild von der entwicklungspolitischen Wunderwaffe bekommt Risse. Unseriöse Verleiher drängen auf den Markt, mancherorts überschulden sich Kreditnehmer.
14.10.2010
Von Stefan Fuhr

Dank der Mikrokredite haben sie ein existenzsicherndes Einkommen: Millionen Kioskbesitzer, Handwerker und Kleinbauern in armen Ländern. Die Geschichte der Mikrofinanz beginnt vor einem Vierteljahrhundert. 1983 gründet der bengalische Ökonom Muhammad Yunus seine Grameen Bank - und schlägt einen neuen Weg der Armutsbekämpfung ein. Er vergibt Mini-Darlehen von 100 oder 200 Dollar vor allem an Frauen, die in Selbsthilfegruppen füreinander bürgen. Die Zahlungsmoral verblüfft, die Rückflussquote beträgt rund 98 Prozent. Für seine Idee erhält Yunus 2006 den Friedensnobelpreis.

Inzwischen ist der Sektor enorm gewachsen. Tausende Mikrofinanzinstitutionen tummeln sich auf dem Markt, das Kreditvolumen für 2009 wird auf mehr als 60 Milliarden Dollar geschätzt. Das Kapital kommt von Kleinsparern wie bei der Grameen Bank. Oder von staatlichen Förderbanken wie der deutschen KfW. Aber auch profitorientierte Institutionen haben das Mikrofinanz-Geschäft entdeckt. Sie ziehen Kapitalanleger an, die vor allem auf Rendite achten. Einige Institute sind gar an die Börse gegangen, zum Beispiel das indische Unternehmen SKS.

Zahlungsunfähige Kreditnehmer

Da die Zahl der Akteure wächst, kommt es zu verschärftem Wettbewerb um Kunden - und zu Fehlentwicklungen. So werden Darlehen mancherorts inzwischen zu leichtfertig vergeben. Etliche Kreditnehmer können das Geld nicht mehr zurückzahlen, wie Florian Grohs, Geschäftsführer der gemeinnützigen Kreditgenossenschaft Oikocredit, bestätigt: "Wir wollen nicht leugnen, dass es in manchen Ländern ein Überschuldungsproblem gibt."

Peter Wolff, Mikokredit-Experte beim Deutschen Institut für Entwicklungspolitik, formuliert es so: Wo die Branche stark gewachsen sei, gebe es Hinweise darauf, dass sich "die Qualität des Kreditbestandes verschlechtert hat". Zudem würden Kredite häufig durch die Aufnahme neuer Schulden zurückgezahlt. Untersuchungen zeigen darüber hinaus, dass ein großer Teil der Mini-Darlehen gar nicht in Existenzgründung investiert wird, sondern schlicht für den Konsum - etwa für Lebensmittel oder Schulgeld - aufgebraucht wird.

Indische Medien berichten immer wieder von tragischen Konsequenzen der Überschuldung - etwa von Kleinbauern, die sich das Leben nehmen. Zahlreiche Fälle von zahlungsunfähigen Kreditnehmern werden auch aus Teilen Bangladeschs, aus Nicaragua, Peru und Bosnien-Herzegowina gemeldet.

Eine Schufa für Mikrokredite

Die in der Branche üblichen Zinsen von 20 Prozent und mehr werden zur drückenden Last. Für die vergleichsweise hohen Kreditpreise gibt es indes einen plausiblen Grund: "Bei einem Mikrokredit ist der Verwaltungsaufwand nahezu ebenso hoch wie bei einem größeren Darlehen", erläutert Alexander Kritikos, Vizepräsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW).

Um Fehlentwicklungen zu stoppen, schlägt Experte Wolff vor, den Markt für Mikrokredite schärfer zu regulieren. Die Institutionen müssten besser überprüft, Kreditinformationsbüros - vergleichbar mit der deutschen Schufa - eingerichtet werden. Außerdem plädiert Wolff dafür, dass bei Kreditangeboten der Effektivzins genannt werden muss, um Darlehen zu unterschiedlichen Konditionen miteinander vergleichen zu können.

Trotz aller Kritik halten die meisten Experten die Kleinstdarlehen nach wie vor für wirkungsvoll. "Mikrokredite sind das erfolgreichste Entwicklungshilfe-Instrument, das derzeit angewendet wird", unterstreicht DIW-Vizepräsident Kritikos. Und Oikocredit-Chef Grohs sagt, es gebe zwar unseriöse Anbieter, doch die meisten Institutionen arbeiteten verantwortungsvoll. Oikocredit etwa achte darauf, dass seine Partnerinstitutionen vor Ort die Kreditwürdigkeit ihrer Kunden genau analysierten. "Mikrokredite sind kein Allheilmittel", sagt Grohs. "Aber sie leisten einen wichtigen Beitrag im Kampf gegen die Armut."
 

epd