Es war der Abend des 12. Oktober 1990, der auf Schäuble noch immer große Schatten wirft. Der CDU-Mann, damals Bundesinnenminister, Vertrauter von Kanzler Helmut Kohl und einer der mächtigsten Politiker im gerade wiedervereinten Deutschland, wurde Opfer eines Attentäters. Nach einer Wahlkampfveranstaltung im badischen Oppenau feuerte ein geistig verwirrter Mann aus nächster Nähe drei Schüsse auf Schäuble ab.
Seit diesem Tag ist der heute 68 Jahre alte Spitzenpolitiker an den Rollstuhl gefesselt. Er muss als Folge des Attentats mit dauerhaften gesundheitlichen Probleme kämpfen. Weil eine Operationswunde nicht ordentlich verheilt, liegt er derzeit im Krankenhaus, kämpft gegen Rücktrittspekulationen und zeigt sich entschlossen, bis Ende des Monats an seinen Schreibtisch zurückzukehren.
Nur wenige Kilometer von seinem Wohnort
"Wir denken gerade jetzt mit großem Schrecken an die Ereignisse von damals zurück", sagt ein Polizeibeamter, der an jenem Oktoberabend im Einsatz war. "Der Auftritt von Wolfgang Schäuble in Oppenau war aus polizeilicher Sicht nichts Ungewöhnliches." Das kleine Schwarzwald-Dorf liegt in Schäubles Wahlkreis, er wohnt nur wenige Kilometer vom Tatort entfernt in der Kleinstadt Gengenbach. Termine im eigenen Wahlkreis waren für den damals 48 Jahre alten Politiker und sein Umfeld Routine, die kleine Gemeinde Oppenau war vertrautes Pflaster. Schäuble ist in der Region aufgewachsen, seit 1972 sitzt er für den ländlich geprägten Wahlkreis mit einem Direktmandat im Bundestag.
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An das Attentat vor 20 Jahren erinnern sich heute noch viele Zeugen: In der Gaststätte "Brauerei Bruder" hält Schäuble an diesem Abend eine Wahlkampfrede. Danach bleibt er noch eine Weile. Zahlreiche Anwesende in dem kleinen Saal des Gasthauses sind dem Vertrauten des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl (CDU) persönlich bekannt. Die Stimmung ist gut. Nur sechs Wochen zuvor hatte Schäuble den Vertrag zur Deutschen Einheit unterzeichnet - ein Höhepunkt seiner politischen Karriere, wie er später sagen wird. Der Badener Schäuble gilt als Architekt des Einheitsvertrags.
Als Schäuble kurz nach 22 Uhr - umringt von zahlreichen Menschen - den Saal verlässt, folgt ihm ein damals 37 Jahre alter Mann, der bis dahin unauffällig im Publikum gesessen hatte. Am Ausgang zieht der geistig Verwirrte einen Revolver und feuert aus knapp einem halben Meter Entfernung drei Schüsse ab. Zwei davon treffen Schäuble in den Rücken und am Hals. Die dritte Kugel bohrt sich in den Körper eines Personenschützers, der sich vor den zu Boden sinkenden Schäuble wirft. Der 28 Jahre alte Beamte wird im Bauch getroffen und schwer verletzt.
Ein wildes Durcheinander brach los
"Wir waren total geschockt. Nach einem kurzen Moment brach ein wildes Durcheinander los", erinnert sich ein früherer Mitarbeiter Schäubles, der damals dabei war. Auch Schäubles Tochter wird Zeugin der Schüsse. "Ich spüre meine Beine nicht mehr", sagt der Politiker, kurz bevor er das Bewusstsein verliert. Der lebensgefährlich verletzte Schäuble wird zunächst ins Kreiskrankenhaus Oberkirch und später mit dem Rettungshubschrauber in die Universitätsklinik Freiburg gebracht, wo Ärzte fünf Stunden um sein Leben ringen. Schnell wird klar, dass Schäuble nie wieder wird gehen können. Er ist vom dritten Brustwirbel abwärts gelähmt.
Helmut Kohl, der nach Freiburg an Schäubles Krankenbett eilt, zeigt sich geschockt über den Gesundheitszustand seines wichtigsten Ministers. Auch der damalige SPD-Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine, der knapp ein halbes Jahr zuvor ebenfalls Opfer eines Attentats geworden war, kommt nach Freiburg und ist schockiert.
"Nehmt mir das nicht auch noch"
Doch Schäuble gibt nicht auf. Mit eiserner Disziplin nimmt er nur wenige Monate nach dem Attentat im Rollstuhl seine Amtsgeschäfte wieder auf. Gesundheitlich zugute kommt ihm, dass er vergleichsweise jung und zudem sehr sportlich ist. Und er gilt als äußerst willensstark. Den Abschied aus der Politik, zu dem ihm die Familie rät, lehnt der gläubige evangelische Christ ab. "Nehmt mir das nicht auch noch", sagt er.
Schäubles Attentäter stammt wie sein Opfer aus der Region, er war bereits vor dem Attentat in psychologischer Behandlung. Kurz nach den Schüssen wird er überwältigt und festgenommen. Im Mai 1991 wird er in Offenburg verurteilt. Weil das Gericht bei dem Mann einen Verfolgungswahn feststellte, wurde er in eine geschlossene psychiatrische Anstalt eingewiesen. Dort ist er noch heute in Behandlung.
Die Waffe und die Patronen hatte der 37-Jährige aus dem Waffenschrank seines Vaters, einem örtlichen Bürgermeister, entwendet. Schäuble hat er später in Briefen und in einem Radiointerview um Entschuldigung gebeten. Der Leibwächter, der sich damals schützend vor den Minister warf und ihm damit vermutlich das Leben rettet, starb vor sechs Jahren an den Folgen einer Krebserkrankung.