Christliche Initiative gegen Aldi: Mit Wahrheit gegen Anwälte

Christliche Initiative gegen Aldi: Mit Wahrheit gegen Anwälte
Fair gehandelte Produkte, umweltschonend hergestellt von angemessen dafür bezahlten Arbeitern. Das wünschen sich laut einer Studie des Instituts für Handelsforschung in Köln drei Viertel aller Konsumenten. Realität und Wunsch klaffen auseinander: die Deutschen kaufen beim Discounter. Die Christliche Initiative Romero kämpft für bessere Arbeitsbedingungen bei den Lieferanten, die dem Preisdruck ausgesetzt sind und gerät dabei selber unter Druck.

Die Christliche Initiative Romero (CIR) hat Ärger mit Aldi Nord. Schuld sind unter anderem Marta aus Guatemala und Adriana aus Mexiko. Marta, weil sie trotz der Weihnachtssterne aus ihrer Aufzucht, die bei Aldi für 1 Euro 99 verkauft werden, keine Krankenversicherung hat. Und Adriana, weil sie trotz ihres unermüdlichen Zusammenbauens von Mobiltelefonen, die bei Aldi für 119 Euro verkauft werden, nur monatliche Zeitverträge bekommt.

In einer Persiflage auf vier DIN A4-Seiten hat die CIR einen Flyer herausgegeben, der dem Aldi-Nord-Schnäppchen-Prospekt ähnelt: Angepriesen werden Neuheiten, die die spartanisch eingerichteten Aldi-Regale füllen könnten. Anlass für die Satire ist der 7. Oktober 2010, der Internationale Tag für menschenwürdige Arbeit.

Die CIR bekam deshalb Ende September Post: "Dieses Flugblatt verletzt die Rechte unserer Mandantin in eklatanter Weise", schrieb ein von der Aldi GmbH eingesetzter Anwalt aus Essen in einem Brief an die Hauptgeschäftsstelle der CIR in Münster. Die verwendeten Farben, Bilder und Logos könnten suggerieren, dass es sich um einen echten Aldi-Nord-Werbeprospekt handelt, so die Befürchtung.

Demonstration vor der Aldi-Geschäftsstelle in Essen

Doch nach dem ersten Blick könnte ein zweiter diese visuelle Täuschung zerstreuen: Aus dem Aldi-Slogan "Das Aldi-Prinzip – Qualität ganz oben – Preise ganz unten" machte CIR beispielsweise "Gewinne ganz oben – Arbeitsrechte ganz unten". Fotos für den satirischen Flyer hat CIR zudem bezahlt. Eine "Verletzung von Lichtbildrechten", wie der Aldi-Anwalt schreibt, gebe es somit nicht, sagt André Hagel von CIR.

An das Schreiben hängte der Aldi-Anwalt eine Unterlassungserklärung: Die CIR solle sich verpflichten das Flugblatt nicht weiterzuverbreiten. Andernfalls müsse eine Vertragsstrafe von mindesten 5.100 Euro gezahlt werden, die das Landgericht Münster aber noch festsetzen werde. "Wir haben nicht unterschrieben", sagt André Hagel. Der Grund: "Wir haben recherchiert. Die Informationen auf unserem Flyer entsprechen der Realität."

CIR hat den Flyer in einer Auflage von 30.000 Stück gedruckt. 10.500 davon verschickte die Initiative an die Abonnenten ihres Magazins Presente. 19.500 Stück gingen an Lehrer, die sie für Unterrichtszwecke bestellt hatten, so wie an Eine-Welt-Initiativen und Privatleute. "Wir möchten mit solchen Kampagnen über die Arbeitsbedingungen in den Zulieferländern aufklären", sagt André Hagel. Neben ihrer Flyer-Kampagne hat CIR für den 7. Oktober 2010 auch eine Demonstration vor der Aldi-Hauptgeschäftsstelle in Essen geplant, zusammen mit Konsumenten.

BSCI "ist nur ein Feigenblatt"

"Es geht nicht um Boykott", versichert André Hagel. CIR wolle ein Umdenken in den Unternehmen erreichen. Es reiche nicht, wenn Unternehmen sich verpflichteten, sich an die gesetzlichen Bestimmungen in den jeweiligen Ländern zu halten. Die gesetzlich festgeschriebenen Mindestlöhne in manchen Ländern seien zwar investorenfreundlich, könnten die Existenz der Arbeitnehmer jedoch nicht sichern. "Statt den Einkauf zu boykottieren, müssen Konsumenten durch Nachfragen Transparenz einfordern."

Genauso sieht das auch die Kampagne für saubere Kleidung ("Clean Clothes Campaign", CCC). Im April klagte sie zusammen mit der Verbraucherzentrale Hamburg gegen den Discounter Lidl, weil dieser unzulässig mit sozialer Verantwortung werbe. So könnten beispielsweise Lieferanten von Textilien ihre Arbeitnehmer oft nicht ausreichend bezahlen, weil die Discounter immer weiter die Preise drückten.

Sowohl Lidl als auch Aldi sind zwar, wie 475 andere Firmen auch, Mitglieder in der Business Social Compliance Initiative (BSCI). "Doch das ist nur ein Feigenblatt", sagt André Hagel. Der BSCI-Verhaltenskodex enthält Regelungen zur Arbeitszeit, zu Löhnen und zur Gewerkschaftsfreiheit. Doch eine Verpflichtung, Sozialstandards einzuhalten, gibt es nicht.

Sowohl CCC als auch CIR fordern daher, dass Unternehmen jährlich über die Umsetzung von Sozialstandards in der Lieferkette informieren müssen. Viele Arbeiter hätten keine Verträge und seien bei Arbeitsunfällen nicht abgesichert, außerdem gebe es oft keine ausreichende Arbeitskleidung, so dass Arbeiter ungeschützt mit Giften in Kontakt kämen. CIR bietet im Fall von Aldi beispielsweise ein Online-Formular an. Damit kann man die Geschäftsführung von Aldi bitten, ihre Einkaufspraktiken so zu verändern, dass die Lieferanten ihren Arbeitern faire Löhne zahlen können und Arbeitnehmer nicht ungeschützt mit Pestiziden in Kontakt kommen.

Unterlassungssklage gegen CIR?

CIR ist eine kleine Initiative mit acht hauptamtlich Beschäftigten. „Das jemand gleich rechtliche Schritte einleitet, ist uns noch nie passiert“, sagt André Hagel. Seit 1981 bemüht sich CIR darum, Arbeits- und Menschenrechte in Ländern Mittelamerikas zu verbessern. Vor Ort arbeiten sie mit Nichtregierungsorganisationen zusammen. In Deutschland setzt die Initiative unter anderem auf Bildungsarbeit und Kampagnen.

Die jüngsten Erfolge von CIR seien unter anderem die spürbaren Kurswechsel bei großen Outdoor-Herstellern wie Vaude oder Jack Wolfskin. "Normalerweise treten Unternehmen in den persönlichen Kontakt mit uns", sagt André Hagel. Dann könne CIR helfen, unabhängige Kontrolleure für die Lieferanten vor Ort zu finden, die vorgeschriebene Standards überprüfen können. Auch der Geschäftsführung von Aldi Nord habe CIR nun schriftlich angeboten, sich an einem Tisch zusammenzusetzen, um über bessere Produktionsbedingungen bei den Lieferanten zu sprechen.

Aldi will nicht gegen die Inhalte klagen

Hinter Unternehmen wie Aldi steht eine große finanzielle Macht. Da könne man doch erwarten, dass neben ökologischen auch soziale Standards eingehalten werden, findet André Hagel. "Ausbeutung zum Sparpreis", "sandgestrahlte Jeans aus der Türkei", die bei den Arbeitern wegen der giftigen Dämpfe zu Atemwegserkrankungen führen. Das alles muss nicht sein. Und dass Aldi per Anwalt auf die "Markenrechtswalze" setzt, wie André Hagel sagt, gibt CIR Aufwind. "Wir vermuten, dass Aldi nicht unsere Kritik in den Vordergrund des Anwaltschreibens setzt, weil sie sich ihrer Sache nicht sicher sind." Und zur "Markenrechtswalze" sagt er: "Wir sind doch kein Wettbewerber, der Logos klaut, sondern wir verfolgen ethische und ideelle Zwecke."

Bis jetzt hat Aldi noch keine Unterlassungsklage gegen CIR vor Gericht eingereicht. Und André Hagel hofft auf den runden Tisch. Dort möchte er stellvertretend für Marta, Adriana und all diejenigen sitzen, deren Namen und Existenz die Konsumenten in der Regel nicht kümmert – und André Hagel hofft, dass auch die großen deutschen Discounter irgendwann an diesem runden Tisch Stellvertreter für diese Arbeitnehmer ohne Rechte sein können.


Lilith Becker ist Absolventin der evangelischen Journalistenschule und freie Mitarbeiterin bei evangelisch.de.