Hungerstreik in Chile: Mapuche fordern Land und Rechte

Hungerstreik in Chile: Mapuche fordern Land und Rechte
In aller Welt wird über die 33 chilenischen Minenarbeiter berichtet, die seit dem 5. August in 700 Metern Tiefe eingeschlossen sind. Seit dem 12. Juli befinden sich 32 inhaftierte Mapuche-Indios im Hungerstreik. Auch ihr Leben ist nun bedroht, jedoch findet dies in internationalen und chilenischen Medien fast keine Beachtung, obwohl Menschenrechtsorganisationen und auch Missionswerke schon seit längerem auf Menschenrechtsverletzungen gegen die Mapuche-Indios durch den chilenischen Staat hinweisen.
24.09.2010
Die Fragen stellte Pedro Cayuqueo

Seit mehreren Jahren wehren sich die Mapuche-Indios gegen den Verlust ihres Landes. Traditionell war das Land Allgemeingut, das aber durch Privatisierungsmaßnahmen der chilenischen Regierung dem Mapuche-Volk entzogen wurde. Dem Protest der Mapuche gegen den Landverlust begegnet der chilenische Staat dadurch, dass er Antiterrorgesetzte aus der Zeit der Pinochet-Diktatur gegen Aktivisten des Mapuche-Volkes anwendet und sie vor Militärgerichte stellt. Im 16-Millionen-Einwohner-Staat Chile leben üer 600.000 Mapuche.

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Seit dem 12. Juli führt der Indio-Führer Héctor Llaitul einen Hungerstreik von 32 inhaftierten Mapuche in den Gefängnissen von Concepción, Lebu, Angol, Temuco und Valdivia an. Sie fordern rechtstaatliche Verfahren für sich und eine Lösung im Landkonflikt mit der Regierung.

Für die Regierung ist Héctor Llaitul ein Terrorist, für die indigene Bevölkerung der Mapuche ist er ein Aktivist, der sich mit und für sein Volk engagiert. Héctor Llaitul Carillanca ist 41 Jahre alt und Vater von vier Kindern. Katholische Geistliche haben sich mit den Forderungen der Hungerstreikenden solidarisch erklärt, Medienberichten zufolge hat die chilenische Regierung kürzlich die katholische Kirche um Vermittlung gebeten.

Im Gefängnis El Manzano in Concepción hat Pedro Cayuqueo vom chilenischen Magazin "The Clinic" ein Interview mit Héctor Llaitul geführt, das wir in Auszügen wiedergeben.


Warum befindet ihr euch im Hungerstreik?

Héctor Llaitul: Weil alle anderen Instanzen um Gerechtigkeit einzufordern ausgeschöpft sind, in unserem Fall ist dies der Zugang zu einer gerechten Prozessführung, um einen angemessenen Prozess zu haben. Es ist das letzte, was wir tun können. um uns auszudrücken. Unser Körper ist das einzige, was uns bleibt, um zu protestieren. Aber es ist nicht angenehm im Hungerstreik zu sein, wir leiden viel, es ist hart. Zudem ist es nicht gut, unsere Familien leiden zu lassen. Wir sind Väter, Kinder, Nichten und Neffen, Enkelkinder von jemandem - und sie alle leiden. Aber wir haben die Situation analysiert und auch wenn es paradox klingt, bleibt uns nichts anderes, als unser Leben für den Kampf um das Leben zu riskieren. Ich spreche vom Leben unserer Leute, für eine bessere Zukunft unserer Kinder, für die Rechte unserer Mapuche-Nation. Wenn wir mit diesem Mittel erreichen, dass das Antiterrorgesetz von unserer Prozessführung zurückgezogen wird, hat sich die Mühe gelohnt.

Ihr werdet angeklagt, gegen den "Rechtsstaat" verstoßen zu haben.

Llaitul: Im Territorium der Mapuche operiert der Rechtsstaat nicht wie im Rest des Landes. Wo werden Menschen ihre Felder mit Gewalt weggenommen? Wo werden Aktivisten für soziale Gerechtigkeit politisch verfolgt? Wo werden willkürlich repressive Kampagnen aufgezogen? Wo werden Ausnahmegesetze angewandt wie das Antiterrorismusgesetz? Wie wir wissen nur auf Mapuche-Territorium, so dass wir sagen können, wir leben in einem diktatorischen Staat. Von daher sind für uns Widerstand und Selbstverteidigung legitim, zumal uns alle politischen Wege verschlossen sind. Wenn wir in Bolivien oder Venezuela leben würden, die für uns wirklich demokratische Länder sind, dann säßen die Führer der Mapuche-Gemeinschaft vielleicht im Parlament. Aber wir sind in Chile und hier gibt es für uns nur politische Gefangenschaft.

Ist Chile kein demokratisches Land?

Llaitul: Die Anwendung des Antiterrorgesetzes spricht für sich. Heute ist es ein Instrument, die Mapuche, die ihre Stimme erheben, zu verfolgen. Der Ursprung des Gesetzes liegt im Rahmen eines autoritären Regimes, wie es die Diktatur von Pinochet war, in einem Kontext von Staatsterrorismus, den die ganze Welt abgelehnt hat. Ein anderes Beispiel ist, dass Mapuche-Aktivisten, obwohl sie Zivilisten sind, nach dem Militärgesetzbuch verurteilt werden, was allen Normen eines angemessenen Prozesses widerspricht. Das ist, was wir anklagen.

Sind dies die Hauptgründe für den Hungerstreik?

Llaitul: So ist es. Beide sind der größte Ausdruck einer Ungerechtigkeit in der Prozessführung, die uns heute betrifft. Das Antiterrorismusgesetz ist ein Sondergesetz, welches in der Diktatur für die Verfolgung von Regimegegnern geschaffen wurde und dessen grundlegendes Ziel ist, die Interessen der Mächtigen zu hüten, nicht die Bevölkerung zu schützen. Heute werden mit diesem Gesetz die Investitionen geschützt, die direkt unser Land und seine Menschen betreffen. Und dies zu Gunsten von Unternehmern, die entweder selbst oder als Erben verantwortlich dafür sind, dass uns unser Land genommen wurde, worunter wir nun als Volk leiden.

Wie sieht eure Situation nach 46 Tagen Hungerstreik aus?

Llaitul: Körperlich ist der Schaden offensichtlich. Als Folge der Nichternährung haben wir starken Gewichtsverlust erlitten, wir hier in El Manzano bis zu 17 Kilo. Wir leiden unter körperlicher Schwächung, Schwindel, Kopfschmerzen, Schüttelfrost, wiederkehrender Ohnmacht, Krämpfen und einige leiden unter Organversagen.

Wie ist euer mentaler Zustand?

Llaitul: Mental sind wir sind stabil. Uns stärkt die Tatsache, dass wir in unserem Kampf unterstützt werden von unserem Volk und dass wir wissen, dass unsere Forderungen gerecht sind. Die spirituelle Dimension lässt uns auch stark sein, eine Dimension, die uns als Mapuche sehr charakterisiert. Wir fühlen uns mit den Werten und der Kultur unseres Volkes verbunden. Dadurch fühlen wir, dass dieses Opfer Sinn hat.

Wie reagieren eure Familien auf den Hungerstreik?

Llaitul: Wir haben all ihre Unterstützung gespürt, aber sie haben sicherlich auch widerspüchliche Gefühle. Sie unterstützen uns, aber leiden auch, nicht nur für uns, sondern für alle, die in dieser Situation sind, wie auch für andere Aspekte dieses Kampfes, was es sie gekostet hat, wie sie polizeiliche Repression erleiden. Aber das Leid kennt unser Volk in den Gemeinschaften nur zu gut und auf die eine oder andere Art haben sie sich an die Strenge des Weges angepasst. Unsere Familien haben diesen Hungerstreik verstanden und mit beispielhafter Unerschütterlichkeit angenommen, was für die Berechtigung dieser Bewegung spricht. Wir schätzen die Anstrengungen sehr, die draußen durchgeführt werden, die Bewegung und Kampagnen mit wenig Mitteln, aber großer Würde.

Wie geht die Gendarmerie mit euch im Gefängnis um?

Llaitul: Im Gefängnis El Manzano sind sie beinahe neutral, aber wir wissen, dass sich diese Situation durch Druck von höheren Instanzen, der Regierung und des Justizsystems ändern kann. Es ist kein persönliches Gegeneinander, dies verstehen sie und wir, es ist ein Konflikt auf institutioneller Ebene. Wir hoffen, dass der Hungerstreik respektiert wird und die Bedingungen für uns nicht schlechter werden, denn unsere Haltung ist gefestigt und überzeugt. Wir wissen nicht, wie es in anderen Gefängnissen ist.

Haben Vertreter der Regierung mit euch Kontakt aufgenommen?

Llaitul: Von der jetzigen Regierung niemand, wir wissen nicht einmal, ob sie sich mit dem Hungerstreik befassen. Das erstaunt uns nicht. An der politischen Macht sind auch die Vertreter der großen Unternehmen und so ist deren Geringschätzung, die sie gegenüber unserem Zustand als Gefangene und Mapuche empfinden, beinahe natürlich. Wir hoffen, dass sich dies ändert. Wir verlieren die Hoffnung nicht, dass das Thema politisch aufgenommen wird. Unsererseits sind wir offen, uns mit ihnen an einen Tisch zu setzen, um mit ihnen zu reden. Ich kann aber sagen, dass wir wichtige Besuche aus anderen Bereichen hatten, Menschen, die bereit sind, eine politische Lösung für unseren Hungerstreik zu suchen.

Warum betrachtet ihr euch als politische Gefangene?

Llaitul: Wegen den Qualitäten des sozialen Kampfes, der jeder einzelne der gefangenen Mapuche führt. Auch wegen der politischen und ideologischen Entwicklung, die wir vertreten, die natürlich auf unserer Situation als Mapuche beruht. Wir beanspruchen eine eigene Denkweise - "rakizuam" in unserer Sprache -, die sich aus der überlieferten Weisheit unserer Vorfahren nährt und auf dem Widerstand mit der Realität gründet, die wir heute als Volk leben. Dies wird uns aberkannt, als ob nur jene politische Gefangene sind, die sich gegen ein diktatorisches oder totalitäres Regime erheben.

Reagieren die staatlichen Institutionen auf die Anliegen der Mapuche in einer demokratischen Weise?

Llaitul: Es funktionieren eigene Institutionen einer "Demokratie" und es wird gesagt, dass diese für alle "Chilenen" gleich funktionieren. Vielleicht ist dort das Problem, dass alle Institutionen versuchen, uns zu chilenisieren. Aber wir sind keine Chilenen! Nie wurde dies anerkannt, außer in Zeiten der spanischen Krone. Was heute versucht wird, ist, uns zu integrieren oder – besser gesagt - uns als Kultur, als Nation zu vernichten, dass wir aufhören zu sein, was wir sind. Es genügt die Gesetzgebung anzusehen, es gibt nur Assimilierung und ständigen Kolonialismus. Sicher ist, dass wir ein unterdrücktes Volk sind in einem feindlich beherrschten Territorium. Und diese Besitzentziehung unseres Landes wurde von den Gesetzen und Institutionen des Staates gutgeheißen.

Wie könnte ein Ausweg aus dem Konflikt gefunden werden?

Llaitul: Ganz klar nicht über die Gerichte. Dies ist ein historischer Konflikt mit sehr tiefen Wurzeln und er geht die chilenische Gesellschaft und die Mapuche als Ganzes an, wie auch die internationale Gemeinschaft, die Teil der Lösung sein sollte. Der chilenische Staat ist direkt verantwortlich für das, was heute passiert, es ist ein außerordentlich politischer Konflikt mit historischem, kulturellem Hintergrund, ein Kampf um Anerkennung, um zu sein, was wir sind. Aus unserer Sicht kann eine Beilegung und Lösung des Konfliktes nur politisch geschehen, wenn sie den Staat als Ganzes, und zwar auf den Ebenen der Regierung, der Gesetzgebung und der Rechtssprechung, einbezieht. Dahin zu gelangen verlangt politischen Willen, der heute seitens der Regierung nicht existiert. Unter den Mapuche existiert eine Mehrheit, die darin übereinstimmt, dass der Ausweg aus dem Konflikt politisch ist.


Das gesamte Interview findet sich hier im spanischen Original. Die Übersetzung besorgte Regula Fischer vom Evangelisches Missionswerk Basel. Es wurde das in Chile übliche "du" beziehungsweise "ihr" in der Anrede beibehalten.