Nicht bei den Schwächsten sparen: Nächstenliebe gilt universal!

Nicht bei den Schwächsten sparen: Nächstenliebe gilt universal!
Die Bundesregierung will 400 Millionen Euro bei der weltweiten Krankheitsbekämpfung einsparen. Das Geld rettet Menschenleben vor Malaria, AIDS und Tuberkulose. Das sollte den Sparplänen nicht zum Opfer fallen, fordert Katrin Göring-Eckardt, Präses der EKD-Synode und Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags: Kein Sparkurs auf Kosten der Schwächsten!
23.09.2010
von Katrin Göring-Eckardt

Dass die Globalisierung die Welt unübersichtlich macht und der Nationalstaat an Gestaltungsmacht verloren hat, ist wahr. Trotzdem dient diese Feststellung oft genug als nützliche Ausrede. Es gibt genügend Beispiele, die zeigen, dass der einzelne Staat sehr wohl globale Verantwortung übernehmen und mit seinen Entscheidungen Grundsätzliches erreichen kann. Oder sagen wir es mit christlicher Grundüberzeugung: Der Nächste ist keineswegs immer der, der mir selbst am nächsten steht.

[listbox:title=Mehr im Netz[Webseite des Global Fund (englisch)]]

Ein Beispiel von existenzieller Dimension unserer weltweiten Verantwortung ist der "Globale Fonds zur Bekämpfung von HIV/AIDS, Tuberkulose und Malaria". Hier hängt von Entscheidungen der Geberländer, Unternehmen und Einrichtungen ab, ob Menschen sterben müssen oder durch Medikamente weiterleben können. Seit seiner Gründung im Jahr 2002 konnten durch den "Globalen Fonds" weltweit nicht weniger als 5,7 Millionen Menschen gerettet werden.

2,6 Millionen Tuberkulosekranke = drei Kilometer Autobahn

Aber: Das durch diese einzigartige Einrichtung ermöglichte Engagement für ein menschenwürdiges Leben der Schwächsten gerät durch die geplanten Kürzungen im Bundeshaushalt massiv in Gefahr. Die Bundesregierung plant, ihre Mittel für den "Globalen Fonds" radikal zu kürzen. Statt 600 Millionen Euro bis 2013 einzuzahlen sollen die Mittel für die nächsten drei Jahre um zwei Drittel auf 200 Millionen Euro gekürzt werden.

Was das bedeutet? Mit den fehlenden 400 Millionen Euro könnten 350.000 HIV-Infizierte drei Jahre lang mit Medikamenten versorgt werden. Mit 400 Millionen könnten 2,6 Millionen Tuberkulosekranke geheilt werden. Es ist unübersehbar: Die Kürzung der Mittel hätte "katastrophale Konsequenzen", wie der Direktor des "Globalen Fonds", Michel Kazatchkine, befürchtet. Und der Ökonom Jeffrey Sachs, Leiter des Millenniumsprojekts der UNO, sagt: "Deutschland spart auf Kosten der Ärmsten der Welt". Zugegeben: 400 Millionen Euro sind auch auf drei Jahre verteilt kein Pappenstiel. Wer aber realisiert, dass beispielsweise die Kosten für die Verlängerung der Berliner Stadtautobahn A 100 um gut drei Kilometer mit 420 Millionen Euro veranschlagt werden, der kommt nicht umhin, die Frage nach der Verhältnismäßigkeit zu stellen.

"Bilateral" ist nur ein Euphemismus für Interessenpolitik

Und bei der Frage der Verhältnismäßigkeit auch die der Verantwortung. Bisher war Deutschland nach den USA und Frankreich der größte Geldgeber des "Globalen Fonds". Bleibt es bei den Kürzungsplänen stünde Deutschland zu Recht als Buhmann da - als ein Land, das seiner globalen Verantwortung nicht mehr gerecht werden will. Noch 2005 haben die G-8-Staaten vollmundig versprochen, bis 2010 für alle Bedürftigen weltweit den Zugang zu notwendigen Medikamenten zu gewährleisten. Mit einer entsprechenden finanziellen Ausstattung des Fonds – insgesamt 20 Milliarden Dollar in den nächsten drei Jahren – könnte es gelingen, dass in naher Zukunft kein Kind mehr mit HIV auf die Welt kommt. Dieses Ziel gerät aber durch die Kürzungspläne der deutschen Regierung in Gefahr.

In Interviews hat der zuständige Minister Dirk Niebel bereits angekündigt, in Zukunft auf bilaterale statt auf multilaterale Entwicklungshilfe setzen zu wollen. "Bilateral" ist dabei aber nichts anderes als ein Euphemismus für eine Politik, die die eigenen Interessen statt der Bedürfnisse der Kranken und Schwachen in den Mittelpunkt stellt. Ganz abgesehen davon, dass bei vielen bilateralen Einzelverträgen viel wichtige Zeit im Kampf um Menschenleben verloren geht, kann und darf es nicht sein, dass die deutsche Bundesregierung Menschen je nach politischer oder wirtschaftlicher Kooperationsbereitschaft ihrer jeweiligen Regierungen hilft.

Nächstenliebe muss universal gelten

Der Nächste ist keineswegs der, der mir selbst am nächsten steht und von dem ich vielleicht auch direkt etwas zurück erhalte. Vielmehr ist mein Nächster der, von dessen Not ich erfahre und bei dem ich in der Lage bin, zu helfen. Jesu Gleichnis vom Barmherzigen Samariter sagt es deutlich: Da ist einer unter die Räuber gefallen, und zwei, die sich für besonders fromm hielten, gingen vorbei. Der Dritte, der zufällig denselben Weg ging, verband seine Wunden, gab ihm zu essen und sorgte für ihn. Politisch heißt das für mich: Nächstenliebe, Solidarität und das Recht auf ein menschenwürdiges Leben müssen universal gelten, unabhängig von Partikularinteressen.

Für diesen universalen und globalen Ansatz steht der "Globale Fonds". In ihrer Rede vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen hat die Bundeskanzlerin Angela Merkel den Globalen Fonds als "gelungenes Beispiel" der multilateralen Entwicklungszusammenarbeit gelobt. Hoffen wir, dass diese Erkenntnis sich bis zur Geberkonferenz am 4./5. Oktober in New York auch in Zahlen niederschlägt.


Katrin Göring-Eckardt ist Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags.