"Herr Pfarrer!" – Bericht eines Anfänger-Geistlichen

"Herr Pfarrer!" – Bericht eines Anfänger-Geistlichen
Wie ist das eigentlich, wenn einer frisch anfängt in seinem Beruf als Pfarrer? Muss er sich das Vertrauen erst verdienen, oder stehen ihm alle Türen offen? Hilft das Studium einem weiter, oder ist im Alltag alles ganz anders? Ein Theologe, der gerade die ersten Wochen im Pfarramt hinter sich gebracht hat, berichtet.
20.09.2010
Von Christoph Bährmann*

"Die ersten drei Jahre im Beruf sind die Hölle." Die Worte meines Lehrpfarrers klingen mir noch in den Ohren. Der Mann hatte seine Erfahrungen gemacht. Aber sollten sich meine Erfahrungen damit decken? Die Chancen dafür stehen nicht schlecht, denn die erste Stelle im Beruf als Pfarrer darf man sich nicht selbst aussuchen. Man wird eingeteilt. Für die Kirche sind Berufsanfänger nämlich die einzige Möglichkeit, unattraktive Stellen ohne Bewerber aktiv zu besetzen.

Im Ergebnis bedeutet dies, dass Berufseinsteiger nur die Stellen bekommen, die keiner der Kollegen haben will. Keine besonders gute Voraussetzung für einen entspannten Anfang – aber muss das gleich "die Hölle" sein? Auch, wenn einen durchaus das Los mit drei eigenständigen Gemeinden und 13 Predigtstellen treffen kann, die man alleine versorgen muss: Nein, die Hölle sieht wohl noch mal anders aus.

Vertrauensvorschuss von Amts wegen

"Herr Pfarrer, Gott sei Dank, schön dass Sie endlich da sind. Ich müsste Ihnen da mal etwas sagen..." Die Menschen in den Gemeinden, die nach meistens langer Zeit endlich wieder einen neuen Pfarrer, eine neue Pfarrerin bekommen, sind diesen gegenüber sehr aufgeschlossen. Vertrauen muss man sich oft gar nicht erst verdienen. Vertrauen wird dem Amtsträger entgegengebracht, bevor er selbst etwas dafür tun kann. Das merkt man an den persönlichen Begegnungen, in denen ganz schnell sehr private Themen angesprochen werden.

Der Vorschuss an Vertrauen und Vertrautheit hat auch einen Nachteil: Man wird auf der Straße von Leuten gegrüßt, die man nach eigenem Gefühl noch nie im Leben zuvor gesehen hat. "Hallo, Herr Pfarrer! Sind sie schon gut angekommen?" Das ist schön, denn es zeigt, dass die Integration in einem völlig neuen Sozialraum doch gut und schnell gelingen kann. Aber es ist auch unangenehm, denn mit jedem Gruß erhöht sich der Druck, den Namen des anderen doch auch zu kennen und über die Straße schmettern zu können.

Lust und Last des Feierns in der Gemeinde

Dieser Druck wird von den Gemeindegliedern gezielt dadurch erhöht, dass sie einen zu allen möglichen Veranstaltungen, in Vereine, zu ihren Gruppen und Kreisen einladen. Immer verbunden mit der Erwartung, dass der Amtsträger auch wirklich auftaucht. Schon am Tag der Amtseinführung habe ich zum Beispiel einen ganzen Stapel von Handzetteln mit nach Hause bekommen: Das Konzert einer Gesangsgruppe, die Termine eines Sportvereins, eine Einladung zum Treffen der Hobbygärtner der Gemeinde, die "save-the-date"-Information über einen Polterabend.

Freilich war der Polterabend die angenehmste der Verpflichtungen. Aber eben auch eine Verpflichtung: In einem lockeren Rahmen Präsenz zu zeigen und viele Menschen aus Gemeinde und Gesellschaft kennen lernen zu können, ist am Anfang der Berufslaufbahn besonders wichtig. Sympathien über den kleinen Kern der aktiven Gemeindeglieder hinaus sind ein Kapital, von dem man später zehren kann. All dies verhält sich übrigens durchaus so, wie man es in der praktischen Ausbildung für den Pfarrberuf, im so genannten "Vikariat", gelernt haben könnte.

Taufen, trauen, beerdigen? Routine!

Und es schlägt sich nieder im Terminkalender: Frühmorgens ein Termin im Dekanat bei der Dienstvorgesetzten. Anschließend Besprechung mit Kollegen über die nächsten Wochen. Dann ein Treffen wegen der neuen Homepage der Gemeinde. Ein Glück, dass es Ehrenamtliche gibt, die dabei helfen wollen! Kurz vorbeischauen beim Seniorenmittagsessen im Gemeindezentrum, dann nach Hause und den nächsten Gottesdienst vorbereiten. Ein Trauergespräch am Nachmittag. Schnell den Altkleiderbasar besuchen, bevor Frau und Kind nach Hause kommen. Kurz gemeinsam zu Abend gegessen, schon geht es weiter zu einer Gruppe, die sich um die Bewahrung ökologischer Nischen im Gemeindegebiet kümmert. Der Tag ist vorbei, aber es steht immer noch viel Unerledigtes auf den Listen: Der Anruf bei der Schulverwaltung, der Besuch im Altenheim, von der persönlichen Stillen Zeit mit aufgeschlagener Bibel ganz zu schweigen.

Durch die intensive Ausbildung, die nach sieben Jahren Studium weitere zwei Jahre in der Praxis bedeutet, sind manche Felder pfarramtlichen Handelns glücklicherweise schon zur Routine geworden. Gottesdienste vorbereiten und feiern, Trauergespräche führen, Verstorbene beerdigen – das, was man landläufig als die eigentliche Arbeit der Geistlichen betrachtet, ist den Einsteigern in aller Regel schon längst in Fleisch und Blut übergegangen. "Herr Pfarrer, Bestattung am Neunundzwanzigsten – haben Sie Zeit?" – "Klar. Kein Problem. Ich schiebe mir das zurecht."

Wenn der Nachbar mit dem Kuchen klingelt

Neu ist dagegen die Herausforderung, auch als Person des öffentlichen Lebens einzusteigen und möglichst schnell Fuß zu fassen in der Gemeinde. Wer Theologie studiert und ein Vikariat absolviert hat, der weiß aber in der Regel auch hier, wie er die anstehenden Aufgaben anzugehen hat. Gewissermaßen ohne Vorbildung starten im Gegensatz dazu die Ehepartner von Berufsanfängern in ihr Amt, das einer "Pfarrfrau" oder, neuerdings an Häufigkeit zunehmend, eines "Pfarrmannes". Diese müssen sich ebenso schnell einlassen auf das Dasein als öffentliche Person, auch wenn sie es nicht in der gleichen Weise "gelernt" haben. Damit haben sie vielleicht die eigentliche Herausforderung zu tragen.

Auch die Ehepartner von Pfarrerinnen und Pfarrern leben von dem Vertrauensvorschuss und leiden unter der Verpflichtung, stets überall ansprechbar, freundlich und präsent sein zu müssen. Dabei gehen die Erwartungen an die Verhältnisse im Pfarrhaus heute in aller Regel an der Realität weit vorbei. Es gibt nicht mehr die Pfarrfrau, die selbst nicht berufstätig ist, sich der Kindererziehung widmet und in ihren freien Stunden den Kindergottesdienst vorbereitet, die Bedürftigen vor ihrer Haustür speist und ein offenes Ohr für die Senioren hat, die sie regelmäßig mit einem Stückchen Kuchen besuchen kommen.

Die Hölle sieht anders aus

In Wirklichkeit sind die Pfarrfrauen und –männer meist selbst beruflich sehr eingespannt und haben keine Kapazitäten, um ihre Ehegatten im Pfarramt zu unterstützen. Bis diese Veränderungen von der kirchlichen Basis aber wahrgenommen und akzeptiert werden, dürfte noch einige Zeit vergehen. "Frau Pfarrer, Sie könnten doch noch..." Nein, kann sie nicht – sie muss Geld verdienen, wie viele andere Menschen auch.

Die Hölle ist es nicht, als Berufseinsteiger in einer Gemeinde anzufangen, die keiner der Kollegen haben wollte. Eine prägende Herausforderung ist es aber gewiss. Und das nicht nur für die Amtsperson selbst. Allein, wie sollte eine Ausbildung aussehen, die einen auf diese Herausforderung abschließend vorbereitet? Es gibt sie nicht und kann sie nicht geben. Die harten ersten Jahre muss jeder selbst durchmachen, um wirklich davon profitieren zu können. Insofern ist es dann doch ein bisschen wie in der... Nein. Die Hölle sieht ganz gewiss noch mal anders aus.


Christoph Bährmann ist ein Pseudonym. Der Autor des Artikels ist der Redaktion von evangelisch.de bekannt.