"Der Friedensnobelpreis ist die höchste Ehre"

"Der Friedensnobelpreis ist die höchste Ehre"
Am Freitag wird der diesjährige Träger des Friedensnobelpreises bekannt gegeben. Geir Lundestad leitet das Nobelpreis-Institut. Im Interview mit evangelisch.de spricht er über den langwierigen Auswahlprozess, Versuche der Einflussnahme durch Lobbyisten, US-Präsident Barack Obama und Herbert Grönemeyer.
15.09.2010
Die Fragen stellte Henrik Schmitz

Herr Lundestad, sind Sie ein besonders friedliebender Mensch?

Geir Lundestad: Nicht mehr oder weniger als andere, wieso?

Ich frage mich, wie man Direktor des Nobel-Institutes wird.

Lundestad: Ich habe mich ganz normal auf die Stellenausschreibung beworben.

Schlüsselqualifikation "gute Kontakte zur Politik und kritische Distanz zu Diktatoren und Waffenhändlern"?

Lundestad: Nicht ganz. Man muss vor allem profundes Wissen in Geschichte und Politikwissenschaften haben und sich so gut wie nur möglich mit internationalen Beziehungen auskennen, insbesondere was die Fragen von Krieg und Frieden angeht. Man muss aber auch ein guter Organisator und Manager sein. Das Nobelpreis-Institut organisiert große Veranstaltungen wie die Verleihungszeremonie und die Nobelpreis-Konzerte. Übrigens kann es nicht schaden, wenn man ganz gut mit Medien umgehen kann. Einen Großteil meiner Arbeitszeit verbringe ich mit dem, was ich gerade mit Ihnen mache: Interviews geben.

Sie sind Professor für Geschichte?

Lundestad: Ja, bevor ich 1990 Direktor des Nobel-Institutes und damit Sekretär des Nobelpreiskomitees wurde, habe ich 16 Jahre lang als Geschichtsprofessor bei der nördlichsten Universität der Welt gearbeitet: in Tromsø. Neben meiner Arbeit hier beim Nobel-Institut arbeite ich auch jetzt noch an der Universität Oslo als Professor für Geschichte.

Objektive Information

Ihr Büro sieht genau so aus, wie man es sich bei einem Professor vorstellt. Wie viele Bücher stehen hier herum?

Lundestad: Mehrere Tausend denke ich! Für mich ist es wichtig, dass ich meinen akademischen Ruf erhalte und Zeit finde, mich mit aktuellen Themen der internationalen Beziehungen zu befassen.

Worin besteht ihre Arbeit als Sekretär des Nobelpreis-Komitees?

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Lundestad: Ich arbeite den fünf Mitgliedern des Komitees, die über die Vergabe des Preises entscheiden, zu. Im Kern sorge ich dafür, dass das Komitee so gut wie nur irgend möglich über die Kandidaten informiert ist. Ich selbst bin nicht stimmberechtigt, aber ich bin bei jedem Treffen des Komitees dabei.

Nehmen wir mal an, ich hätte da einen Vorschlag für einen Kandidaten…

Lundestad: …dann müsste der erstmal nominiert werden. Das ist eigentlich relativ leicht, weil zum Beispiel jedes Regierungsmitglied oder jeder Universitätsprofessor für Geschichte oder Politik ein Vorschlagsrecht hat. Aber eine kleine Hürde ist es immerhin. Der Stichtag für die Nominierungen ist der 1. Februar. In diesem Jahr gab es 237 Vorschläge, mehr als jemals zuvor. Meine erste Aufgabe besteht dann in jedem Jahr darin, für das Komitee eine Liste der Nominierungen zu erstellen und aufzuzählen, was die Kandidaten geleistet oder auch nicht geleistet haben.

Wie geht es dann weiter?

Lundestad: Ende Februar stellt das Komitee eine erste Shortlist mit 30 bis 35 Namen zusammen. Wir erstellen dann Berichte über die Kandidaten, einige schreibe ich selbst, andere schreiben vier Mitarbeiter des Institutes, die speziell dafür zuständig sind. Das Komitee liest die Berichte und reduziert die Liste dann ziemlich schnell auf sechs bis sieben Namen. Für die verbliebenen Kandidaten nehmen wir uns dann sehr viel Zeit.

Die sechs Favoriten

Für wen haben Sie sich in diesem Jahr Zeit genommen?

Lundestad: Das ist geheim. Oder sagen wir: Ich werde es jedenfalls nicht verraten.

Wie wird unter den letzten sechs oder sieben Namen der Gewinner ausgewählt?

Lundestad: Wir bitten internationale Experten weitaus detailliertere Berichte zu verfassen. Bis zur Bekanntgabe des Preisträgers oder der Presiträger am zweiten Freitag im Oktober gibt es dann sechs bis sieben Treffen des Komitees, in denen über die Kandidaten gesprochen wird.

Wählen Sie die Experten aus, die die Berichte schreiben?

Lundestad: Ja.

Dann haben Sie sehr viel Einfluss auf die Preisvergabe, oder?

Lundestad: Wenn der Sekretär das Vertrauen des Nobelpreis-Komitees genießt, kann er zweifellos einen gewissen Einfluss haben. Ich versuche das Komitee so objektiv wie nur möglich über die Kandidaten zu informieren, vor allem die Kandidaten, die vorne liegen. Als Experten suche ich deshalb Menschen aus, die vertrauensvoll sind und keine eigenen Absichten verfolgen. Ich selbst verfolge übrigens auch keine eigenen Absichten oder Interessen.

Haben die Mitglieder des Komitees vielleicht andere Interessen?

Lundestad: Zumindest haben sie oft einen politischen Hintergrund und einige von ihnen haben vielleicht auch noch eine politische Zukunft.

Hat Sie die Auswahl des Komitees denn schon einmal negativ überrascht?

Lundestad: Ich bin seit 1990 an dem Auswahlprozess beteiligt und fühle mich bislang bei allen Entscheidungen wohl. Ich habe mit keinem der Preisträger seither ein größeres Problem. Allerdings waren auch nicht alle Preisträger seit 1990 auch meine persönlichen Favoriten.

Kritik an Obama

Im vergangenen Jahr gab es viel Kritik an der Entscheidung, Barack Obama auszuzeichnen. Teilen Sie die Kritik?

Lundestad: Bevor wir die Entscheidung bekannt gegeben haben, hat das Komitee alle möglichen Einwände diskutiert. Die Kritik war dadurch nicht neu für uns und ich teile sie auch nicht. In seinem Testament hat Alfred Nobel festgelegt, dass derjenige den Friedensnobelpreis bekommen soll, der im vorherigen Jahr am meisten für den Frieden getan hat. Das ist eine schwierige Formulierung und natürlich ist der Preis oft für Leistungen vergeben worden, die nicht nur im jeweils vorherigen Jahr erbracht worden sind. Aber hin und wieder gibt es eben doch die Gelegenheit, die Formulierung aus dem Testament wörtlich zu nehmen. Und wenn man sich die Frage stellt, wer 2009 am meisten für den Frieden getan hat, dann ist die offensichtliche Anwort: Barack Obama.

Der Nobelpreis ist eine hohe Ehre und vielleicht sogar mit Macht verbunden. Gibt es Versuche der Einflussnahme?

Lundestad: Es gibt schon einiges an Versuchen der Einflussnahme, je nachdem auch, wie man das definiert. Sehr beliebt ist seit einiger Zeit, möglichst viele Unterschriften für den eigenen Kandidaten zu finden. Ein Kandidat, der den Preis dann übrigens nicht erhalten hat, wurde von 2.500 Vorschlagsberechtigten unterstützt. Für manche Kandidaten unterschreiben bis zu 750.000 Menschen, die allerdings kein persönliches Vorschlagsrecht haben. Außerdem gibt es jedes Jahr fünf bis 15 Delegationen, die mich in meinem Büro besuchen und für ihren Kandidaten werben wollen. In diesem Jahr hat China bei einem Treffen klar gemacht, dass es eine mögliche Auszeichnung eines "Dissidenten" als "unfreundlichen Akt Norwegens" auffassen würde.

Gibt es bei der Vergabe des Preises eigentlich Trends, die sie beobachten? Werden heute andere Kandidaten ausgewählt als noch vor einigen Jahren.

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Lundestad: Der Friedensnobelpreis hat mehrere Entwicklungen durchlebt. Der erste Wendepunkt kam 1960 als mit Albert John Luthuli erstmals jemand geehrt wurde, der nicht aus Europa oder den USA stammte. Seither ist der Preis eine wirklich weltweite Auszeichnung geworden. Außerdem ist die Definition des Begriffs "Frieden" erweitert worden. Staatsmänner und Politiker, die sich auf internationaler, nationaler oder sogar nur regionaler Ebene für Frieden eingesetzt haben, sind ebenso geehrt worden wie Hilfsorganisationen oder Menschen und Gruppen, die sich für Waffenkontrolle und Abrüstung eingesetzt haben. Eher neu sind Auszeichnungen für den Einsatz für Menschenrechte oder die Umwelt, die in unseren Augen aber für das Thema Frieden von wichtiger Bedeutung sind.

Wenn alte Herren toben

Der Friedensnobelpreis selbst hat auch eine politische Dimension und könnte auch die Beziehungen Norwegens zu anderen Ländern belasten. Gibt es dafür Beispiele?

Lundestad: Viele! 1935 wurde der Preis an Carl von Ossietzky verliehen, der ein Symbol des Widerstands gegen Hitler war. Und tatsächlich tobte Hitler nach der Bekanntgabe und erließ ein Dekret, wonach kein Deutscher den Nobelpreis annehmen dürfe, weshalb drei deutsche Wissenschaftler in der Folge auch nicht nach Stockholm fahren konnten, um ihre Preise entgegen zu nehmen. Zwei Mitglieder des Nobelpreiskomitees verließen in der Folge das Komitee, darunter der damalige norwegische Außenminister. Seither ist es übrigens auch Usus, dass die Mitglieder des Komitees nicht gleichzeitig Mitglieder der Regierung sind. Als wir 1975 Andrei Dmitrijewitsch Sacharow und 1983 Lech Walesa auszeichneten, waren einige ältere Herren im Kreml stinksauer und als wir 1989 den Dalai Lama ehrten, tobten einige Machthaber in Peking.

Kennen Sie keine Rücksichtnahme?

Lundestad: Es ist natürlich nicht unser Ziel, ältere Männer wütend zu machen, aber wir stehen zu unseren Prinzipien. Und unsere Interessen sind unabhängig von denen der norwegischen Regierung.

Fragen Sie die Preisträger eigentlich vorher, ob sie auch ausgezeichnet werden wollen?

Lundestad: Nein. Wir versuchen allerdings, die Preisträger etwa eine halbe Stunde vor der Bekanntgabe telefonisch zu informieren. Besonders die unbekannten Preisträger brauchen zumindest eine kurze Zeit, bevor wir sie auf die Weltbühne katapultieren. Es kommt auch vor, dass Preisträger etwas verwirrt sind und meinen, wir hätten einen Fehler gemacht. Aber wenn sie es erst einmal realisiert haben, sind sie doch alle sehr glücklich über die Auszeichnung. Jozef Rotblat, der 1995 für seinen Kampf gegen Atomwaffen ausgezeichnet wurde, musste erst einmal eine knappe Stunde spazieren gehen. Als er zurück ins Büro kam, wartete schon die Presse auf ihn.

Politische Waffe

Ist der Friedensnobelpreis nicht letztlich auch eine politische Waffe, die für bestimmte Ziele eingesetzt wird?

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Lundestad: Ich denke, der Friedensnobelpreis ist vor allem eine Ehre, vielleicht die höchste Ehre, die man einem Menschen oder einer Organisation zuteil werden lassen kann. Im Oxford Dictionary of Contemporary History steht, der Friedensnobelpreis sei der prestigeträchtigste Preis überhaupt. Vielleicht ist er das. Aber der Friedensnobelpreis ist kein Zauberstab. Er kann internationale Verhältnisse nicht ändern. Der Preisträger kann lediglich das Prestige, das er durch den Preis erhalten hat, einsetzen, um für seine politischen Ziele zu werben. Ein Effekt, der vor allem auf die weniger bekannten Preisträger zutrifft. Muhammad Yunus hat gesagt: Bevor ich den Nobelpreis bekommen habe, habe ich geschrien, und niemand hat mich gehört. Jetzt flüstere ich und jeder hört mich.

Sie sagen, der Friedensnobelpreis sei eine weltweit anerkannte Auszeichnung. Dennoch orientiert er sich an Werten, die man auch als "westliche Werte" bezeichnen könnten. Ist es nicht ein Zeichen von Arroganz, diese Werte als weltweiten Standard anzusetzen?

Lundestad: Man muss immer Verständnis und Empathie für die Gegebenheiten vor Ort aufbringen. Und uns ist auch klar, dass mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung aus Asien stammt. Aber natürlich glauben wir an bestimmte Werte. Wir reden hier von Demokratie und Menschenrechten. Diese Werte haben universelle Wurzeln und sind beispielsweise auch von den Vereinten Nationen als universelle Werte übernommen worden. Es gibt Kritiker, die sagen, wir müssten "asiatische Werte" anerkennen. Wenn man dann hinschaut, handelt es sich bei diesen Kritikern in der Regel um Diktatoren, die sich noch nie in ihrem Leben freien Wahlen gestellt haben und ihre Attacken gegen "westliche Werte" reiten, um ihre eigenen autoritären Regime zu stützen. Mal abgesehen davon gibt es auch keine "asiatischen Werte", schon deshalb, weil Asien ein riesiger Kontinent mit sehr unterschiedlichen Kulturen ist.

Mehr Transparenz

Ein Wert könnte auch größtmögliche Transparenz und Offenheit sein. Beim Friedensnobelpreis wird der Entscheidungsprozess aber sehr geheim gehalten. Wäre mehr Offenheit schädlich?

Lundestad: Wir halten die Namen der Experten, die die Berichte über die Kandidaten schreiben, geheim, weil sonst die Gefahr bestünde, dass Druck auf sie ausgeübt wird und sie zu Lobbyisten eines bestimmten Kandidaten werden. Abgesehen davon ist es mir aber auch ein wenig peinlich, dass wir einerseits Regierungen dazu drängen, Akten nur noch bis zu 20 Jahre unter Verschluss zu halten und unsere eigenen Akten 50 Jahre lang nicht zugänglich sind. Wir haben aber bestimmte Regeln, die auch für die anderen Nobelpreise, die in Stockholm vergeben werden, gelten. Und die Kollegen dort wollen an der 50-Jahre-Regel nichts ändern.

Wie läuft die Zusammenarbeit m t Stockholm sonst?

Lundestad: Der Nobelpreis basiert auf dem Erbe Alfred Nobels und dem Geld, das er hinterlassen hat. Daher haben wir wie gesagt einige gemeinsame Richtlinien. Ansonsten arbeitet das Friedensnobelpreis-Komitee aber absolut unabhängig.

Sie sind 65 Jahre alt. Wie lange wollen Sie den Job noch machen?

Lundestad: Ich kann bleiben, bis ich 70 bin, also könnte ich noch ein paar Jahre dranhängen. Ich hatte zwischendurch immer Angebote von Universitäten oder von Parteien, aber ich bin hier geblieben. Ich habe ja auch einen wundervollen Job. Der Friedensnobelpreis hat einen großen Namen und ich kann beinahe jeden Menschen treffen, den ich will. Nicht nur Politiker sondern zum Beispiel auch Popstars. Außerdem habe ich Zeit für meine akademische Arbeit.

Herbert Grönemeyer passt nicht

Bei den Nobelpreiskonzerten ist bislang noch kein deutscher Postar aufgetreten …

Lundestad: Immer wenn ich Menschen aus Deutschland treffe, frage ich, welcher Musiker aus Deutschland auftreten könnte. Und dann wird mir immer jemand vorgeschlagen, der Herbert Grönemeyer heißt. Ich habe mir den mal angehört. Das passt leider nicht so richtig.

Sie schreiben alle fünf Jahre ein Buch, worum geht es aktuell?

Lundestad: Ich befasse mich mit der Frage, welche Nation die USA in den kommenden Jahren als Weltmacht ablösen könnte. Der Fokus liegt da aktuell auf China.

Und?

Lundestad: Möglich, dass China bald ein größeres Bruttoinlandsprodukt haben wird als die Vereinigten Staaten. Aber selbst dann ist China immer noch ein armes Land. Ich glaube kaum, dass China die USA in der nahen Zukunft wirklich als Weltmacht herausfordern kann.


Henrik Schmitz ist Redakteur bei evangelisch.de und betreut die Ressorts Medien und Kultur.