Schnell, billig , nah am Nutzer: Ist das Journalismus?

Schnell, billig , nah am Nutzer: Ist das Journalismus?
Das Internet ist hungrig nach Inhalten. Die klassischen Medien spielen da nur eine untergeordnete Rolle. Gesucht ist, was sich besonders gut vermarkten oder besonders billig produzieren lässt. Am besten beides.
15.09.2010
Von Corinna Blümel

Das Wissensbedürfnis der Menschen ist nicht nur für die Betreiber der Suchmaschinen ein gutes Geschäft. Auch mit den Antworten lässt sich Geld verdienen, wie die so genannten Content-Farmen zeigen. Ein ganzer Geschäftszweig ist entstanden, um den riesigen Bedarf nach Inhalten zu befriedigen und Texte oder Filme zu erstellen, die genau auf die Informationsbedürfnisse möglichst vieler Nutzer zugeschnitten sind: Zeitlos, kurz und verständlich wird in vier bis fünf Schritten erklärt, wie man Kindern Tischmanieren beibringt, Wespenstiche behandelt oder ein Haushaltsbudget aufstellt, um sich nicht zu verschulden.

Wer im englischsprachigen Netz nach Rat solcher Art sucht, landet häufig bei Inhalten von Demand Media. Das 2006 gegründete Unternehmen im kalifornischen Santa Monica stellt täglich Tausende Texte und Videos ins Netz, auf eigenen Themenwebseiten wie dem Gesundheitsportal Livestrong.com, der Outdoor-Community Trails.com und der Ratgeberseite eHow.com oder auf dem YouTube-Kanal "Expert Village".

Ratgeberliteratur zu allen Themen

1,5 Millionen Text-Beiträge und rund 150.000 Erklär-Videos bietet allein eHow.com und verwertet dabei die Weltbibliothek der Service- und Ratgeberliteratur – Karriere, Beziehung, Gesundheit, Ausbildung, Erziehung, Schönheit, Fitness und Abnehmen, alles rund um Haus und Garten, PC und Auto. Weder die Themen noch die Beiträge sind originell oder aktuell, dafür sind sie populär und eignen sich zur Platzierung von Google-Anzeigen. Damit diese Werbegelder fließen, müssen die Inhalte in den Suchmaschinen möglichst weit oben landet. "SEO" heißt der Schlüsselbegriff – "search engine optimized". Das heißt, die Inhalte sind genau so aufbereitet, dass sie von den Suchrobots gefunden werden.

Natürlich ist Demand Media nicht das einzige Unternehmen, das suchmaschinenoptimierte Inhalte von freien Mitarbeitern produzieren lässt. In den USA tummeln sich auf dem Markt zum Beispiel auch AOL mit Seed.com, Yahoo mit Associatedcontent.com oder die Plattform About.com, von Kanada aus füllt das "Autorenportal" Suite101.com Seiten. Auch in Deutschland gibt es neben einem Suite101-Ableger weitere Plattformen, die ähnliches versuchen, darunter die Seite www.wiegehtdas.tv, die im Juli online ging und noch in den Kinderschuhen steckt.

Analysiert wird, wonach Nutzer suchen

Aber nirgendwo ist das Modell bisher so ausgefeilt wie bei Demand Media, wo ein ständig verfeinerter Algorithmus Milliarden von Suchmaschinenanfragen auswertet. Analysiert wird, wonach Nutzer im Netz suchen und in sozialen Netzwerken diskutieren, welche Keywords bei Anzeigenkunden beliebt sind und welche Inhalte es bereits gibt. Aus diesen Informationen werden die Themenideen inklusive zugkräftiger Schlagzeilen generiert. Wenn für Inhalte ein ausreichend großes Publikum und ein attraktives Werbepotenzial errechnet wird, gibt die Unternehmenstochter Demand Studios entsprechende Texte und Videos in Auftrag.

In einer Datenbank können sich rund 10.000 freie Mitarbeiter aus den Vorschlagslisten das heraussuchen, was sie in kurzer Zeit abarbeiten können. Denn bei den eher geringen Honoraren rechnen sich die Aufträge nur, wenn man nicht zu viel Zeit investiert. Textbeiträge haben 300 bis max. 500 Wörter, das übliche Honorar soll 15 bis 20 Dollar betragen. Das gleiche gibt es pro Video – vergeben werden in der Regel Bündel von kurzen Beiträgen zu einem Thema, die mit dem gleichen "Experten" in möglichst authentischer Atmosphäre gedreht werden.

Service-Journalismus?

Als "Service-Journalismus" beschrieb Steven Kydd, einer der Demand Studio-Oberen, das Konzept im April 2010 bei einem Symposium in Austin: "Wir erstellen hilfreiche Beiträge für Menschen, die gesünder, besser oder erfolgreicher leben wollen."

Obwohl die Content-Schmiede keinen explizit journalistischen Anspruch erhebt, lassen sich auch klassische Medien zunehmend mit den "hilfreichen Beiträgen" beliefern: Die Online-Ausgaben der Tageszeitungen "Atlanta Journal-Constitution" und "USA Today" beziehen schon seit einigen Monaten Inhalte für ihre Reiseseiten. Anfang August stellte Demand Media zwei neue "Content Channels" in Kooperation mit der Hearst Corporation vor: Beim "San Francisco Chronicle" entstand das Immobilienportal Homeguides, beim "Houston Chronicle" ein Small Business ressource Center mit Tipps für Selbstständige und kleine Geschäftsleute. Weitere Deals sollen in der Pipeline stecken.

Auch Europa hat Demand Media längst im Blick: Den britischen Ableger gibt es bereits, noch in diesem Jahr soll Deutschland folgen, wie das Unternehmen im Februar angekündigt hat. Dazu lässt sich aber gegenwärtig nicht Näheres erfahren: Nach der Ankündigung des Börsengangs darf Demand Media nach den Regeln der Börsenaufsicht derzeit keine Auskunft über Unternehmensentwicklungen und -projekte geben, wie die Pressestelle mitteilt.

125 Millionen Dollar an der Börse

Bis zu 125 Mio. US-Dollar soll der Börsengang Medienberichten zufolge erbringen. Immerhin erlaubte der Angebotsprospekt für den Börsengang einen Einblick in Geschäftszahlen des Unternehmens. Dabei zeigte sich, dass Demand Media bisher nicht so lukrativ ist, wie Beobachter vermutet hatten. Das Unternehmen, das 2005 rund 355 Millionen Dollar an Risikokapital eingesammelt hatte, erzielte 2009 einen Umsatz von 198 Millionen Dollar, fuhr dabei aber einen Verlust von 22 Millionen Dollar ein. Im ersten Halbjahr 2010 lag der Umsatz bei 114 Millionen Dollar, der Verlust bei 6 Millionen Dollar.

Der Börsengang wie auch der geplante Start in Deutschland werden in der Szene sorgfältig beobachtet – wie alles, was Demand Media macht. Denn die Antwort auf Knopfdruck ist aus dem Internet nicht mehr wegzudenken. Eine Konkurrenz für den "echten" Journalismus ist das Unternehmen allen Befürchtungen zum Trotz zwar wohl eher nicht. Warm anziehen müssen aber vermutlich vor allem Anbieter im Bereich Service- oder Ratgeber-Journalismus. Den klassischen Medienunternehmen dürfte eher die Marktmacht Sorge bereiten, mit der billige Inhalte produziert und damit Werbegelder auf bestimmte Seiten gelockt werden. Das schränkt letztlich nicht nur ihre Finanzierungsmöglichkeiten für journalistische Inhalte ein, sondern verstopft den Markt für eigene, ähnliche Projekte.


Corinna Blümel ist freie Journalistin und arbeitet in Köln.