Der letzte deutsche Vorkriegsrabbiner ist tot

Der letzte deutsche Vorkriegsrabbiner ist tot
Auf den jährlichen Besuch in seiner Geburtsstadt Mainz verzichtete Professor Leo Trepp auch dann nicht, als er schon weit über 90 Jahre alt war. Jeden Sommer flog er aus den USA nach Deutschland, hielt Vorlesungen an der evangelisch-theologischen Fakultät der Mainzer Universität und Vorträge zur jüdischen Geschichte, sogar noch, als er gesundheitlich stark angeschlagen und auf den Rollstuhl angewiesen war.
03.09.2010
Von Karsten Packeiser

Mit faszinierend tiefer, klarer Stimme berichtete der gebrechlich wirkende Mann dann über eine untergegangene Welt - das jüdische Mainz der Weimarer Republik - als handele es sich um Ereignisses des Vortags. Leo Trepp war der letzte noch vor dem Holocaust in Deutschland ordinierte Rabbiner. Am 2. September starb er im Alter von 97 Jahren in San Francisco - genau einen Tag vor der Einweihung einer neuen, repräsentativen Synagoge in seiner alten Heimatstadt.

"Sein Tod bedeutet einen schweren Verlust, denn er nimmt uns einen großen Mann, der die Menschen Güte, Toleranz und den Willen zur Versöhnung lehrte - trotz all der Unmenschlichkeit, die er und seine Familie im Deutschland des Nationalsozialismus erfahren mussten", würdigte der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) den Verstorbenen.

Aussöhnung zwischen Juden und Nichtjuden

In der Nachkriegszeit engagierte sich Trepp stark für die Aussöhnung zwischen Juden und Nichtjuden in Deutschland. Die Heilige Schrift lehre, dass Kinder nicht für die Sünden ihrer Väter sterben dürften. "Immer mehr Deutsche teilen die Ansicht, dass die Nachgeborenen keine Schuld an den Verbrechen der Vorfahren haben, aber dass jeder Deutsche für den Kampf gegen den Antisemitismus verantwortlich ist", sagte der Rabbiner vor einigen Jahren in einem epd-Gespräch.

Trepp wurde 1913 geboren, studierte am Berliner Rabbinerseminar. Nach der Ordination war er ab 1936 Landesrabbiner in Oldenburg und musste miterleben, wie die antijüdischen Repressionen der Nationalsozialisten ständig schärfer wurden und die Verzweiflung der deutschen Juden tagtäglich stieg. Nach der Reichspogromnacht 1938 wurde er vorübergehend im Konzentrationslager Sachsenhausen inhaftiert und erniedrigenden Schikanen ausgesetzt.

Gefühl der Gegenwart Gottes

Bei einem nächtlichen Appell habe er bereits mit seiner Erschießung gerechnet, erinnerte er sich später. "In dieser Stunde überkam mich ein unglaubliches Gefühl der Gegenwart Gottes", schilderte Trepp seine damaligen Gefühle. "Gott war da im Konzentrationslager. Ein tiefer Friede kam über mich." Wenig später gelang ihm noch die Ausreise aus Deutschland, weil der britische Oberrabbiner das rettende Visum für Trepp organisieren konnte. Versuche, auch seinen Eltern die Flucht zu ermöglichen, scheiterten dagegen. Sein Vater starb noch in Mainz, die Mutter wurde in ein Todeslager deportiert.

Über Großbritannien gelangte Trepp in die Vereinigten Staaten von Amerika. In der Nachkriegszeit war er als Professor für Philosophie und Geisteswissenschaften in Kalifornien und als Gemeinderabbiner tätig. Dabei engagierte er sich auch für den christlich-jüdischen Dialog. Seit 1983 übernahm er jährliche Gastprofessuren in Deutschland, wurde neben vielen anderen Ehrungen mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet und Ehrenbürger von Oldenburg.

Wandel der christlichen Theologie

"Vielleicht bin ich der einzige Rabbiner der Welt, der Mitglied einer evangelisch-theologischen Fakultät einer Universität ist", sagte Trepp im Jahr 2005 bei einer Ansprache im Mainzer Landtag, "das ist herrlich." Den Wandel der christlichen Theologie nach Auschwitz, den Verzicht der Kirchen auf antijüdische Ressentiments, bezeichnete er als "eines der Wunder des 20. Jahrhunderts".

epd