Woche 1 läuft. Eigentlich wollte ich diese Reise nach aller Hektik von Umzug und ZDF-Aufnahmen GANZ ruhig beginnen. Aber Schock am Samstagmorgen: Mein Zubringeflug von Hannover nach Frankfurt fiel aus – unwetterbedingt. Seufz! Also wurde ich über München und Charlotte umgeleitet. Das ging schnell und effizient - tolles freundliches Lufthansateam, ein Dank nach Hannover! Etwas ermattet kam ich früh morgens an. Aber vor Bezug des Apartments musste erstmal die Küche aufgefüllt werden mit allem, was der Mensch so braucht. Und US Supermärkte haben rund um die Uhr geöffnet... Im Studentenwohnheim bin ich die ältere Dame, interessantes Gefühl.
Alle sind ziemlich aufgeregt zu Beginn des Semesters. Die Undergraduates müssen auf dem Campus wohnen, hier im Wohnheim sind also nur Graduates und damit 20-Jährige und älter. Auffällig ist aus europäischer Sicht, wie vielfältig die Kulturen sind. Jedes Gesicht zeigt andere Züge, aus Afrika, Asien, Europa, Lateinamerika. Was wäre da ein typischer Amerikaner. Die Mädchen gehen zum Teil extreme leicht bekleidet, Shorts und Top, das würde bei uns an der Uni wohl kaum jemand tun. Andere sind extrem elegant, wieder andere tragen Kopftuch. Was ist da eine typische Amerikanerin? Ich werde nach der Sarrazindebatte gefragt und lerne, dass dieser Name aus dem muslimischem Kontext stammt – interessant...
Das Universitätsgelände ist riesig, eine Stadt in sich. Also laufe ich mit Plan in der Gegend herum. Da der öffentliche Busverkehr so schlecht ist, hat die Universität drei Buslinien eingerichtet, die zentrale Wohngebäude und Universität abfahren. Das macht das Leben einfach. Einen Fahrradfahrer habe ich noch nicht gesehen, und eher Stirnrunzeln erzeugt, als ich gefragt habe, wo eines auszuleihen wäre. Heute Abend bekomme ich nun das von der Universitätspastorin. Aber nicht ohne Helm, sagt sie.
Religiöses auf allen TV-Sendern
Am Sonntag war ich zu müde, um in den Gottesdienst zu gehen und habe stattdessen einen Fernsehgottesdienst gesucht. Meine Güte, alles ist voll davon, fast jeder Sender bringt etwas in irgendeiner Weise Religiöses. Am meisten irritiert mich Joel Osteen. Er wirkt smart, gegeelte Haare und sieht extrem erfolgreich aus. Und er erzählt von einem Farmer, der eine gigantische Ernte einfährt, anders als seine Nachbarn, weil er gesegnet ist wie Abraham. Der war ja auch reich und erfolgreich, weil er geglaubt hat. "Mit Gott kannst du eine Wüste zum Blühen bringen!" Du kannst reich werden trotz widriger Umstände. Eine Frau hat in diesen ökonomisch schweren Zeiten mehr Kunden als alle anderen in der Firma – weil sie Gottes Geboten folgt. Deshalb sollten Firmen froh sein, wenn sie Christen als Angestellte haben "Wenn du glaubst, ist Wachstum möglich, auch wenn die Wirtschaft am Boden liegt." Gott will nicht, dass wir nur überleben, Gott will, dass wir Erfolg haben. Zwischendurch werden Bücher eingeblendet, die man kaufen kann. Und dann erzählt er, wie er seiner Tochter ein neues Handy kaufen will. Am Ende verlässt er den Laden mit drei neuen Handys für Tochter, Sohn und Frau und hat nur eins bezahlt – ein Zeichen von Gottes Segen. Eine Erfolgsmentalität sollen Christen entwickeln. Lepra in der Bibel sei ja auch immer eher eine innere Krankheit gewesen. Wir sollen uns innerlich wandeln, dann werden wir äußerlich erfolgreich….
Oje, davon habe ich gehört, aber ich kann es kaum fassen. Das ist eine Theologie, die ich überhaupt nicht nachvollziehen kann! Und das Fernsehen ist voll von religiösen Sendungen, unvorstellbar bei uns in Deutschland. Da ist ein Comic Programm für Kinder. Du kannst "Gods Design for Marriage" gucken (winningwalk.org) mit biblischen Weisungen für gelingende Ehen. Dazwischen gibt es Werbung für silberne Kreuze und Reisen nach Israel. Ein Bischof, dessen Name nur ganz kurz eingeblendet wird, sagt, wie Wunder geschehen (30 years of miracles). Und in WHSG–TV wird erklärt, dass du dieses Programm nicht verpassen darfst, denn es wird dein Leben verändern. In einem anderen Programm wird für dich gebetet, wenn du anrufst ("A miracle for you"). Geld verdienen, mehr haben, das alles ist Teil der Botschaft, die angeblich biblisch ist. Eine Frau hat eine Sendung mit ihrem Trainer (www.EmpoweringYourLife.org) – sie erklärt, wie der Körper fit bleibt, wenn du an Gott glaubst, und so kannst du abnehmen. Überhaupt ist Übergewicht bei US-Amerikanern ein großes Thema. Ich habe Mühe, dass mit dem gekreuzigten Christus zusammen zu denken. Aber ich will nicht zu schnell urteilen. Das ist nur der zweite Tag...
1.000 Originalschriften von Luther
Am dritten Tag gibt es einen wunderbaren Semestereröffnungsgottesdienst. Zwei Sachen fallen mir auf. Ein Lehrstuhl, the Hankeychair, wird eingerichtet. Ein Mann hat 2,5 Millionen Dollar gespendet, und jetzt kann ein Professor Weltmission lehren. Interessant, oder? Vielleicht können wir davon wirklich lernen. Die Dekanin der Fakultät sagt mir, sie braucht 29 Millionen Dollar für ein neues Gebäude und hat einen Millionär gerade überzeugt, zehn Prozent davon zu geben. Die Lehrstühle heißen oft nach Menschen, die sie finanzieren oder finanziert haben. Merkwürdig.
Und bei der Führung durch die Bibliothek erfahre ich, dass es ab diesem Jahr 1.000 (!) Originalschriften Luthers im Archiv gibt, finanziert vor allem durch Herrn Kessler. Der besitzt eine Hotelkette, hat aber hier studiert und tut so und auf andere Weise viel Gutes. Noch zur Bibliothek: Pat Graham, der Direktor, zeigt mir eine wunderbare Bibliothek. Jede Woche bekommt er Angebote, neue Bücher zu kaufen. Ca. 60 davon sind aus Deutschland und er kauft ca. 10. Das sind bei 52 Wochen ungefähr 520 Bücher allein aus Deutschland! Und die Bibliothek ist sehr offensichtlich sehr gut bestückt. Ihr Schatz aber ist die Reformation in Deutschland. Ich freu mich drauf, das alles genauer anzuschauen.
Die Predigt im Eröffnungsgottesdienst hält E. Brooks Holifield, "Charles Howard Candler" Professor of American Church History. Eigentlich ist es keine Predigt und er sagt das auf humorvolle Weise auch. Er fragt, warum die Amerikaner (angeblich) religiöser seien als die Europäer. Interessante Thesen. Eine nach der anderen setzt er auf (weil Nation und Religion eins sind, weil ….) und setzt er ab (gab es alles in Europa auch) und erklärt, dass er genau darüber in seinem letzten Dienstjahr forschen wird. Wer immer Antworten hat, er sei interessiert. Das ist sehr anregend, die Studierenden und die Professoren hängen an seinen Lippen. Die sind alle in imposanten Roben gekommen – bei 32 Grad! Jede Robe steht in ihrer Farbenfröhlichkeit für die Universität an der sie ihren Abschluss gemacht haben.
Zeichen der Solidarität
Heute Abend war ein Treffen muslimischer Studenten zum Fastenbrechen. Spannend. In den Zeitungen wird heftig debattiert, wie Muslime sich integrieren in der US-Gesellschaft. Hier sind junge Leute, die ihren Glauben praktizieren, aber ganz gewiss Teil des Ganzen sein wollen. Der Universitätspräsident ist gekommen, ganz offensichtlich ein Zeichen von Solidarität. Es wird von der letzten Umfrage (census) berichtet und wie schwer es für manche inzwischen ist, sich einer der acht Kategorien zuzuordnen. "Kaukasian" ist übrigens "weiß" – der Kaukasus also als europäischer Standard. Dann gibt es noch Kategorien von 2-3 Mix. Sehr, sehr merkwürdig. Wer will denn Menschen so einteilen? Und warum?
Am Tisch sitze ich mit zwei jungen Leuten aus Colorado. Der junge Mann aus einem 800-Seelen-Ort ist konvertiert. Seine Frau ist libyscher Herkunft. Sie erzählen, wie schwer es anfangs war, aber heute würden es alle akzeptieren. Und dann frage ich, was es bedeutet, dass im Universitätsprospekt von 30 Prozent Griechischer Gemeinschaft die Rede ist. Und ernte Gelächter. Offenbar gibt es eine Art von "Verbindung". Du gehörst zu delta-delta-delta oder eine andere griechische Buchstabenkombination und damit zu einer Gemeinschaft, die es an allen großen Unis gibt. Verstanden habe ich das noch nicht ganz. Aber es ist ja erst der Anfang...
Diese erste Folge des Blogs wie auch alle anderen Beiträge finden Sie ab sofort im Blog von Margot Käßmann bei evangelisch.de!