Missbrauch: Katholische Kirche hat neue Richtlinien erarbeitet

Missbrauch: Katholische Kirche hat neue Richtlinien erarbeitet
Bei Verdachtsfällen auf sexuellen Missbrauch in ihren Einrichtungen will die katholische Kirche künftig grundsätzlich die Staatsanwaltschaft informieren. Ausnahmen werde es nur auf ausdrücklichen und begründeten Wunsch der Opfer gebe, sagte der Missbrauchsbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Stephan Ackermann, am Dienstag in Trier bei der Vorstellung der neuen Leitlinien.

Die katholische Kirche will stärker gegen sexuellen Missbrauch in ihren Einrichtungen vorgehen. Kinder sollten besser geschützt und die Taten nicht mehr vertuscht werden, erklärte die Deutsche Bischofskonferenz am Mittwoch in Trier bei der Vorstellung neuer Leitlinien. Die schrecklichen Erkenntnisse der vergangenen Monate hätten gezeigt, dass die seit 2002 geltenden Bestimmungen nicht in allen Punkten präzise genug gewesen seien, sagte der Missbrauchsbeauftragte der Bischofskonferenz, der Trierer Bischof Stephan Ackermann.

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) sieht in den bischöflichen Richtlinien noch Unklarheiten. Hingegen begrüßte Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) die verschärften Leitlinien. Diese seien auch ein wichtiges Signal für den von der Bundesregierung einberufenen Runden Tisch Kindesmissbrauch.

Künftig gelten für Priester, Ordensangehörige, Mitarbeiter im kirchlichen Dienst und Ehrenamtliche im Bereich der katholischen Kirche schärfere Regelungen. Bei Verdacht auf sexuellen Missbrauch in katholischen Einrichtungen soll nach den neuen Leitlinien künftig grundsätzlich die Staatsanwaltschaft informiert werden. Ausnahmen werde es nur auf ausdrücklichen und begründeten Wunsch der Opfer geben, sagte Ackermann. Zahlen zum Ausmaß des sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche will die Bischofskonferenz nach seinen Angaben erst in einigen Monaten vorlegen.

Leitlinien sehen keinen Opferfonds vor

In den ab 1. September wirksamen Richtlinien sei klargestellt, dass die kirchliche Voruntersuchung staatliche Ermittlungen nicht behindern dürfe, erläuterte der Bischof. Es sei um ein "ausgewogenes Verhältnis zwischen Anzeigepflicht und der Gewährleistung eines Opferschutzes" gegangen. Die neue Regelung werde auch von der Freisinger Bischofskonferenz der bayerischen Bistümer mitgetragen, versicherte Ackermann. Die bayerischen Bistümer hatten im März eine Meldepflicht für jeden Verdachtsfall eingeführt.

Eine finanzielle Anerkennung von erlittenem Unrecht, ein sogenannter Opferfonds, ist nach Angaben des Bischofs in den Leitlinien nicht vorgesehen. In dieser Frage solle ein gemeinsames Vorgehen an dem von der Bundesregierung einberufenen Runden Tisch zur Aufarbeitung sexueller Missbrauchsfälle beschlossen werden. Dies sei kein Verstecken hinter dem Runden Tisch, betonte Ackermann: "Andernfalls könnte eine ungleiche Behandlung neue Ungerechtigkeiten für die Opfer bewirken." Weiterhin werde es aber seelsorgerliche und therapeutische Hilfsangebote für Opfer geben, die im Einzelfall geregelt würden.

Grundsätzlich lasse die Neufassung das Bemühen erkennen, aus den Schwächen der alten Richtlinien die richtigen Lehren zu ziehen, sagte Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger in Berlin. Unklarheiten gebe es aber nach wie vor bei der Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft. So werde nicht ganz deutlich, wie in kirchlichen Institutionen künftig mit den Fällen umgegangen werden solle, in denen das mutmaßliche Opfer der Einschaltung der Staatsanwaltschaft ausdrücklich widerspreche, kritisierte die FDP-Politikerin.

Lob von der Familienministerin

Familienministerin Schröder erklärte, die frühzeitige Einschaltung staatlicher Verfolgungsbehörden sei ein notwendiger und richtiger Schritt. Ebenso wichtig sei die Einrichtung einer festen Anlaufstelle für Opfer von sexueller Gewalt und deren Angehörigen. "Die katholische Kirche geht den richtigen Weg, wenn sie für die Opfer und deren Angehörigen Hilfen anbietet oder vermittelt", lobte die CDU-Politikerin.

Als überfällig bezeichnete die Grünen-Abgeordnete Ekin Deligöz die Neufassung der Leitlinien, die aber in einem Punkt unzureichend seien. So sei es zwar richtig, bei bekundetem Interesse des Opfers von einer generellen Anzeigenpflicht abzusehen. "Aber dann muss zumindest eine externe, anerkannte Kinderschutzstelle unverzüglich herangezogen werden", forderte die Deligöz.

Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken begrüßte die verschärften Richtlinien. Damit werde deutlich, dass an erster Stelle die Opfer stehen, sagte der Präsident der katholischen Laienorganisation, Alois Glück, in Bonn. Er fügte hinzu: "Sie setzen ein klares Signal gegen Vertuschung und Verschleierung." Hingegen kritisierte die Kirchenvolksbewegung "Wir sind Kirche" die neuen Regeln. Die Beauftragten in den einzelnen Diözesen müssten unabhängig von der Bistumsleitung sein, sagte Annegret Laakmann dem epd. Zudem fehle in den Leitlinien ein Opferfonds zur finanziellen Entschädigung von Missbrauchsopfern.

Jedes Bistum soll Beauftragten ernennen

Der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) bezeichnete die neuen Richtlinien als deutliche Verbesserung. Damit werde die Perspektive der Opfer in den Vordergrund gestellt, erklärte der BDKJ-Bundesvorsitzende Dirk Tänzler in Düsseldorf. Jetzt müssten die Bischöfe alles dafür tun, dass die Richtlinien auch konsequent angewendet würden.

In den Leitlinien ist festgehalten, dass künftig in jedem der 27 Bistümer ein Beauftragter als Ansprechpartner für Opfer zur Verfügung steht, der nicht zur Bistumsleitung gehört. Täter sollten innerhalb der katholischen Kirche nur noch so eingesetzt werden, dass sie in ihrer Arbeit nicht mehr mit Kindern und Jugendlichen in Berührung kommen, versicherte Ackermann. Sich der Täter einfach nur zu "entledigen", sei aus menschlichen und Vorsorge-Gründen nicht verantwortbar.

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hatte Ende Februar ihre Grundsätze für den Umgang mit Fällen von Pädophilie, sexuellem Missbrauch Minderjähriger und Kinderpornografie aus dem Jahr 2002 bestätigt. Danach werden bei Missbrauchsverdacht in der evangelischen Kirche die jeweiligen Mitarbeiter sofort suspendiert.

Missbrauchsopfer von PK ausgeschlosssen

An der Pressekonferenz, bei der die neuen Leitlinien vorgestellt wurden, wollte auch das Missbrauchsopfer Norbert Denef teilnehmen. Er wurde davon ausgeschlossen. Denef, Vorsitzender von "netzwerk B", einem Zusammenschluss Betroffener, verließ vor der Pressekonferenz unter Protest den Raum. Die Leitlinien seien ein Papiertiger, sagte der 61-Jährige im Anschluss dem epd. Denef forderte "Einsicht in die geheimen Unterlagen des Vatikan", eine Aufhebung der Verjährungsfrist für sexuellen Missbrauch im Zivilrecht sowie eine finanzielle Entschädigung der Opfer.

Bereits beim Ökumenischen Kirchentag in Mai in München hatte Denef für Aufsehen gesorgt. Bei einer Veranstaltung zu Fällen sexuellen Missbrauchs versuchte er dem Rektor des Berliner Canisius-Kollegs, Klaus Mertes, das Wort zu entziehen. Denef stürmte an die Bühne und forderte den Jesuitenpater auf, abzutreten und die Veranstaltung abzubrechen.

Auf der Pressekonferenz in Trier wollte er "in offener Rede, frei und auf Augenhöhe" mitdiskutieren, sagte Denef, der als Messdiener von einem Priester und als Jugendlicher von einem Organisten sexuell missbraucht wurde. Er gilt als das erste Opfer, das von der katholischen Kirche entschädigt wurde. Er erhielt im Jahr 2003 vom Bistum Magdeburg ein Angebot über 25.000 Euro, verbunden mit einer Schweigepflicht. Zwei Jahre später erhielt er die Summe ohne Schweigeverpflichtung ausgezahlt. Über seine Erfahrungen veröffentlichte er 2007 das Buch "Ich wurde sexuell missbraucht".

epd