TV-Tipp des Tages: "Die Schwester" (ARD)

TV-Tipp des Tages: "Die Schwester" (ARD)
Der neueste Film von Margarethe von Trotta: Zwei einander in inniger Hassliebe ergebene Schwestern wohnen seit Jahrzehnten zusammen. Wilma ist die ältere und kümmert sich um die deutlich jüngere Margot.
31.08.2010
Von Tilmann P. Gangloff

"Die Schwester", 8. September, 20.15 Uhr im Ersten

„Schwestern oder Die Balance des Glücks“, 1979 entstanden, heißt einer der ersten Filme von Margarethe von Trotta. Sie beschreibt darin das komplexe Beziehungsgeflecht zwischen zwei Schwestern, deren gegenseitige Abhängigkeit zu einem fatalen Ungleichgewicht geführt hat: Mit dem Unglück der einen wächst das Glück der anderen.

Das Drehbuch zu Trottas jüngstem Film stammt von Johannes Reben („Bei Thea“). Reduziert man die Geschichte auf den Handlungskern, sind die Parallelen jedoch unverkennbar: Zwei einander in inniger Hassliebe ergebene Schwestern wohnen seit Jahrzehnten zusammen. Wilma, um die achtzig, ist die ältere; sie kümmert sich um die deutlich jüngere, offenbar schon lange gehbehinderte Margot. Die beiden mögen früher mal ein jeweils eigenes Leben gehabt haben, sind seit geraumer Zeit aber auf einander fixiert. Die verbitterte Margot scheint ihren Lebensinhalt allein aus der Schikanierung Wilmas zu beziehen, die sich wiederum allem Anschein nach mit ihrem Schicksal abgefunden hat. Einen kleinen Hund, den sie spontan auf der Straße kauft, liefert sie brav im Tierheim ab: Margot reagiert angeblich allergisch auf Haustiere. Aber dann trifft Wilma den Hundebesitzer beim Konzert wieder; man kommt sich näher. Auch Margot findet den charmanten Gregor sehr sympathisch, scheint ihrer Schwester aber ausnahmsweise ein bisschen Glück zu gönnen. Als Gregor, ein begnadeter Koch, wegen Überschreitung der Altersgrenze aus seinem Männerheim ausziehen muss, nehmen die Schwestern ihn bei sich auf. Eine Weile funktioniert die Senioren-WG, doch dann kann Margot der Versuchung nicht länger widerstehen.

Im Grunde könnte die Geschichte auch als Kurzfilm erzählt werden; die Handlung ist recht überschaubar. Dass man ihr trotzdem bereitwillig neunzig Minuten lang folgt, spricht zum einen für die Kunstfertigkeit der Inszenierung, ist zum anderen aber natürlich auch den Darstellern geschuldet. Matthias Habich hat dabei die vergleichsweise leichteste Aufgabe; er muss eigentlich nur Charme versprühen und seine Dialoge gelegentlich mit italienischen Vokabeln würzen. Die Herausforderung für Rosemarie Fendel ist schon etwas größer. Wilma ist die zentrale Figur in dieser menage à trois. Ihr kommt zwar eindeutig die Opferrolle zu, aber Fendel muss sie von Anfang an mit einem Funken Widerstand versehen, damit ihr späterer Ausbruchsversuch auch glaubhaft wirkt. Herausragend ist die Leistung von Cornelia Froboess, und das keineswegs bloß, weil sie sich schon seit Jahren rar gemacht hat und ihr letzter bemerkenswerter Auftritt geraume Zeit her ist. Allerdings vollzieht Margot auch die größte Entwicklung: Als Gregor in die traute Zweisamkeit eindringt, blüht Margot ähnlich auf wie Wilma. Sie wandelt sich von einer durchtriebenen ordinären alten Hexe, vor deren Zynismen nichts und niemand sicher ist, zu einer Frau, deren Attraktivität lange unter Verbitterung verschüttet war. Eine simple Farbdramaturgie mit akzentuierten Rot-Tönen deutet allerdings von Beginn an darauf hin, dass sich hinter Margots Starrsinn weibliche Bedürfnisse verbergen; selbst ihre Gehstützen sind knallrot. Seltsam nur, dass man nie erfährt, was zu ihrer Behinderung geführt hat.

Obwohl sich die Geschichte über weite Strecken in der Wohnung der Schwestern zuträgt, wirkt das Kammerspiel nur selten wie ein verfilmtes Theaterstück; ohne Frage neben den vorzüglichen Hauptdarstellern auch ein Verdienst der Bildgestaltung Axel Blocks.


Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und verschiedene Tageszeitungen mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).