"Genetische Identität": Kritik an Sarrazin wächst

"Genetische Identität": Kritik an Sarrazin wächst
Thilo Sarrazin legt nach: Der Bundesbank-Vorstand hat mit neuen Thesen zur "genetischen Identität" eines Volkes parteiübergreifend Empörung ausgelöst.

Das 65-jährige SPD-Mitglied sagte der "Welt am Sonntag": "Alle Juden teilen ein bestimmtes Gen, Basken haben bestimmte Gene, die sie von anderen unterscheiden." Der frühere Berliner Finanzsenator, dessen neues Buch "Deutschland schafft sich ab" am Montag in Berlin vorgestellt wird, war zuvor bereits wegen seiner Thesen zur mangelnden Integrationsbereitschaft von Ausländern in die Kritik geraten.

Der Zentralrat der Juden in Deutschland reagierte empört: "Wer die Juden über ihr Erbgut zu definieren versucht, auch wenn das vermeintlich positiv gemeint ist, erliegt einem Rassenwahn, den das Judentum nicht teilt", sagte Zentralrats-Generalsekretär Stephan Kramer der Zeitung "Bild am Sonntag".

Kritik aus allen Parteien

Der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle warf Sarrazin vor, er leite "Wasser auf die Mühlen des Rassismus und des Antisemitismus". Die Äußerungen seien "vollständig inakzeptabel", sagte der Außenminister dem Bonner "General-Anzeiger". Auch gefalle ihm nicht, dass Sarrazin "Kindern aus Ausländerfamilien generell mangelnden Bildungswillen unterstellt", so Westerwelle.

Auch der scheidende hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) bezeichnete die Äußerungen Sarrazins als unerträglich. Diesem gehe es offenbar "nur noch um Verbalradikalismus und Tabubrüche", sagte Koch "Bild am Sonntag".

Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Renate Künast, erklärte: "Das Gefasel des Thilo Sarrazin ist unerträglich rassistisch und diskriminierend." Es sei beschämend, dass Wirtschafts- und Bankenvertreter "so auffällig" dazu schwiegen.

Der SPD-Politiker Joachim Poß, der zurzeit Frank-Walter Steinmeier als Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion vertritt, forderte Sarrazin zum Parteiaustritt auf. Sarrazin wähle eine Form der Diskussion, die Diskriminierung einschließe und einen positiven Dialog nicht zulasse, sagte Poß den Zeitungen der WAZ-Mediengruppe (Montagsausgaben).

Sarrazin wehrt sich gegen Rassisten-Vorwurf

Der Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises in der SPD, Johannes Kahrs, verlangte ebenfalls den Rückzug Sarrazins aus der Partei. "Eine Religionszugehörigkeit hat mit Genen nichts zu tun. Sarrazin hat damit Muslims und insbesondere Juden in geschichtsvergessener Weise diskriminiert", sagte Kahrs der Zeitung "Die Welt" (Montagsausgabe).

Sarrazin wehrte sich unterdessen gegen den Vorwurf, ein Rassist zu sein. Mit Blick auf Zustimmung zu seinen Thesen vom rechten Rand sagte er der "Welt am Sonntag", seine Hoffnung sei, dass die demokratischen Parteien Befürchtungen und Sorgen großer Bevölkerungsteile aufnähmen. Von seiner Position lasse er sich auch durch Beifall aus der falschen Ecke nicht abbringen. Im Deutschlandfunk sagte Sarrazin, der 1973 in die SPD eintrat: "Ich bleibe SPD-Mitglied bis an mein Lebensende."

Sarrazin war zuvor bereits wegen seiner Thesen zur mangelnden Integrationsbereitschaft von Ausländern und Muslimen in die Kritik geraten. In seinem neuen Buch warnt er davor, dass die Deutschen zu "Fremden im eigenen Land" würden. Außerdem vertritt er den Standpunkt, muslimische Migranten integrierten sich überall in Europa deutlich schlechter als andere Migrantengruppen. Die Ursachen dafür lägen offenbar in der Kultur des Islam. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU) warf Sarrazin vor, ein Zerrbild der Integration in Deutschland zu zeichnen.

epd