Frankfurter Islam-Studien betonen die Theologie

Frankfurter Islam-Studien betonen die Theologie
"Islamische Studien" finden sich ab dem Wintersemester im Lehrangebot der Goethe-Universität Frankfurt. Der neue Bachelorstudiengang ist mehr theologisch ausgerichtet als die bisherigen Angebote in Osnabrück und Münster und soll auf Tätigkeiten in zahlreichen Berufszweigen vorbereiten. Ein Gespräch mit dem islamischen Theologen und Frankfurter Stiftungsprofessor Ömer Özsoy.
27.08.2010
Die Fragen stellte Canan Topçu

Worin unterscheidet sich der neue Studiengang von dem bisherigen Lehrangebot des Instituts für Studien der Kultur und Religion des Islam?

Özsoy: Das einzige Lehrangebot unseres Instituts war bisher ein religionswissenschaftlicher Teilstudiengang für Islamische Religion. Der neue Studiengang versteht sich im Sinne der Empfehlungen des Wissenschaftsrats als eine islamisch-theologische Disziplin, die die Binnenperspektive mit allgemeinen geistes- , kultur - und sozialwissenschaftlichen Perspektiven verbindet. Theologie als rationale Reflexion über den Glauben beinhaltet sowohl die Beschäftigung mit religiösem Quellenmaterial auf wissenschaftlicher Ebene als auch die Auseinandersetzung mit der religiösen Glaubenspraxis und deren Vermittlung. Darüber hinaus sind neue Fächer wie praktische Theologie, Religionspädagogik, Sozial- und Gemeindearbeit islambezogen zu erschließen.

Über die Auseinandersetzung mit der islamischen Tradition hinaus befasst sich der als Bachelor konzipierte neue Studiengang mit der islamischen Religion im europäischen und insbesondere im deutschen Kontext. Dabei kommt der interdisziplinären Islamforschung und wissenschaftlichen Aufarbeitung des Diskurses islamischer Theologietraditionen im Kontext christlicher und jüdischer Theologietraditionen in ihrer europäischen und deutschen Ausprägung große Bedeutung zu. Übrigens geht die Entscheidung des Senats, diesen Studiengang einzurichten, auf Überlegungen im vergangenen Jahr zurück. Noch vor der Veröffentlichung der Empfehlungen des Wissenschaftsrates im Januar hatten wir mit der Ausarbeitung dieses theologischen Konzepts begonnen.

Angekündigt ist der Studiengang als dreijährig und mit einem BA-Abschluss. Welche Perspektiven bieten sich den Absolventen?

Özsoy: Das Studium der Islamischen Studien bildet neben Theologen und wissenschaftlichen Nachwuchskräften auch Fachkräfte für islamische Theologie aus. Das Studium vermittelt auch interkulturelle und interreligiöse Kompetenzen. Der Abschluss eines B.A. in Islamischen Studien qualifiziert für Arbeitsfelder in wissenschaftlichen, gesellschaftlichen, kulturellen und religiösen Bereichen. Absolventen könnten etwa tätig sein als Berater in der Wirtschaft und Politik, in der Gemeindearbeit (Seelsorge), Kinder- und Jugendarbeit, Erwachsenenbildung und in den Medien. Wir bilden zwar keine Lehrer für islamischen Religionsunterricht oder Religionskunde aus, aber in Anbetracht des dringenden Bedarfs an Lehrkräften könnte sich unseren Absolventen auch die Perspektive des Lehrerberufs öffnen – in vielen Bundesländern werden ja selbst Absolventen verwandter Fächer nach einem kurzen pädagogischen Weiterbildungskurs als Lehrer eingestellt. Ich gehe jedoch davon aus, dass das Land Hessen unser theologisches und religionswissenschaftliches Angebot in Anspruch nehmen wird, wenn es Religionslehrer für den Islam ausbilden will. Auch die muslimischen Teilnehmer des Runden Tisches haben sich dafür ausgesprochen, dass Religionslehrer an der Goethe-Universität ausgebildet werden sollten.

Worin unterscheidet sich der Frankfurter Studiengang von denen in Münster und Osnabrück, wo ja auch der Islam aus der Binnenperspektive gelehrt wird?

Özsoy: Der Kernunterschied zwischen Frankfurt, wo der Islam seit 2003 binnenperspektivisch erforscht und vermittelt wird, und den anderen Unis besteht darin, dass wir einen theologischen Schwerpunkt in Lehre und Forschung haben und keinen religionspädagogischen oder fachdidaktischen. Schon im Jahre 2002 wurde als oberstes Ziel die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses und des intertheologisch-akademischen Diskurses festgelegt. Das wechselseitige Verständnis der Weltreligionen soll gefördert und fortentwickelt werden. Gemäß dieser anfänglichen Zielsetzung soll das Institut in Lehre und Forschung zur Etablierung einer wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Islam, anders als Orientalistik und Islamwissenschaft, aus der Binnenperspektive beitragen, wobei der Islam - im Gefolge des wissenschaftlichen Diskurses - an der Universität interdisziplinär erforscht und authentisch vermittelt werden soll. Diese Differenz lässt sich schon in der Bezeichnung der jeweiligen Einrichtungen an verschiedenen Unis, aber auch auf curricularer und personeller Ebene erkennen.

Theologie, Religionspädagogik und Fachdidaktik sind natürlich unterschiedliche Aspekte, die für die theologische Ausbildung alle wichtig sind. Für uns ist die Theologie zentral, weil gerade sie in Deutschland fehlt und etabliert werden soll. Wenn eine theologische Grundlage da ist, dann kann man alles andere darauf aufbauen. Das heißt, Theologie sollte die Religionspädagogik und Fachdidaktik begleiten. Ich denke, Frankfurt hat bisher sehr viel zur Etablierung der Islamischen Theologie beigetragen und wird es weiterhin tun. Dass wir in Frankfurt primär Theologie betreiben, bedeutet nicht, dass wir kein Interesse an Lehrer- und Imamausbildung haben. Damit unser Institut auch diese Ausbildungsprozesse wissenschaftlich begleiten kann, sind neue Strukturen erforderlich, für die in erster Linie nicht wir als Fachvertreter, sondern der Staat und die Vertreter der Muslime zuständig sind.

Außenstehende, die die Entwicklungen unter anderem an den Universitäten Münster, Osnabrück und Frankfurt verfolgen, gewinnen den Eindruck, als hätten die Hochschulen einen Wettlauf angetreten ... Und zwar darum, welche Uni als erste den Empfehlungen des Wissenschaftsrats nachkommt, "autonome Organisationseinheiten für Islamische Studien zu etablieren". Gibt es denn einen Zeitdruck?

Özsoy: Dass Bundesministerin Anette Schavan die Empfehlungen des Wissenschaftsrats unterstützt, ist begrüßungswert; gegenwärtig hat das aber nicht nur zu einem Wettlauf zwischen den erwähnten vorhandenen Einrichtungen geführt, sondern auch zu einem Überbieten an vorschnell proklamierten Kompetenzzusagen einzelner Universitäten, die bisher so ein Konzept nicht hatten. Diese Entwicklung bewirkt genau das Gegenteil von dem, was der Wissenschaftsrat empfohlen hat, nämlich angesichts der begrenzten Ressourcen an potenziellem Fachpersonal an nur zwei bis drei staatlichen Universitäten Islamische Theologie einzuführen, die dem Namen gerecht wird. Hier ist kein Tauziehen, sondern eine enge Kooperation und die Bündelung von notwendigen und vorhandenen Kompetenzen zwischen den erwähnten Standorten angebracht. Das entspricht nicht nur einer moralischen Verpflichtung, sondern auch rationalen und ökonomischen Erwägungen.

Vor diesem Hintergrund drohen die aus jahrelangen Erfahrungen abgeleiteten fachlichen und organisatorischen Überlegungen als sekundär abgetan zu werden. Was passiert mit den Einrichtungen, die bereits zu Zeiten, in denen es noch nicht auf der politischen Tagesordnung stand, mit eigenen Mitteln die Islamischen Theologie oder Religionspädagogik zu etablieren begannen und die nicht unterstützt werden? Ich denke, dass die bestehenden Institutionen, die keine zentrale Unterstützung bekommen, geschwächt werden und möglicherweise geschlossen werden müssen, weil sie durch diese staatliche Abwahl nicht nur an Ansehen und somit an Personal verlieren, sondern auch zu einem ungerechten Wettbewerb gezwungen werden. Der Bund sollte hier in Zusammenarbeit mit den Ländern und jeweiligen Fachvertretern nach reiflicher Überlegung und Rationalitätsprinzipien seine Entscheidung treffen. Denn dies ist für die Etablierung und Zukunft der Islamischen Theologie von enormer Wichtigkeit.

Aus wie vielen Lehrenden besteht das Institut und wer finanziert die Einrichtung des neuen Studiengangs? Bisher war ja die türkische Religionsbehörde Geldgeber für zwei Stiftungsprofessoren - bleibt das auch in Zukunft so?

Özsoy: Das Institut wurde im Juni 2009 gegründet. Sie geht auf die Stiftungsprofessur für Islamische Religion zurück. Die ursprüngliche Institution "Stiftungsprofessur für Islamische Religion" und ihre Infrastruktur sind vor acht Jahren am Fachbereich Evangelische Theologie in Kooperation zwischen der Goethe-Universität und dem Türkischen Präsidium für Religiöse Angelegenheiten (Diyanet Isleri Baskanl?g?) entstanden. Seit Juni 2009 sind die Stiftungsprofessur und -gastprofessur für Islamische Religion am Fachbereich Sprach- und Kulturwissenschaften angesiedelt und dem neu gegründeten Institut für Studien der Kultur und Religion des Islam zugeordnet. Aufgrund einer neuen Vereinbarung ist das Institut um eine dritte Professur erweitert worden; sie ist vor kurzem ausgeschrieben worden. Das Lehrpersonal besteht also derzeit aus einem Stiftungsprofessor, einem Stiftungsgastprofessor, einem Arabischlehrer und einem wissenschaftlichen Mitarbeiter. Bald werden wir einen Stiftungsprofessor und einen wissenschaftlichen Mitarbeiter bekommen. Zusätzlich sind jedes Semester externe Wissenschaftler – je nach Bedarf – tätig. Hierzu planen wir, noch im Jahr 2010 aus öffentlichen Mitteln eine oder zwei Professuren sowie entsprechende Mitarbeiterstellen einzurichten, damit alle wichtigen Fächer des theologischen Kanons durch eigene Professuren vertreten werden können. Für die Lehrerausbildung müsste das Land Hessen zusätzlich eine religionspädagogische Professur zur Verfügung stellen, weil wir von uns aus keine Lehrer ausbilden können.


Prof. Dr. Ömer Özsoy (47) studierte in Ankara Pädagogik und islamische Theologie und wurde 1991 mit einer Arbeit zum Thema "Über die Bedeutungsverschiebung eines koranischen Ausdrucks: sunnatull?h" promoviert. Anschließend war er Professor für Koranexegese an der Universität Ankara, ehe er zu Forschungs- und Lehraufenthalten nach Göttingen und Salzburg kam. Seit 2006 hat Özsoy die Stiftungsprofessor für Islamische Religion an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Goethe-Universität in Frankfurt am Main inne, seit 2009 ist er Direktor des Instituts für Studien der Kultur und Religion des Islam am Fachbereich Sprach- und Kulturwissenschaften der Universität.