Ramadan rückt deutschen Islam in den Blickpunkt

Ramadan rückt deutschen Islam in den Blickpunkt
Heute beginnt der Ramadan. Im islamischen Fastenmonat stehen die rund vier Millionen Muslime in Deutschland noch stärker als ohnehin im Blickpunkt. Kopftuch, Burka, Minarette, Islamunterricht - die Diskussionen werden kontrovers geführt. Wie steht es um die gesellschaftliche Integration der Muslime, wo liegen Chancen und Grenzen des christlich-islamischen Dialogs?
10.08.2010
Von Bernd Buchner

Im Islam spielt das Sehen eine große Rolle. Muslimische Frauen verhüllen sich mit einem Kopftuch oder gar einem Ganzkörperkleid, weil sie von den angeblich lüsternen Männern nicht betrachtet werden sollen. Und der Ramadan beginnt, wenn nach dem Neumond erstmals wieder die Mondsichel am Nachthimmel zu sehen ist. Das Sehen kann subjektiv sein: Deshalb wusste im Voraus niemand so genau, ob der muslimische Fastenmonat nun am Mittwoch oder am Donnerstag beginnt. Nicht einmal die astronomisch bewanderten Glaubensfachleute in Kairo oder Riad.

Wenn das Sehen subjektiv ist, verwundert es nicht, dass der Islam eine dialektische Religion ist – obwohl er die auch dem Christentum innewohnende Dialektik der Aufklärung noch nicht durchlaufen hat. Es gibt verschiedene Richtungen in der muslimischen Religion, oft heißt es "einerseits, andererseits" oder "sowohl als auch". Anders ist das aber bei den Bestimmungen für das Fasten im Ramadan: Vier Wochen lang sollen die Gläubigen von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang auf Essen, Trinken, Rauchen und auch Sex verzichten. Davon ausgenommen sind nur Reisende, Kranke und Schwangere.

Falsches Verständnis von "Ehre"

In Deutschland wie andernorts wird seit Jahren heftig über den Islam gestritten. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in New York ist das nicht verwunderlich. Es geht um Freiheit, Sicherheit und den Umgang mit einer vermeintlich rückständigen, radikalen Religion. Kopftuch und Burka gelten nach westlichem Verständnis als Kennzeichen der Unterdrückung der Frau, die Gewaltbereitschaft junger muslimischer Männer und ihr falsches Verständnis von "Ehre" bereiten Sorgen. Die islamische Reaktion auf die Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen löst Kopfschütteln aus.

Auch mancher deutsche Muslim schüttelt den Kopf über die Diskussionen: Früher war er nur ein einfacher türkischer Gemüsehändler, der auf dem Markt in Neukölln oder anderswo seine Paprikaschoten anbietet. Heute verkauft man ihn in den Medien als Vertreter des weltweiten Islam, der im Zweifel seine Frau unterdrückt und Bomben baut. Immerhin, das Wort "Gastarbeiter" wird immer seltener verwendet. Auch in der Bundesrepublik hat man akzeptiert, dass Einwanderung eine Tatsache ist – und dass Multi-Kulti-Schwärmerei und eine vernünftige Integrationspolitik zwei Paar Schuhe sind.

Aramäische Urschrift des Koran?

Islamwissenschaft ist an deutschen Universitäten, obwohl die Zahl der Studiengänge zunimmt, noch immer ein Orchideenfach. Das Wissen um die muslimische Religion ist vergleichsweise gering. Der Koran gilt den Gläubigen als heiliges Buch, das nicht hinterfragt werden darf – täten sie es, würden sie vielleicht zu überraschenden Erkenntnissen kommen. Liegt dem arabischen Koran eine Urschrift in Aramäisch zu Grunde? Hat Mohammed wirklich gelebt oder ist der "Gepriesene" in Wirklichkeit Jesus, der Aramäisch sprach und von den Muslimen ohnehin als Prophet anerkannt ist?

Im christlich-muslimischen Dialog dürfen solche Positionen keine allzu große Rolle spielen, sonst hört das Gespräch auf, bevor es begonnen hat. Versuche, den anderen einzugemeinden und zu missionieren, führen in die Irre. Auch falsche Toleranz schadet – das bringt die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) in ihrer vor einigen Jahren erschienenen Denkschrift "Klarheit und gute Nachbarschaft" zum Ausdruck. Die teils harschen Positionierungen stießen auf Kritik – doch ein Schmusekurs gegenüber dem Islam träfe nicht die gesellschaftliche Stimmung im beginnenden 21. Jahrhundert.

Nichtmuslime zum Fastenbrechen eingeladen

Die gewachsene Aufmerksamkeit für den Islam ist verbunden mit einer neuen Offenheit seitens der Muslime – so überträgt die Große Moschee von Lyon in diesem Jahr erstmals die Ramadangebete live im Internet. Zum allabendlichen Fastenbrechen sind vielerorts auch Nichtmuslime eingeladen. Zu dem Festmahl nach Sonnenuntergang gehören meist Datteln, eine Suppe, Fleisch und Süßigkeiten. Und zum Ende des Fastenmonats steht am 9. September das Zuckerfest ("Id al-Fitr") an, das besonders feierlich begangen wird. Der Islam ist eine Religion des Sehens und des Schmeckens.

Ein Grußwort von Landesbischof Ulrich Fischer an die badischen Muslime finden Sie hier.


Bernd Buchner ist Redakteur bei evangelisch.de und zuständig für die Ressorts Politik und Religion.