Lokale Perspektiven für Google Streetview

Lokale Perspektiven für Google Streetview
Das umstrittene Straßenkartierungsprojekt Google Streetview soll Ende des Jahres an den Start gehen. Die Straßenzüge der 20 größten Städte Deutschlands werden dann in Frontalansicht im Internet zu sehen sein. Für Google ergeben sich damit nicht nur neue Such-, sondern vor allem neue Werbeperspektiven.
10.08.2010
Von Christiane Schulzki-Haddouti

Wer in Berlin, Bielefeld, Bochum, Bonn, Bremen, Dortmund, Dresden, Duisburg, Düsseldorf, Essen, Frankfurt am Main, Hamburg, Hannover, Köln, Leipzig, Mannheim, München, Nürnberg, Stuttgart oder Wuppertal wohnt, wird sein Heim noch vor Jahresende im Netz sehen können. Anders als bei Google Maps aber nicht aus Vogelperspektive, sondern aus Fußgängerperspektive mit einer Augenhöhe von 2,90 Meter. Weil die Bauordnung in vielen Städten Zäune von höchstens 1,80 Meter erlaubt, könnte Google Streetview erheblich mehr zeigen als erwünscht.

Ein Gutachten der Landesregierung in Rheinland-Pfalz hatte vor allem die Kamerahöhe beanstandet. Google verteidigte die Höhe mit dem Argument, dass erst so auch Straßennamen oder Restaurantschilder zu erkennen seien. Bei niedrigerer Höhe würde man entweder Menschen direkt ins Gesicht fotografieren oder hauptsächlich Autos zeigen. In Japan konnten Anwohner eine andere Kamerahöhe erfolgreich durchsetzen: Google musste sämtliche Aufnahmen in 12 Städten wiederholen. Dabei musste das Unternehmen die Kamera auf Kopfhöhe montieren, damit die Aufnahmen keinesfalls mehr verraten als ein normaler Spaziergänger erfahren würde. Ein Blick über den Gartenzaun soll so verwehrt werden.

Musterbrief für den Einspruch

Bürger der Pilotregionen können in den nächsten vier Wochen per Post oder über die Website von Google Streetview widersprechen. Ab Montag können sie mit Hilfe eines Online-Werkzeugs auf der Website den Ort des eigenen Hauses markieren und Google auffordern, es auf den Bildern unkenntlich zu machen. Nicht nur Hausbesitzer, auch Mieter können Einspruch erheben. Voraussetzung ist jedoch, die eigene Anschrift Google mitzuteilen. Google will nämlich jeden Einspruch schriftlich bestätigen. Das Bundesverbraucherschutzministerium stellt überdies einen Musterbrief für den Einspruch auf seiner Website zur Verfügung.

Protestiert in einem Mehrparteienhaus nur ein einziger Bewohner, genügt dies, die gesamte Fassade digital zu vernebeln. Befindet sich jedoch im Erdgeschoss ein Ladengeschäft, dessen Besitzer durchaus Wert auf ein Erscheinen in Google Streetview legt, wird Google nur die Fassade oberhalb des Geschäfts unkenntlich machen. Wer bereits Widerspruch eingelegt hat, muss sich nicht noch mal melden. Google verspricht außerdem, Gebäude auch dann noch unkenntlich zu machen, wenn sie online bereits veröffentlicht wurden. Gesicherte Grundstücke und Autokennzeichen sollen überdies verpixelt werden – das musste Google den deutschen Datenschutzbeauftragten zusichern.

Staatsanwaltschaft ermittelt

Ob weitere Städte fotografiert werden, ist im Moment unklar. Derzeit sind keine weiteren Kamerafahrten geplant. Grund: Google hatte mit seinen Street-View-Autos nicht nur Straßenfronten fotografiert, sondern auch WLAN-Kennungen sowie "unabsichtlich" private Nutzungsdaten aus ungesicherten WLAN-Netzen erfasst und gespeichert. Der Hamburger Datenschutzbeauftragte überprüft deshalb das Computersystem, das in den Street-View-Fahrzeugen zur Erfassung von WLAN eingesetzt wurde. Auch die Hamburger Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den amerikanischen Konzern, da er im Verdacht steht das Fernmeldegeheimnis verletzt zu haben. Gegenwind gibt es aber nicht nur seitens der Justiz, sondern auch seitens der Politik: Die konservativ-liberale Landesregierung in Schleswig-Holstein hatte zudem angekündigt im Bundesrat ein Gesetz einbringen zu wollen, das die gewerbliche Kartierung von privaten Funknetzdaten verbieten soll.

Google ist übrigens nicht das einzige Unternehmen, das Daten aus Funknetzen erfasst: Unternehmen wie Skyhook erheben seit Jahren WLAN-Daten und stellen sie gegen Nutzungegebühren Lokalisierungsdiensten zur Verfügung. Auch das Fraunhofer Institut für Integrierte Schaltungen in Nürnberg hat eine Lokalisierungstechnologie namens awiloc für Lokalisierungslösungen und –dienste entwickelt – und dafür in Nürnberg WLAN-Daten gesammelt. Die schleswig-holsteinische Gesetzesinitiative will daher jedes gewerbsmäßige kartographische oder planmäßige Erfassen privater Funknetzdaten ohne die vorherige Zustimmung der Betroffenen verbieten.

Eigene Straßenkarten

Google hat die WLAN-Daten nicht ohne Hintergrundgedanken erhoben: Die WLAN-Standortdaten präzisieren die ungenauen GPS-Signale des Street-View-Autos und können damit zur Erstellung eigener Straßenkarten verwendet werden. Google hat bereits so viel Geodatenmaterial gesammelt, dass es in den USA bereits eigene Landkarten erstellen kann – und damit keine Lizenzgebühren an Kartenanbieter wie in Europa an die TomTom-Tochter Navigon zahlen muss. Es ist daher nur noch eine Frage der Zeit, bis Google auch in Europa kartenmäßig auf eigenen Beinen steht.

Für Android-Smartphones bietet Google seit einigen Wochen bereits eine kostenlose Navigationsanwendung mit Google Maps und einer Sprachsuche für Deutschland, Österreich, Schweiz, Italien, Frankreich und Spanien an. Autofahrer können damit ihr Smartphone als vollwertiges Navigationsgerät verwenden – und Google kann dazu wertvolle lokale Werbeanzeigen einblenden. Alle Marktbeobachter sind sich klar: Lokale Werbung im Netz ist ein lukratives Geschäft. Denn für sie zahlen Werbetreibende ein Vielfaches mehr, da sie für die Nutzer relevanter ist: Etwa wenn sie erfahren, dass es in 500 Meter Entfernung etwas zu einem Sonderpreis gibt.


Christiane Schulzki-Haddouti ist freie Journalistin.