Das iPad rettet den Journalismus nicht

Das iPad rettet den Journalismus nicht
Zehn Millionen iPads will Apple-CEO Steve Job in diesem Jahr verkaufen. Im ersten Quartal seit der Markteinführung Anfang April in den USA konnte der Mediengigant 3,27 Millionen iPads absetzen – eine beeindruckende Zahl. Nicht nur Fans äußern sich überwiegend begeistert bis hysterisch über den Tablet PC, auch Journalisten und Verleger sehen im iPad den Heilsbringer des scheinbar vom Aussterben bedrohten Journalismus.
10.08.2010
Von Daniel Höly

Doch die Hoffnung der Verleger ist vielleicht etwas zu groß. Nachdem der erste Hype um das iPad abgeflacht ist und die größte Nachfrage der Geeks gesättigt sein sollte, ist fraglich, wie Apple in den nächsten beiden Quartalen erneut jeweils über drei Millionen iPads verkaufen will, um das selbsternannte Ziel von zehn Millionen iPads zu erreichen. Unter dem Weihnachtsbaum dürfte der Tablet-PC sicher nochmal ein heiß begehrtes Geschenk sein. Doch die große Euphorie - das bestätigt auch das praktische Gimmick Google Trends - scheint vorbei zu sein.

Der mediale Hype

Google Trends, die abgespeckte Version von Google Insights for Search, ist ein Dienst, der zeigt, wie oft Nutzer nach bestimmten Begriffen suchen. Die Anfrage nach Twitter, iPhone, Windows oder Facebook (letzteres mit gigantischem Abstand) ist seit Monaten konstant höher, lediglich Anfragen wie Google Buzz oder Macbook kann Apples Tablet-PC übertrumpfen. Mit Googles Betriebssystem für mobile Kleincomputer, Android, liegt das iPad sowohl in Deutschland als auch weltweit gleichauf – auch, was die Erwähnung in den Medien anbelangt.

Und doch kreierten die Medien auch in Deutschland noch vor der Veröffentlichung des iPad eine Welle der Begeisterung, wie man sie bislang selten erlebte. Höhepunkt war der auf nahezu jeder deutschen Nachrichtenseite zitierte Spruch Mathias Döpfners, Vorstandschef der Axel Springer AG: "Jeder Verleger sollte sich einmal am Tag hinsetzen, beten und Steve Jobs dafür danken, dass er mit diesem Gerät die Verlagsindustrie rettet."

Ob die Verleger sich aber tatsächlich einmal am Tag hinsetzen, beten und Steve Jobs als Retter danken sollten, darf bezweifelt werden. Denn zunächst einmal unterwerfen sie sich Apples strikter Firmenpolitik, die gerne Inhalte zensiert oder erst gar nicht zulässt. Zum anderen machen sich insbesondere die Verlage von einem einzigen Anbieter abhängig, der gerade auf dem Weg zur Monopolstellung ist – eine heikle Situation in einer pluralistischen Medienlandschaft.

Personalisierte Nachrichtenseiten

Was Mathias Döpfner und Co. auch nicht bedacht hatten, sind die stark verbesserten RSS-Reader und ähnliche Dienste, die personalisierte Nachrichtenseiten ermöglichen. Wer braucht aber die App einer bestimmten Zeitung oder eines bestimmten Verlages, wenn er seine Inhalte aus verschiedenen Quellen komfortabel und noch dazu automatisiert selbst zusammenstellen kann? Hohe Wellen schlug jüngst etwa die kostenlose iPad-Applikation "Flipboard", die automatisch Überschriften, Textauszüge und Bilder für den Leser aufbereitet – basierend auf Empfehlungen von Freunden auf Facebook oder Twitter. Optisch übersichtlich und hübsch anzusehen, bietet Flipboard dem Anwender somit einen persönlichen Nachrichtenstrom an, ohne auch nur einen Cent für die Inhalte zu bezahlen. Der Clou dabei: Doppelte Nachrichten sollen automatisch herausgefiltert werden, was in der bisherigen Version aber noch nicht ganz zu funktionieren scheint. Es zeigt aber, in welche Richtung sich die "computerisierten Redaktionssysteme" entwickeln und welches Potential in ihnen steckt.

Carta-Autor Matthias Schwenk schlussfolgert treffend: "(…) Verleger wie Mathias Döpfner könnten ihre Euphorie in Bezug auf Steve Jobs und das iPad noch korrigieren müssen. Denn Flipboard weist zumindest in eine Richtung, in der die Aggregation von Nachrichten attraktiv und dynamisch erscheint, während herkömmliche Medien-Apps dagegen langweilig und statisch wirken."

Neue Werbeplattform

Auch Apples neue iAd-Werbeplattform für Onlinewerbung ist kein zwingender Grund für den Erfolg des iPads. Michael Frank, Geschäftsführer der Münchner Agentur Plan.Net, relativierte den Hype um den Tablet-PC: "In den USA reden wir derzeit von 1,2 bis 1,35 Mio verkauften iPad-Geräten. Auf der anderen Seite haben wir 150 bis 200 Millionen auf dem Markt befindliche stationäre PCs. Auf dem deutschen Markt wird es mit Jahresbeginn 2011 laut Studien vielleicht 500.000 bis 600.000 iPads geben. 600.000 iPads bedeuten 600.000 einzelne Nutzer. Die laden sich dann wiederum ganz individuell Apps herunter auf denen man vielleicht Werbung schalten kann. Wenn nun fünf Prozent davon eine Spiegel- oder Bild-App nutzen, dann habe ich nur 25.000 bis 30.000 Menschen, die ich mit Werbung dort theoretisch erreiche. Für Massenmarken ist das noch keine spannende Reichweite."

Das iPad sei das erste handliche "Lean back"-Medium, mit dem Surfen im Internet entspannend sei und Nachrichten lesen Spaß mache, behaupten Fans und Begeisterte des Tablet-PC. Es stimmt, bislang war längere Nachrichten online lesen schnell ermüdend und die schweren Notebooks auf dem Schoß sehr unbequem. Doch auch das iPad ist erheblich schwerer und unflexibler als eine gedruckte Zeitung oder Zeitschrift, für einige nach wie vor zu schwer.

Nicht nur das Gewicht schränkt das iPad als mobiles Nachrichtenmedium für den Anwender trotz all der Vorzüge stark ein: So ist das iPad unter freiem Himmel schwer lesbar (hier wäre die noch nicht massenmarktreife "Color E-Ink"-Technologie vonnöten ), zudem am Strand kaum nutzbar (die Urlaubszeitung wird demnach auch in fünf Jahren noch notwendig sein), da Sonne, Sand und Meer hier zum Alptraum für das Gerät werden. Hinzu kommt die Angst vor Diebstahl, die eine innere Entspannung in Anspannung verwandeln kann. Eine Tageszeitung oder ein gutes Buch (mit unbegrenzter Akkulaufzeit) neben dem Badetuch hingegen ist für Langfinger nicht besonders attraktiv – und kann ruhig einmal auf den Boden fallen.

Keine Alternative für Lokaljournalisten?

Auch für den Anbieter eignet sich das Format nur bedingt: Sicher sind theoretisch tolle Verschmelzungen von Text, Fotos und Videos in einem Artikel möglich. Doch in der Praxis merkt man schnell: Wer soll all die Videos produzieren und wer will all die 100 Fotos zu einem bestimmten Event überhaupt sehen? Gerade im Lokaljournalismus besteht oftmals nicht die Möglichkeit, vielfach auch nicht die Notwendigkeit, die Nachricht mit Videos oder Fotos zu versehen. Warum also erneut Geld in ein weiteres Content Management System investieren, wenn die Verleger nicht wissen, ob sie diese Investitionen tatsächlich jemals wieder reinholen werden? Denn alleine damit ist es nicht getan. Die Redakteure müssen (um)geschult werden, neue Redakteure für Videos und Co. engagiert werden. Doch all das kostet zusätzlich Geld – das die Verlage schon heute nicht haben. Da ist es nur allzu verständlich, dass sie den Erfolg des iPads heraufbeschwören wollen, sobald sie darin investieren.

In Deutschland kommt erschwerend der demografische Wandel hinzu, der die Verleger vor eine weitere Problematik stellt: Wie bekommt man ältere Menschen dazu, ein iPad statt eine gedruckte Zeitung zu kaufen? Und wer bringt ihnen bei, wie man das bedient? Denn eine Application (App) herunterzuladen und zu bezahlen, ist für viele Nutzer dann doch nicht so einfach.

Praxistaugliches Gerät?

Und wie praxistauglich ist das iPad für Journalisten? Fehlende USB-, SD-Card- oder VGA-Schnittstellen machen das iPad für Journalisten wie Privatanwender nur bedingt praxistauglich. Der Schweizer Verleger Michael Ringier "glaubt nicht daran, dass Apples iPad der Heilsbringer für die Zeitungen ist. Allein der Journalismus könne diese retten." Laut Ringier sei das iPad bislang nur eine Spielerei. Und damit ist er bei weitem nicht alleine. Viele Medienschaffende, Blogger und Diskussionen in Foren werfen vor allem eine Frage auf: Wozu braucht man das iPad überhaupt? Welchen Mehrwert hat das Gerät? Was kann das iPad, was andere Geräte nicht können?

Medienjournalist Jeff Jarvis konnte diese Frage auch nicht beantworten und veröffentlichte auf YouTube ein Video, in dem er das iPad wieder einpackte und umtauschte. Jarvis kommentierte treffend:  "Ich bringe mein iPad zurück zum Geschäft. Es ist wirklich nur, weil ich keine Notwendigkeit dafür sehe. Es löst ein Problem, von dem ich glaube, dass es gar nicht existiert. Ich sehe einfach keinen Anwendungsfall für das iPad."

Steve Jobs ein Diktator?

Jarvis spricht hier aus, was sicher viele denken, aber kaum einer sich traut, laut auszusprechen. Das Märchen "Des Kaisers neue Kleider" lässt grüßen. Auch Marek Hoffmann, Autor des High-Tech-Weblogs Basic Thinking, lässt kein gutes Haar am iPad: "Steve Jobs ist ein Diktator – zumindest in seinem Apple-Reich. Die Beispiele hierfür sind uferlos (App Store-Politik, Kunden-Service und Pressearbeit). Wer sich also dort hineinbegibt, muss sich seinem Diktat beugen. Sollten sich die Zeitungsverleger tatsächlich auf einen Deal einlassen, dann werden sie ihren Content entweder über iTunes oder irgendeinen anderen, von Jobs kontrollierten Online-Store verkaufen (müssen). Dies hätte fatale Folgen: Der direkte Zugang zu den Lesern wäre weg und nur noch über den Vermittler Apple möglich." Keine erheiternde Vorstellung.
 


Daniel Höly studiert Online-Journalismus an der Hochschule Darmstadt. Er bloggt für evangelisch.de über seinen Glauben, auf seinem Weblog Juiced.de über mediale und digitale Themen und veröffentlicht ausgewählte Fotos auf juicedesigns.de.