Am schlimmsten ist die Verletzung der Privatsphäre

Am schlimmsten ist die Verletzung der Privatsphäre
Es ist nicht der Verlust der Wertsachen, den Betroffene nach einem Einbruch nicht verschmerzen können, sondern der Eingriff in die Privatsphäre. Und das Gefühl der Furcht, das den Opfern im Kopf hängen bleibt. Auch noch Monate danach.
03.08.2010
Von Maike Freund

15 Minuten brauchte er, um sein Zittern unter Kontrolle zu bringen. Erst dann konnte er sich anziehen, die Polizei anrufen, seiner Freundin Bescheid geben und zu den Nachbarn nach unten gehen, um bloß nicht mehr in der verwüsteten Wohnung allein sein zu müssen, um dem Einbrecher auf keinen Fall zu begegnen.

Nick Schneider (Name geändert) war Montagabends nach dem wöchentlichen Tennistrainig nach Hause in die Wohnung in Bonn gekommen, in der er mit seiner Freundin Charlotte Hender (Name geändert) lebt. Er war direkt ins Badezimmer zum Duschen gegangen. Erst als er sich anziehen wollte, sah er die Scherben auf dem Boden. Und das durchwühlte Schlaf-, Ankleide- und Arbeitszimmer.

Auch wenn leere Wohnungen in der Urlaubszeit ein leichtes Ziel für Einbrecher sind – im Winter, von November bis März, wenn es früh dunkel wird – werden drei Mal mehr Einbrüche verzeichnet als im Sommer. Insgesamt registrierte die Polizei 2009 113.800 Einbrüche mit Diebstahl in Deutschland – mit steigender Tendenz. Der Schaden: 318 Millionen Euro.

Manche Opfer suchen sich eine neue Wohnung

Schlimmer als den Verlust der Wertsachen empfinden Einbruchsopfer jedoch den Eingriff in die Privatsphäre. Detlef Burkhardt ist Kriminalhauptkommissar und arbeitet bei der polizeilichen Prävention in Dortmund. Nur 20 Prozent nehmen die kostenlose Beratung der Polizei vorbeugend in Anspruch, 80 Prozent der Gespräche führt Burkhardt mit Einbruchsopfern. Panik, Angst und Unsicherheit sind die Gründe für eine Beratung. Nicht selten erzählen Opfer, dass sie mit einer Waffe – einem Messer oder einem Baseballschläger – unter dem Bett schlafen, um sich sicherer zu fühlen.

Eine weitere Folge: Ekel vor dem Unbekannten, der die persönlichen Dinge in den Händen gehalten hat. Waschen, verbrennen, ausziehen seien häufige Reaktionen, sagt Burkhardt. Die Gegenstände, vor allem Kleidungsstücke, die der Täter berührt hat, würden als besudelt empfunden und deshalb gereinigt. Manche Opfer würden die die Gegenstände verbrennen oder wegwerfen. Es gebe jedoch auch Personen, für die das Gefühl der Angst und des Ekels nicht nur an den Einbruch, sondern auch an die Wohnung gekoppelt sei. Und die in letzter Konsequenz ausziehen würden.

Der Einbrecher bei Nick Schneider und Charlotte Hender schob im Kleiderschrank nur ein paar Bügel zur Seite, durchwühlte aber nichts. Charlotte Hender weiß noch, dass sie dachte: "Was für ein humaner Einbrecher. Er hat meine Privatsphäre respektiert." Sie weiß natürlich, dass das Quatsch ist. Aber sie war trotzdem froh, dass er ihre Unterwäsche nicht angefasst hatte. Dafür durchwühlte er eine Kommode und das Arbeitszimmer. Was der Einbrecher in der Hand gehabt hatte, das warfen die beiden weg. Zu groß war der Ekel.

Für Einbrecher muss es schnell gehen

20 bis 30 Sekunden braucht ein Einbrecher, um ein normales Fenster der Widerstandsklasse eins aufzubrechen, das häufig in deutschen Mietshäusern verbaut ist. Aber: Insgesamt planen Diebe nur drei bis fünf Minuten ein, um in eine Wohnung oder ein Haus zu kommen. Gelingt das in dieser Zeit nicht, ziehen sie sich in der Regel zurück. Das heißt: Je länger der Einbrecher braucht, um sich Zugang zu verschaffen, desto höher ist auch das Risiko, entdeckt zu werden. Und das bedeutet: Fenster und Türen aufzurüsten, macht durchaus Sinn, denn in der zweiten Widerstandsklasse halten sie 15 Minuten gegen Einbruch stand. Auch Alarmanlagen können abschreckend wirken.

Dafür entschieden sich Charlotte Hender und Nick Schneider. Nach dem Einbruch schafften sie sich eine Alarmanlage mit Bewegungsmeldern an. Und fühlen sich seither sicherer. Trotzdem. Beide bleiben nachts nicht mehr gern allein. Kommt es doch vor, dann schließt Charlotte Hender jede Tür einzeln ab, das Wohnzimmer, das Arbeitszimmer, das Badezimmer, denn sie glaubt: Sollte ein Einbrecher zum Beispiel durch das Badezimmerfenster einsteigen, wird er vielleicht aufgeben, wenn er vor der nächsten verschlossenen Tür steht. Sie ist nicht panisch, auch das Gefühl des Ekels ist verschwunden. Geblieben aber ist die Unsicherheit.

Es ist das Gefühl des Vandalismus, das die Betroffenen nicht loswerden, sagt Kriminalhauptkommissar Burkhardt. Dabei ist das, was Täter bei einem Einbruch tun, keine mutwillige Zerstörung, sondern Taktik. "Der Täter wirft den Inhalt einer Schublade hoch, so kann er Bargeld schnell finden. Weil Geld leicht ist, fällt es langsam zu Boden", erklärt Burkhardt. Außerdem würden die Einbrecher alle Geldverstecke kenne. Die Kaffeekanne, die Tiefkühltruhe, den Spülkasten der Toilette, die Schachteln und Umschläge unter der Unterwäsche. "Denn Einbrecher sind meistens Profis, wissen, wo sie suchen müssen, weil sie den ganzen Tag nichts anderes machen. Sie haben sozusagen die fachliche Kompetenz. Einbruch ist ihr Job."

Handy unterm Kopfkissen

Beate Keller (Name geändert) war für ein paar Tage weggefahren. Zurück zu Hause in Köln schloss sie die Wohnungstür auf und stand im Chaos: Herausgerissene Kleidungsstücke, in aller Eile durchwühlte Schubladen, zerbrochene Gegenstände, herumliegende Unterlagen, aufgeschlitzte Vorhänge. Sie stapfte in die Wohnung und fühlte sich wie an einem Set in einem schlechten Agentenfilm, in einer Parallelwelt, jedenfalls nicht in der Wirklichkeit. Geschockt starrte sie auf das Durcheinander. Dann fing sie an zu weinen.

Seit dem Einbruch schläft sie mit dem Handy unter dem Kopfkissen. Mit dem Polizeinotruf auf der Kurzwahltaste. Das gibt ihr ein bisschen Sicherheit. Trotzdem wacht sie manchmal nachts mit klopfendem Herzen und schweißnassen Händen auf und horcht auf Geräusche. Das Summen des Kühlschranks, das Klacken des Lichtschalters im Treppenhaus, die Autos auf der Straße, den Wind in den Bäumen vor dem Haus. Meistens steht sie dann auf und macht einen Kontrollgang durch die Wohnung. Schaltet das Licht an und wieder aus. Prüft, ob die Haustür verschlossen ist. Beate Keller weiß, dass das komisch ist. Sie war ja nicht zu Hause, als der Einbrecher kam. Trotzdem. Die Angst vor dem Unbekannten hat sie gepackt, sich in ihrem Nacken festgesetzt und schleicht sich bis in ihre Träume. Auch noch ein Jahr danach.


Kostenlose Hilfe für Einbruchopfer und Beratung zur Einbruchsprävention gibt es bei den örtlichen polizeilichen Beratungsstellen oder unter www.polizei-beratung.de.