LWB: Der Hunger nach Glaube und Gerechtigkeit

LWB: Der Hunger nach Glaube und Gerechtigkeit
Stuttgart ist in diesen Tagen eine besonders multikulturelle Stadt: In der schwäbischen Metropole tagt die Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes (LWB). Die 418 Delegierten aus allen Kontinenten suchen neben geistlichen Schnittmengen auch Wege zur weltweiten Bekämpfung von Armut und Hunger sowie zur Bewahrung der Schöpfung.
21.07.2010
Von Bernd Buchner

Der Präsident des Zusammenschusses, Mark S. Hanson, wählte gleich zu Beginn des einwöchigen Treffens deutliche Worte. Das Problem sei nicht einfach die Verschmutzung von Wasser und Luft sowie der dadurch verursachte Klimawandel, so der US-Bischof. Für die Christen sei es vielmehr eine "spirituelle Lästerung", die Schöpfung als feindliche Wildnis, gottverlassene Ödnis, Rohstofflieferantin und Müllhalde zu behandeln, "die uns Mittel zum Zweck ist für einen konsumbestimmten Lebensstil und wirtschaftlichen Wohlstand". Eine klare Mahnung an die westliche Welt, eingefahrene Wege zu verlassen, die viel Beifall im Plenum fand.

Eine Woche lang beraten die Vertreter der inzwischen 145 Mitgliedskirchen, die weltweit rund 70 Millionen lutherische Christen repräsentieren, über Themen wie Armut, Aids, Verteilungsgerechtigkeit oder eine faire Wirtschaftspolitik. Das Motto der 11. Vollversammlung des 1947 gegründeten LWB lautet "Unser tägliches Brot gib uns heute" - die vierte Bitte aus dem Vaterunser - und könnte angesichts von täglich rund 10.000 verhungernden Menschen kaum besser gewählt sein. Dem Selbstverständnis des LWB entspreche es, so Hanson in seiner Eröffnungsansprache, sich der Welt zuzuwenden.

Streit um Homosexualität

Doch auch andere Themen prägen das Stuttgarter Treffen, so die Debatte unter den Mitgliedskirchen über die Ordination von Frauen sowie die Rolle von Homosexualität. Hier zieht sich, ähnlich wie bei den Anglikanern, eine tiefe Kluft durch die lutherische Welt: Dem vermeintlich liberalen Westen stehen die Kirchen in Afrika und Asien gegenüber, die betont konservative Positionen vertreten und etwa die gleichgeschlechtliche Liebe für Sünde halten. Der Einfluss der Christen aus den Entwicklungsländern steigt: Allein auf dem Schwarzen Kontinent ist die Zahl der Gläubigen im vergangenen Jahr um 1,1 Millionen gestiegen.

Hanson warnte vor Spaltungen in der Christenheit aufgrund moralischer Fragen. Christen sollten sich in ihren unterschiedlichen Ansichten zur Homosexualität oder zur Frauenordination gegenseitig respektieren und nicht untereinander bekämpfen, sagte er. LWB-Generalsekretär Ishmäl Noko aus Simbabwe räumte ein, es gebe "Unruhe und Besorgnis" unter den Mitgliedern. Von Spannungen wollte er allerdings nicht direkt reden. Im LWB begann 2007 ein fünfjähriger Diskussionsprozess zum Thema Ehe und Familie. Vorerst gilt etwa in Sachen Weihe von homosexuellen Bischöfen eine Art Moratorium; zumindest glaubt das der tansanische Bischof Elisa Buberwa, der eindringlich zur Geduld mahnte und vor voreiligen Schritten warnte.

"Wir haben keinen ökumenischen Winter"

Auf die internen lutherischen Streitfragen wollte Kardinal Walter Kasper nicht eingehen. Der langjährige Präsident des Päpstlichen Einheitsrates bezeichnete die ökumenische Bewegung der vergangenen 40 Jahre als Erfolgsgeschichte. "Wir haben keinen ökumenischen Winter", sagte Kasper unter großem Applaus. Angesichts der großen Herausforderungen müssten die Christen noch intensiver zusammenarbeiten. Die katholische Kirche sei entschlossen, den ökumenischen Dialog fortzusetzen, so Kasper. Die Kirchen könnten es sich nicht weiter leisten, "an ihren Differenzen festzuhalten".

Noko, der ebenso wie Hanson (Foto: epd-bild / Norbert Neetz) aus dem Amt scheidet, beklagte, die Beschlüsse zur Frauenordination seien bislang in vielen LWB-Mitgliedskirchen auf wenig Resonanz gestoßen. "Dadurch werden wir herausgefordert zu prüfen, ob und in welchem Maße Beschlüsse der Vollversammlung von den Kirchen als moralisch verbindlich angesehen werden." Er mahnte zur Geduld. So habe bereits die siebte LWB-Vollversammlung 1984 dazu aufgerufen, bis zur Neunten Vollversammlung für eine Ausgewogenheit zwischen Männern und Frauen als Delegierte zu sorgen. Dies sei jedoch erst in Stuttgart verwirklicht worden.

Jepsen verzichtet auf Teilnahme

 Bis heute können nicht in allen evangelischen Kirchen Frauen Pfarrerinnen werden. Von den 145 im Lutherischen Weltbund zusammen geschlossenen Kirchen lehnen rund 30 die Frauenordination ab. Überwiegend sind das Kirchen in Afrika, Asien und Osteuropa. Zudem lehnen auch lutherische Kirchen, die nicht dem LWB angehören, die Ordination von Frauen in das geistliche Amt ab. Maria Jepsen, die 1992 zur weltweit ersten lutherischen Bischöfin gewählt worden war, nahm nach ihrem Rücktritt nicht an der Tagung teil.

Die Themen Homosexualität und Frauenordination stehen nicht auf der offiziellen Tagesordnung der LWB-Konferenz, können aber über Arbeitsgruppen eingebracht werden. Während lutherische Kirchen in Afrika und Osteuropa etwa die Zulassung von Homosexuellen oder Frauen zum Pfarramt vehement ablehnen, gibt es in Schweden die weltweit erste offen lesbisch lebende lutherische Bischöfin. Die anglikanische Kirchengemeinschaft steht wegen des Streits um den Umgang mit homosexuellen Menschen am Rand der Spaltung. 

Die Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes hatte am Dienstag begonnen und dauert eine Woche. Sie tritt etwa alle sechs Jahre zusammen und ist das höchste Entscheidungsgremium des LWB. Das letzte Treffen in Deutschland, dem Mutterland der Reformation, hatte im Jahr 1952 in Hannover stattgefunden. 

mit Material von epd

Bernd Buchner ist Redakteur bei evangelisch.de, zuständig für die Ressorts Religion und Politik.