Spanien auf dem WM-Thron - 1:0 gegen Holland

Spanien auf dem WM-Thron - 1:0 gegen Holland
Spaniens WM-Held Andrés Iniesta sank jubelnd auf die Knie, Torhüter Iker Casillas vergoss Freudentränen und auf der Tribüne nahm Königin Sofia die Glückwünsche von Hollands Kronprinz Willem-Alexander entgegen. Mit seinem späten Treffer in der 116. Minute zum 1:0 (0:0)-Sieg im Final-Showdown gegen die Niederlande hat der Mittelfeldregisseur vom FC Barcelona den Iberern einen historischen WM-Triumph beschert und das Land des Europameisters in den siebten Fußball-Himmel geschossen.
11.07.2010
Von Heinz Büse und Ulrike John

Erstmals in der 80-jährigen WM-Geschichte und als achtes Team überhaupt eroberten die Spanier den Titel, den auch Trainer Vicente del Bosque ausgelassen bejubelte: "Es war ein hartumkämpfter Sieg, aber wir haben fantastische Spieler. Wir hätten das eine oder andere Tor mehr schießen können. Der Sieg war hoch verdient. Für mich ist das ein ganz glücklicher Tag. Ich bin stolz."

Wie schon 1974 gegen Deutschland (1:2) und 1978 gegen Argentinien (1:3 n.V.) standen die "weinenden Holländer", die zuvor 25 Spiele nicht verloren hatten, mit leeren Händen da. Die Spanier dürfen sich dagegen als drittes Team nach Deutschland (1972/1974) und Frankreich (1998/2000) gleichzeitig mit den zwei wichtigsten Titeln schmücken: Sie sind nun Welt- und Europameister.

Sieg erst in der Verlängerung

32 Jahre hatten die Holländer auf ein Finale warten müssen, die Spanier standen gar erstmals im Endspiel. Doch ein rauschendes Fußball-Fest wurde es nicht. Spaniens Königin Sofia und Kronprinz Felipe sowie Hollands Prinz Willem-Alexander und Prinzessin Maxima bekamen wenig "Majestätisches" zu sehen. Statt hoher Spielkunst erlebten die 84 490 erwartungsfrohen Zuschauer eine zum Teil üble Treterei mit zwölf Gelben Karten - so viele wie in keinem der vorangegangenen 18 Endspiele - und Gelb-Rot für den Niederländer John Heitinga (109.).

Erst in der Verlängerung, als beide Teams dem erbitterten Kampf um jeden Zentimeter Tribut zollen mussten, ergaben sich Räume und mehr Chancen. Bei einem Foul an Xavi (92.) gab Schiedsrichter Howard Webb zum Unmut der Spanier keinen Elfmeter. Cesc Fabregas (95.) scheiterte frei an Holland-Keeper Maarten Stekelenburg. Auf der Gegenseite verpasste Joris Mathijsen (96.) das ersehnte Tor, welches auch Jesus Navas (101.) verwehrt blieb. Iniesta avancierte dann mit einem Schuss ins linke untere Eck zu Spaniens WM-Held.

Der Europameister, bei dem Pedro im Angriff wie schon beim 1:0- Halbfinalsieg gegen Deutschland den Vorzug vor Fernando Torres erhielt, begann die Partie stürmisch. Sergio Ramos (5.) bot sich die frühe Chance zur Führung, doch Stekelenburg parierte den Kopfball des Außenverteidigers von Real Madrid in großem Stil. Bei einem weiteren gefährlichen Vorstoß des 24-Jährigen rettete Innenverteidiger Heitinga (11.). Nur 60 Sekunden später traf Spaniens Torjäger David Villa, der wie Wesley Sneijder leer ausging und den Goldenen Schuh für den besten WM-Torschützen Deutschlands Shootingstar Thomas Müller überlassen musste, das Außennetz.

Sehr rustikales Spiel

Ähnlich wie die Deutschen im Halbfinale starteten die Holländer mit großer Vorsicht in die Partie und benötigten eine gute Viertelstunde, um ihren Rhythmus zu finden. Wesley Sneijder sorgte mit einem Freistoß, den Iker Casillas sicher hielt, für ein erstes Achtungszeichen. Nach 20 Minuten setzte Arjen Robben erstmals zu einem seiner gefürchteten Sturmläufe an, wurde im Strafraum aber gestoppt.

Von spielerischer Leichtigkeit war auf beiden Seiten nichts zu sehen, stattdessen ging es rustikal zur Sache. Härte und viele Nickligkeiten bestimmten die Szenerie. Webb, der als vierter Engländer ein WM-Finale leiten durfte, hatte alle Hände voll zu tun und verteilte vor Ablauf der ersten halben Stunde bereits fünf Gelbe Karten. Die der Niederländer Mark van Bommel und vor allem Nigel de Jong, der Xabi Alonso mit einem Kung-Fu-Tritt niederstreckte, schimmerten Rot. "Das war übertriebene Härte, die auf dem Platz nichts zu suchen hat", kritisierte TV-Experte Oliver Kahn.

Auf eine torgefährliche Aktion mussten die Fans - unter ihnen Startenor Placido Domingo, Hollywood-Schauspieler Morgan Freeman und Tennisstar Rafael Nadal - bis in die Nachspielzeit der ersten Hälfte warten. Robben zog von der Strafraumgrenze mit links ab, doch Casillas hechtete ins bedrohte Eck und lenkte den Ball um den Pfosten.

Chancen auf beiden Seiten

Die Startphase nach dem Wechsel gehörte wieder den Spaniern. Joan Capdevila (48.) verstolperte frei vor Tor, Xabi Alonso (49.) wurde im Strafraum von van Bommel elfmeterreif gestoppt. Die größte Chance des Spiels bot sich dann jedoch "Oranje". Sneijder schickte Robben mit einem Traumpass auf die Reise, doch dem Bayern-Star versagten frei vor Casillas die Nerven. Statt zu lupfen schoss Robben flach - und Spaniens Torhüter bekam noch einen Fuß an den Ball. Während Casillas von seinen Kollegen gefeiert wurde, stand Robben das pure Entsetzen ins Gesicht geschrieben.

Kaum besser erging es auf der anderen Seite Villa. Nach einem Fehler von Heitinga kam der 40-Millionen-Euro-Mann vom FC Barcelona frei zum Schuss, traf aber nur Hollands am Boden liegenden Verteidiger. 13 Minuten vor Ultimo raufte sich Ramos die Haare, nachdem er den Ball aus fünf Metern über den Kasten geköpft hatte.

Pokal fast noch geklaut

Am Ende durften sich die Spanier den WM-Pokal abholen, den Italiens Weltmeister-Kapitän von 2006, Fabio Cannavaro, eine Viertelstunde vor dem Anpfiff auf den Rasen des Soccer City-Stadiums getragen hatte. Kurz darauf sorgte eine Flitzer-Attacke für Aufregung im weiten Rund: Ein Fan aus Spanien, der schon das Finale beim Eurovision Song Contest in Oslo gestört hatte, stürmte auf den Pokal zu und konnte erst in letzter Sekunde von Sicherheitskräften überwältigt und abgeführt werden.

Das massiv goldene Original im Wert von rund 100.000 Euro wandert nach der WM wieder in die FIFA-Zentrale nach Zürich. Die glücklichen Weltmeister werden ihren Fans am Montag beim Empfang in der Heimat nur eine goldbeschichtete "Winner's trophy" präsentieren.

Und so nahm Hollands Wesley Sneijder die Niederlage auf (Foto: dpa):

dpa