Reichstagsbrand: Über eine schwierige Recherche

Reichstagsbrand: Über eine schwierige Recherche
Mehrere Wochen hat Miriam Bunjes über das Thema Reichstagsbrand recherchiert. Wie verfeindet sich die Anhänger der verschiedenen Thesen zum Brand gegenüberstehen, hat sie sehr überrascht.
08.07.2010
Die Fragen stellte Henrik Schmitz

Zur Frage, wer 1933 den Reichstag angezündet hat, gibt es im Wesentlichen zwei Thesen. Die einen gehen von einer Alleintäterschaft der Niederländers Marinus van der Lubbe aus, die anderen sind sich sicher, dass es Mittäter gegeben hat. Welche These hälst Du persönlich für plausibler?

Miriam Bunjes: Ich halte es für unwahrscheinlich, dass Marinus van der Lubbe den Reichstag allein angezündet hat. Die Alleintäterthese steht jedenfalls auf so wackligen Füßen, dass sie so nicht in die Geschichtsbücher gehört. Sie müsste kritisch und unabhängig erforscht werden.

Wie kommst Du zu dieser persönlichen Einschätzung?

Bunjes: Die These der Alleintäterschaft stützt sich im Wesentlichen auf die Aussagen der damals ermittelnden Kriminalbeamten. Der "Spiegel" argumentiert sinngemäß, die Beamten seien von der Alleintäterthese ausgegangen, obwohl sie damit der Linie der Nationalsozialisten widersprochen hätten, die angebliche kommunistische Mittäter mitverantwortliche machten. Wer sich die Akten anschaut stellt aber fest, dass die Beamten damals zu Protokoll gaben, sie hätten sich mit der Frage weiterer Täter nicht weiter befasst. Die Frage, ob es solche gegeben hat, ist für mich damit zumindest offen.

Würdest Du Dich also der Kritik am "Spiegel" anschließen, die ja zum Teil sehr heftig ausfällt?

Bunjes: Ich sehe bei der Angelegenheit ein Problem. Journalisten sind keine Wissenschaftler. Oft spitzen sie zu. Auch die Artikel des "Spiegel" zum Reichstagsbrand sind aus meiner Sicht sehr "auf These" geschrieben. Man hat sich für die Alleintäterthese entschieden und stellt die Gegenargumente als abwegig dar. Auf Basis der zugespitzten Texte im "Spiegel" ist dann aber Geschichte geschrieben worden. Das halte ich für falsch, weil dabei etwas Falsches herauskommen kann. Da sehe ich aber auch die Wissenschaft in der Verantwortung.

Überlässt deiner Ansicht nach die Wissenschaft dem Journalismus, Geschichte zu schreiben?

Bunjes: Zumindest in diesem Fall ist quasi so gewesen. Es gibt keine umfassende Untersuchung eines renommierten historischen Institutes zu dem Fall. Vor allem keine neuere. Dabei gibt es einen riesigen Aktenberg und viele neue Quellen, die nach dem Fall des Eisernen Vorhangs zugänglich geworden sind. Es würde sich sicher lohnen, wenn sich Historiker, am besten welche, die noch nie in die Debatte involviert waren, vielleicht aus dem Ausland, der Sache annehmen würden.

Kann man die Täterschaft überhaupt noch eindeutig klären?

Bunjes: Man könnte es zumindest versuchen. Ich bin allerdings fast sicher, dass die Protagonisten, die heute die Debatte führen, sich nicht mehr von der jeweils anderen These überzeugen lassen werden. Egal wer eine Untersuchung leiten würde und welche Akten oder Quellen dabei noch zu Tage treten.

Warum nicht?

Bunjes: Ich war schon sehr überrascht, mit welcher Härte die Debatte geführt wird. Sogar vor gegenseitigen Diffamierungen wird teilweise nicht Halt gemacht. Für viele Beteiligte ist der Reichstagsbrand zu einer Art Glaubensfrage geworden. Es wird um jede Minute des Brandablaufs gestritten, Brandanalysen angeführt, die das schiere Gegenteil voneinander aussagen. Auch die Kritiker sind zum Teil untereinander zerstritten, werfen sich massive inhaltliche Fehler vor - wobei sie das oft weniger nett ausdrücken. Das macht es für Journalisten heute - wo der Streit seit zehn Jahren im Internet kocht - sehr schwierig. Beweise für ihre Thesen präsentieren alle. Deshalb denke ich, nur ein unabhängiges Forschungsprojekt könnte Klärung bringen. Allerdings haben viele jüngere Wissenschaftler kein Interesse, zu dem Thema zu forschen. Mehrere, die ich für die Recherche angefragt habe, erklärten, das Thema sei so mit Verschwörungstheorien durchsetzt, dass sie sich dazu nicht äußern wollen. Zum Teil werden "Beweise" für die eine oder andere These vom jeweils anderen Lager auch als Fälschungen deklariert. Ein sachlicher Diskurs ist dann aber nicht mehr möglich.


Miriam Bunjes ist freie Journalistin und arbeitet in Dortmund. Henrik Schmitz ist Redakteur bei evangelisch.de. Bunjes und Schmitz haben gemeinsam in Dortmund Journalistik studiert.