Krankenkassen dürfen höhere Zusatzbeiträge nehmen

Krankenkassen dürfen höhere Zusatzbeiträge nehmen
Die schwarz-gelbe Koalition hat sich auf Punkte für eine erneute Gesundheitsreform geeinigt. Und damit wird es für gesetzlich Versicherte richtig teuer.

Das Tauziehen zwischen Union und FDP um die Gesundheitsreform ist beendet. Die Koalition einigte sich am Dienstag in Berlin in einem Spitzengespräch auf höhere Beitragssätze und eine freie Beitragsgestaltung durch die gesetzlichen Krankenkassen. Damit werde kurzfristig das Defizit im Gesundheitssystem ausgeglichen und gleichzeitig der Einstieg in eine dauerhafte solide Finanzierung ermöglicht, sagte Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) im Anschluss an die Koalitionsrunde. Die Opposition, Gewerkschaften und Sozialverbände kritisierten das Modell als einseitige Belastung der Arbeitnehmer.

Angesichts des drohenden Defizits von zehn bis elf Milliarden Euro bei den gesetzlichen Krankenkassen im kommenden Jahr beschloss die Koalition den Einheitsbeitragssatz ab dem 1. Januar 2011 von 14,9 auf 15,5 Prozent zu erhöhen. Das soll sechs Milliarden Euro erbringen. Der Arbeitgeberanteil am künftigen Krankenkassenbeitrag soll bis mindestens 2013 bei 7,3 Prozent eingefroren werden.

Daneben wurden zahlreiche Sparmaßnahmen beschlossen, um das finanzielle Loch bei den Kassen im nächsten Jahr zu stopfen. Auch die Kassen selbst müssen dazu einen Beitrag leisten. Insgesamt würden 2011 rund 3,5 Milliarden Euro und 2012 etwa vier Milliarden Euro an Einsparungen erzielt, sagte Rösler. Außerdem soll es 2011 einen einmaligen Steuerzuschuss von zwei Milliarden Euro geben.

Zusatzbeiträge in neuer Höhe

Obwohl die CSU dies lange abgelehnt hatte, werden Zusatzbeiträge eingeführt, die die Kassen frei gestalten dürfen. Bisher dürfen die rund 160 gesetzlichen Krankenkassen nur einen Zusatzbeitrag von höchstem einem Prozent des Bruttolohns, maximal 37,50 Euro, von ihren Mitgliedern nehmen. Künftig gibt es eine solche Deckelung nicht mehr. "Wir mischen uns gar nicht mehr ein in die Beitragsgestaltung", sagte Rösler.

Übersteigt der Zusatzbeitrag zwei Prozent des Bruttoeinkommens des Versicherten, erhält er einen Ausgleich. Dieser Sozialausgleich soll über Steuern finanziert werden. Da im kommenden Jahr das Defizit bei den Kassen zum Teil ausgeglichen wird, "gehen wir davon aus, dass 2011 weitestgehend keine Zusatzbeiträge fällig werden", sagte der Gesundheitsminister. Nach jetzigen Berechnungen des Bundesversicherungsamtes wird der durchschnittliche Zusatzbeitrag bis 2014 nicht mehr als 16 Euro betragen. Nach der Sommerpause will das Gesundheitsministerium gemeinsam mit den Koalitionsfraktionen einen Gesetzentwurf auf der Basis der Einigung vorlegen.

Unionsfraktionschef Volker Kauder sagte, die Einigung stelle sicher, dass das hervorragende deutsche Gesundheitssystem durch erträgliche Kosten finanziert werden könnte.

Opposition sieht "grandioses Scheitern"

SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier sprach hingegen von einem "grandiosen Scheitern" des Bundesgesundheitsministers. "Herr Rösler steht vor einem gesundheitspolitischen Scherbenhaufen", sagte Steinmeier. Die Fraktionvorsitzende der Grünen, Renate Künast, kritisierte die Reform als "Grundsatzlüge des Guido Westerwelle". Anstatt dem versprochenen mehr Netto vom Brutto steige die Abgabenlast für die Bürger nun enorm. Selten sei den Menschen so tief in die Tasche gegriffen worden, so Künast. Die gesundheitspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Martina Bunge, warf der Koalition vor, die Kopfpauschale ins Gesundheitssystem einzuführen und damit Politik für "Bestverdienende" und Arbeitgeber zu machen.

Nach Einschätzung der Vorstandsvorsitzenden des GKV-Spitzenverbandes, Doris Pfeiffer, könnten die Zusatzbelastungen der Versicherten merklich geringer sein. Die Einnahmen der Ärzte und der Krankenhäuser seien so hoch wie noch nie. "Daher wäre zumindest in diesen Bereichen eine echte Nullrunde angemessen gewesen", sagte Pfeiffer.

"Die Regierungspläne sind die Lizenz zum unbegrenzten Abkassieren der Versicherten", sagte der Vorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, Eberhard Jüttner. Anstatt hilflos an Symptomen herumzudoktern, brauche die Regierung den Mut zu strukturellen Reformen.

Kritik auch von den Gewerkschaften

Der DGB bezeichnete das neue Finanzierungsmodell als Kampfansage an die Versicherten. Der Koalition sei offenbar jedes Mittel recht, um die Arbeitgeber aus der Verantwortung für die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung zu entlassen, sagte DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach. "Wir fordern insbesondere die Union auf, diese einseitige und unsolidarische Belastungswelle im weiteren Verfahren zu stoppen."

Der Bundesgeschäftsführer der Volkssolidarität, Bernd Niederland, erklärte, für Patienten und Versicherte seien die Pläne der Regierungskoalition eine Hiobsbotschaft. Die Belastungen für die gesetzlich Versicherten wüchsen ins Uferlose. Besonders betroffen seien Geringverdiener, Rentner, Arbeitslose, Studenten und Auszubildende.

epd