Schön für Merkel: Die Opposition hat keine gemeinsamen Interessen

Schön für Merkel: Die Opposition hat keine gemeinsamen Interessen
"Es gibt keine Koalition in der Opposition", hat die SPD-Vizevorsitzende Andrea Nahles gesagt und damit das Offensichtliche benannt. Spekulationen auf ein Ende von Schwarz-Gelb sind bestenfalls naiv.
05.07.2010
Von Thomas Östreicher

Es gab eine (viel zu lange) Zeit, in der führende Sozialdemokraten mit der stets aufs Neue wiederholten Beteuerung ermüdeten, ihre Partei sei endlich "wieder da". Für die angeblich so eindrucksvollen Vertrauensbeweise des Wahlvolks reichte es dabei schon, weniger Stimmen verloren zu haben als die Konkurrenz.

Inzwischen singt die SPD im Duett mit der Linkspartei das Lied von der gemeinsamen Opposition und der Mehrheit jenseits der Regierungsparteien. Der Text geht so: Die Linke "erneuert" ihr Kooperationsangebot; die SPD weist das zurück, denn die anderen seien nicht regierungs-, aber ansonsten zu allem fähig. Die Linke macht SPD-"Betonköpfe" aus, die SPD unterstellt den Linken, alles sowieso nicht ernst zu meinen und so weiter und so weiter.

Sie tun so als ob

Das Lied ist nicht nur wegen der ständigen Wiederholung so langweilig, sondern auch weil jeder im Land spürt, dass die Akteure nur so tun als ob. Zu behaupten, die Opposition stünde de facto kurz vor der Machtübernahme, ist offensichtlicher Unsinn. Die Linken wollen zwar tatsächlich gern mitregieren, aber gewiss nicht jetzt und schon gar nicht mit der jetzigen SPD. Dafür kann sie sich auf Kosten der Sozialdemokraten viel zu gut profilieren und weiter erstarken. So ziemlich alles, wofür die nämlich einst standen, halten Gysi, Lafontaine & Co. besetzt. Geht es noch komfortabler?

Für die SPD kommt eine Orientierung nach rechts nach dem hohen Preis, den sie für Schröders Agenda 2010 zahlen musste, nicht mehr infrage. Eine Orientierung nach links würde erstens die Frage aufwerfen, was sie denn noch von der Linkspartei unterscheidet, und zweitens, warum sich das Willy-Brandt-Haus so störrisch gegen jede Zusammenarbeit auf Bundesebene stemmt.

Gemeinsame Interessen: Fehlanzeige

Rot-rot-grüne Perspektiven mögen für die SPD-Basis Hoffnungen bergen - die Parteiführung kann sie nicht nähren. Für das existenzielle Dilemma der Sozialdemokraten weiß kein Verantwortlicher eine Lösung - wie auch? Die SPD kann neben einer starken Linken nur verlieren. Und solange es weder Geld noch Arbeitsplätze vom Himmel regnet, sich die Verhältnisse im Gegenteil sogar weiter verschärfen, wird die Linke stark bleiben. Was bleibt, ist das Warten auf den faktischen Zwang zum Linksgrünen Bündnis nach der nächsten Wahl.

Die Grünen wiederum weiden sich mit Genuss an der nahezu restlosen Selbstdemontage des Erzfeinds FDP. Unangenehme Fragen nach ihrer eigenen Identität beantworten zu müssen, wie sie als Teil eines Trios mit den beiden Roten programmiert wären, darauf hat niemand Lust.

Dann schon lieber auf eine weitere Annäherung mit der CDU. Welch aparter Gedanke: Eine Koalition aus Grünen und Christdemokraten würde sämtliche anderen Parteien ins Abseits stellen. Ein Bündnis aus SPD, Linken und FDP ist schlicht unvorstellbar.

Macht eure Arbeit!

Begeisterte Anhänger fand in den vergangenen Tagen die These, durch Taktieren bei der Bundespräsidentenwahl habe die Linkspartei die historische Chance verpasst, die Berliner Regierung zu stürzen. Richtig ist: Mit der großen Zahl der Merkel-Dissidenten hat Gysi nicht gerechnet. Wenn aber die SPD jetzt behauptet, man habe mit dem Gegenkandidaten Gauck auch der Linken einen Teppich ausgerollt, dann ist das verlogen. Es ging weniger darum, Merkel eins auszuwischen, als der ewig triumphierenden Konkurrenz, für die Gauck inakzeptabel bleibt, wie jeder von Anfang an wusste.

An eine ernsthafte Regierungskrise glaubt in Wirklichkeit sowieso niemand. Ein paar einfache Wahrheiten: Die Bundesregierung steht ebenso wenig vor dem Auseinanderbrechen wie das rot-grüne Bündnis 1999 nach weitaus desaströserer Bilanz seiner Anfangsmonate. Und in der Opposition gibt es keine Koalition. Etwas weniger träumerisch ging es doch auch: Fingen SPD, Grüne und Linke langsam damit an, sich über vernünftige Alternativen zur Regierungspolitik zu profilieren als durch die längst nervtötenden Rituale ihrer Hassliebe, wäre schon viel gewonnen.


Thomas Östreicher ist freier Mitarbeiter bei evangelisch.de.