Einmal Knappschaft, immer Knappschaft

Einmal Knappschaft, immer Knappschaft
Die ersten Knappschaften für Bergleute waren religiös geprägte Bruderschaften. Der Vorgänger moderner Sozialversicherungen feiert sein 750-jähriges Bestehen.
30.06.2010
Von Ann-Christin Müller

Die Teutonia-Siedlung in Herne ist eine typische Arbeitersiedlung im Ruhrgebiet. Hier reiht sich ein Zechenhaus an das andere. Wer die Bewohner nach ihrer Krankenkasse fragen würde, der bekäme vermutlich nur eine Antwort: Knappschaft. Auch Heinz-Werner Seidel würde diese Antwort mit Stolz geben. Jahrzehnte ist er auf dem Pütt malochen gegangen, genau wie sein Vater und Großvater.

In seiner Familie hat es deshalb auch nur die eine Versicherung gegeben. Die Krankenkasse zu wechseln, wäre ihm nie in den Sinn gekommen. "Einmal Knappschaft, immer Knappschaft", sagt der 55-Jährige, der auch schon seit über 20 Jahren ehrenamtlicher Versichertenältester ist.

Ausstellung "Auf breiten Schultern - 750 Jahre Knappschaft"

Das besondere Solidaritätsprinzip der Kumpel, das der Knappschaft zugrunde liegt, ist alt. Bereits im Mittelalter entstanden erste Knappschaften, die eine gesicherte Versorgung ihrer Mitglieder und Familien gewährleisteten. Was bei den Bergleuten seinen Ursprung hat, gilt heute als die größte Errungenschaft der sozialen Marktwirtschaft: Vor etwa 750 Jahren entwickelten sich die ersten Ideen der heutigen Sozialversicherung.

Das Deutsche Bergbau-Museum in Bochum zeigt vom 1. Juli bis 20. März 2011 in der Sonderausstellung "Auf breiten Schultern - 750 Jahre Knappschaft" anhand von Originalgegenständen und Dokumenten die Geschichte der ältesten Sozialversicherung in Deutschland von der Entstehung der ersten Knappschaften der Bergleute im Mittelalter bis zur modernen Versicherung des 21. Jahrhunderts.

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Der "Büchsenpfennig"

Die gegenseitige Verantwortung der Bergleute füreinander entstand im Mittelalter und war aufgrund der schweren und gefährlichen Arbeit auch eine Notwendigkeit. In einer Urkunde des Hildesheimer Bischofs Johann I. von Brakel vom 28. Dezember 1260 wird erstmalig der Name der Sankt Johannis Bruderschaft am Rammelsberg bei Goslar erwähnt. Sie war gegründet worden, um kranke und verletzte Bergleute und ihre Familien zu unterstützen. Grundlage der Versorgungsleistung der Bergleute war der "Büchsenpfennig", der zu anfangs eine sporadische Gabe war. Erst viel später legten Bergordnungen eine verpflichtende Abgabe fest.

Waren die ersten Knappschaften religiös geprägte Bruderschaften und vorrangig für das Seelenheil der Bergleute zuständig, entwickelten sie sich während der Industrialisierung immer mehr zu ersten Versicherungsgesellschaften, erklärt Lars Bluma, Historiker in der Abteilung für "Medizinische Ethik und Geschichte der Medizin" an der Ruhr-Universität Bochum, der von 2007 bis 2009 in einem Leibniz-Projekt zur Knappschaft geforscht hat.

Knappschaftskrankenhäuser und Knappschaftsärzte

Erste Knappschaften im Ruhrgebiet gibt es seit dem 18. Jahrhundert. 1770 entstand der Märkische Knappschaftsverein für alle preußischen Bereiche des späteren Ruhrgebiets, der seinen Sitz in Bochum hatte. Im 19. Jahrhundert wurden weitere Knappschaften gegründet, und mit den Bismarckschen Arbeitsversicherungsgesetzen wurden Krankenversicherung (1883), Unfallversicherung (1884) und Invaliditäts- und Altersversicherung (1891) gesetzlich festgeschrieben.

"Die Gründung der Knappschaftsvereine war ein wahrer Segen für das Ruhrgebiet", sagt Bluma. Weil das Ruhrgebiet als wenig attraktiver Lebensraum galt, war dementsprechend auch die Ärztedichte gering. Die Vereine schufen dann aber eine flächendeckende Infrastruktur mit niedergelassenen Hausärzten und Apotheken und sie bauten ihre eigenen Krankenhäuser und Heilstätten. "Dieses medizinische System ist eine der wichtigsten sozialpolitischen Errungenschaften der Knappschaft", erläutert der Historiker. Knappschaftskrankenhäuser und Knappschaftsärzte gibt es noch heute.

Bundesknappschaft

Allerdings war die Zustimmung der Bergleute zu diesem neuen System anfangs nicht nur positiv ausgefallen, denn die Beitragszahlungen wurden direkt vom Lohn des Bergmanns abgezogen. Auch während des Nationalsozialismus hatten es die Bergleute nicht leicht. Schnell merkten die Versicherten eine Leistungsverschärfung, da die Knappschaften einseitig die Interessen der Wirtschaft vertraten, sagt Bluma. Da während des Zweiten Weltkriegs der Ruhrbergbau eine Schlüsselfunktion innehatte, waren die Zechen bemüht, den Krankenstand ihrer Kumpel möglichst niedrig zu halten und auch den kranken Bergmann zur Arbeit zu schicken.

Nach der Zentralisierung der Knappschaften mit dem Reichsknappschaftsgesetz 1923 und der Dezentralisierung nach dem Zweiten Weltkrieg, entstand 1969 die Bundesknappschaft, die wiederum in der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See (KBS) aufging. Heute ist sie Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung in einem und versorgt längst nicht mehr nur Bergleute.

epd