Traumhafter Style: Bibel erhält Design-Preis

Traumhafter Style: Bibel erhält Design-Preis
Wer heute an die Bibel denkt, hat mitunter ein dickes, schweres Buch vor Augen, Goldschnitt und wahlweise auch Frakturschrift inklusive. Eher einen Staub- als einen Blickfänger, jedenfalls. Dabei sieht die Wirklichkeit viel attraktiver aus: Das Neue Testament erhielt nach zweitausend Jahren einen der renommiertesten Designpreise. Der "Art Directors Club" erkannte ihr einen bronzenen Nagel zu.
29.06.2010
Von Ingo Schütz

Äußerlich orientiert sich die neu erschienene Ausgabe des zweiten Teils der Bibel ("Neue Genfer Übersetzung", kurz "NGÜ") an den klassischen Notizbüchern, mit denen schon ein Ernest Hemingway die Welt bereiste, in denen Pablo Picasso Eindrücke von Straßenszenen festhielt und die heute unter dem Namen "Moleskine" bei Design-Liebhabern aller Länder anerkannt sind.

Gottes Wort tief eingeprägt

Schwarz und schlicht kommen sie daher, die Moleskines und die NGÜs, mit stabilem Einband, schwarzem Gummizug und einer Zetteltasche hinten drin. Die Notizbücher soll man überall hin mitnehmen können – als ein Notizbuch fürs ganze Leben. Genau denselben Anspruch haben die Macher der neuen Bibelausgabe. Das Buch der Bücher sei "kein Staubfänger", sondern "soll ein täglicher Begleiter sein", sagt Eva Jung, die bei der Gestaltung der Bibelausgabe unter anderem als Art-Direktorin mitgewirkt hat.

[listbox:title=Eva Jung auf evangelisch.de[Unsere Fußball-eCards der Designerin]]

Aber neben der Anlehnung an den bekannten Notizbuch-Stil finden sich bei der NGÜ noch weitere Design-Schmankerl. So erscheint das Ü im Logo, welches den schwarzen Einband als kleiner Farbklecks ziert, zugleich als schweizerisches Wappen, als weißes Kreuz auf rotem Grund. Richtig edel wirkt auch die Prägung am unteren Rand des vorderen Einbands: "Gott spricht. Heute." heißt es dort. Die Worte sind schwarz in schwarz eingedrückt, so dass man sie nur im rechten Licht lesen kann. Welch weiser Tiefsinn für das Glaubensdokument der Christen.

Als Lektüre nur bedingt empfohlen

Einen weiteren Preis bekamen die Genfer und die Deutsche Bibelgesellschaft, die hinter der NGÜ stehen, für die Banderolen. Insgesamt fünf verschiedene davon sind erhältlich, jede mit einem Satz, der neugierig macht. Als kurze Teaser-Texte sprechen sie den postmodernen Menschen ganz direkt an. So heißt es auf der blauen Banderole: "Falls Sie hoffen, dieses Buch könne Ihnen alle Fragen beantworten, müssen wir Sie leider enttäuschen. Es fördert allenfalls noch mehr Fragen zu Tage. Wenn Sie damit klar kommen, können wir Ihnen die Lektüre durchaus empfehlen."

Die äußere Gestaltung ist beeindruckend und zu Recht prämiert. Aber wie sieht es innen drin aus? Zu den zahlreichen vorhandenen Bibelübersetzungen ins Deutsche gesellen sich in den letzten Jahren immer wieder neue, und alle müssen zwischen Texttreue und Lesbarkeit manövrieren. Auf ngue.info, der offiziellen Website der Neuen Genfer Übersetzung, heißt es dazu: "Andere Übersetzungen sind oft schwerer verständlich, da sie entweder eine eher altertümliche Sprache verwenden oder eine sehr moderne Sprache benutzen, inhaltlich aber relativ weit vom Originaltext entfernt sind."

Dieses Manko will die NGÜ beheben: "Wir wollen, dass Sie die Botschaft der Bibel besser verstehen können. Deswegen ist es uns wichtig, so urtexttreu wie möglich zu sein, ohne die Verständlichkeit zu vernachlässigen." Klar, dass sich schon andere an diese Aufgabe gewagt haben. Klar auch, dass die neue Bibelübersetzung wie alle anderen nicht vom Stein der Weisen zehrt. Und trotzdem hat sie gegenüber anderen Bibelausgaben, die sich auf dem schmalen Grat zwischen Treue und Schönheit bewegen, einen großen Vorteil.

Nachvollziehbare Übersetzung

Der Leser kann neben dem übersetzten Text in einer Randglosse auch die Gründe nachvollziehen, die zu der Übersetzung geführt haben. Teilweise sind alternative Übersetzungsmöglichkeiten einzelner Verse angeführt, teilweise die wörtliche Übersetzung, wenn davon abgewichen wurde. Auch alternative Lesarten sind bei den Bibelstellen angeführt, für die einige antike Handschriften von anderen abweichen. Zugleich wird vermerkt, ob diese Lesarten häufig oder weniger oft bezeugt sind.

Der bekannte Vers aus dem Hohelied der Liebe im 1. Korintherbrief 13,3 lautet in der NGÜ: "Wenn ich meinen ganzen Besitz an die Armen verteile, wenn ich sogar bereit bin, mein Leben zu opfern und mich bei lebendigem Leib verbrennen zu lassen, aber keine Liebe habe, nützt es mir nichts." Daneben sind umfangreiche Anmerkungen aufgeführt, die das Verstehen erleichtern und zugleich zum Nachdenken anregen können.

Alternativen zum Bibeltext

"W[örtlich] wenn ich (sogar) meinen Leib hergebe, um mich verbrennen zu lassen (a[lternative] L[esart] 1 [=gut bezeugt] um mich zu rühmen). Wenn der 'Selbstruhm' in der angeführten Lesart negativ zu verstehen ist, müsste man übersetzen: wenn ich sogar bereit bin, mein Leben zu opfern, aber es nur aus Ruhmsucht tue und nicht aus Liebe, nützt es mir nichts. Denkbar ist auch ein positives Verständnis; in diesem Fall wäre der Versschluss so wiederzugeben: wenn ich sogar bereit bin, mein Leben zu opfern, aber keine Liebe habe, nützt es mir nicht und ist nichts, worauf ich vor Gott stolz sein kann."

Schnell merkt man, dass der eigentliche Bibeltext zwar gut lesbar ist, der Lesefluss aber durch die komplizierteren Anmerkungen unterbrochen wird. Das gilt permanent: In die Randglosse – mal schmaler, mal breiter, fast immer durchgehend von oben bis unten – wurden derart viele Anmerkungen aufgenommen, dass ein Leser in die ständige Versuchung gerät, links oder rechts nachzuschauen, was es zu einem Vers noch alles zu sagen gibt.

Geeignet für... alle und alles

Dabei sind die Erläuterungen interessant, aber selten wirklich notwendig zum Verstehen. Das große Pfund der Ausgabe, die präzisen Ergänzungen zur gut lesbaren Grundübersetzung, macht darum etwas von der Leichtigkeit dieser Bibelversion leider wieder kaputt. Der Wunsch, möglichst viel Informationen auf eine Seite zu packen, spiegelt sich natürlich auch im inneren Design wider. Das ist bisweilen etwas anstrengend. Prämiert worden ist eben nur das äußere Erscheinungsbild.

Ganz wie bei Moleskines, die man überall hin mitnehmen können soll, wirbt die gelbe Banderole der NGÜ für sich: "Dieses Buch eignet sich perfekt für folgende Anlässe: Taufe, Firmung, Konfirmation, Hochzeit, Feierabend, Urlaub, Wochenende, Zugfahrt, Mittagspause, Entspannungsbad..." Wenn Leser sich nicht durch die Randbemerkungen ablenken lassen oder gerade nach einer Bibelausgabe mit tiefgehenden Erläuterungen suchen, dürfte dieses äußerst stylische und empfehlenswerte Produkt tatsächlich genau das Richtige für sie sein.

"Neue Genfer Übersetzung (NGÜ): Neues Testament". Erschienen bei: Deutsche Bibelgesellschaft/Genfer Bibelgesellschaft. ISBN: 978-3438013071. 640 Seiten für 12,90 Euro.


Ingo Schütz ist Diplom-Theologe in Elternzeit und schreibt unregelmäßig für evangelisch.de.